Being Werner Faymann
Eine starke erste Septemberhälfte für die ÖVP. Mitterlehner hier, Schelling dort. Bewegung, dass einem schwindlig wird. Die ÖVP ist in den Umfragen im Aufwind, und wir wissen schon, was wir von solchen Momentaufnahmen zu halten haben. Allem Anfang wohnt ein Zauber inne. Aber dass Reinhold Mitterlehner in der Kanzlerfrage Werner Faymann überholt hat, so was hat die Volkspartei schon lange nicht mehr erlebt. Dazu kommt, dass die ÖVP mittlerweile das mit Abstand attraktivere Team hat. Das muss den Sozialdemokraten zu denken geben. Es stimmt: Die haben den Kanzler. Aber was machen sie eigentlich draus?
Der Kanzler ist unpässlich und hat sein ORF-Sommergespräch abgesagt, es soll jetzt eine Woche später stattfinden – am 22. September. Es geht sich also astronomisch gesehen gerade noch aus, bevor der Herbst beginnt. Und dass sich der Kanzler nur davor fürchtet, dass ihm der Peter Resetarits auch eine Wut-Oma ins Publikum setzt wie dem Mitterlehner, das behaupten nur böse Zungen. Mit einer Angina ist nicht zu spaßen. Außerdem muss sich der Kanzler schonen, damit er am Donnerstag seine geplante “Blitzreise” (© Claus Pandi, Kronenzeitung) zur neuen EU-Außenministerin Federica Mogherini antreten kann. Faymann hat nämlich eine Mission.
Boulevardeske Kanzler-Mission
Der Kanzler will Bewegung in die russisch-ukrainische Krise bringen, das hat er uns über die Kronenzeitung und das Fellner-Blatt Österreich ausrichten lassen. (Wir wissen nicht, warum Heute nicht auch exklusiv an der Story dran war – wahrscheinlich waren sie dort noch im Taumel des staatstragenden Zehnjahres-Jubiläums und der sehr aufschlussreichen Enthüllungen von dossier.at über die Faymann- und SPÖ-Connections des Gratisblatts.) Der Kanzler will jedenfalls nicht länger zusehen, wie die EU-Sanktionen gegen Russland Arbeitsplätze in Österreich gefährden und Putin uns den Gashahn zudreht. Er stimmt sich mit der EU-Außenbeauftragten ab und fliegt dann zu Präsident Poroschenko nach Kiew. Mit Putin will Faymann nur telefonieren, und mit den Separatisten in der Ostukraine will er gar nichts zu tun haben.
Sebastian Kurz mit der feinen Klinge
Die Kronenzeitung hatte nämlich geschrieben, der Kanzler wolle auch Vertreter der Separatisten treffen, um sich ein möglichst vollständiges Lagebild machen zu können. Faymanns Sprecherin hat das schon nach Erscheinen der Abendausgabe dementiert, und der eigentlich zuständige Außenminister Sebastian Kurz von der ÖVP hat den Ball dankbar aufgenommen: Jede Friedensinitiative könne hilfreich sein, sagte Kurz im Ö1-Morgenjournal. Wichtig sei, dass Faymann klargestellt habe, keine Separatisten treffen zu wollen. Womit der junge Außenminister bewiesen hat, dass er es versteht, die feine Klinge zu führen: Mögen andere dilettieren, ich setze mich in Szene, heißt das. Apropos Blitzbesuch: Kurz trifft den ukrainischen Präsidenten schon diesen Montag, also etliche Tage früher als Faymann.
Alles im roten Bereich, Kanzler
Being Werner Faymann. Wie er tickt, das hat der Kanzler in den bereits gelaufenen Sommergesprächen der Privatsender ATV und puls4 zur Schau gestellt. Zu Kritik an der Regierung oder aus der eigenen Partei sagte Faymann nicht zum ersten Mal: Wenn Hundert etwas gut finden, dann wird es immer Drei geben, die was daran auszusetzen haben – und auf die Drei stürzen sich dann die Medien. Die Koalition sei stabil, verlässlich, berechenbar, sagte Faymann. Und so wie er Österreich schon aus der Spekulationskrise herausgeführt habe, werde er das Land auch aus der Ukraine-Krise herausführen, die jetzt auf unser Wachstum drücke.
Senderchef bittet zum Interview
Fragen zur Innenpolitik und zu Strukturreformen, die mag der Kanzler nicht so gern. Da hat sich die ATV-Kollegin einiges anhören müssen, und puls4-Kollege Thomas Mohr wäre vielleicht sogar noch so richtig ins Streiten gekommen – hätte sich nicht sein Senderchef Markus Breitenecker eingebildet, die Fragen an den Kanzler selber stellen zu müssen. Ein absolutes Novum und No-go, das Faymann ermöglicht hat, den moderierenden Journalisten mit seinen lästigen Zwischenfragen einfach zu ignorieren. Geblieben ist eine fast programmatische Kernaussage des Regierungschefs: “Wollen Sie eine Feuerwehr, die nicht löscht, oder einen Arzt, der drauflos schneidet und nicht weiß was er tut?” Und zum Thema Bildungsreform ist Faymann entschlüpft: “Wenn die nächste Finanzmarktkrise kommt, dann nützt uns die beste Schule der Welt nichts!”
Ein Krisenkanzler ist in der Krise
Ein Krisenkanzler, der selbst in der Krise ist. Auf dem internationalen Parkett ist Sebastian Kurz längst dabei, ihm die Show zu stehlen. Reinhold Mitterlehner macht den Raum in puncto Beliebtheitswerte eng. Mit Hans Jörg Schelling ist ins Finanzressort ein Macher eingezogen, der Faymann nie war. Sophie Karmasin setzt in der völlig verzopften ÖVP-Familienpolitik neue Akzente, Andrä Rupprechter macht lustvoll Politik in seinen Bereichen. Für die Bildungspolitik gibt es Hoffnung und guten Willen der Parteispitze – überall Bewegung, und das ist bei der ÖVP schon sehr viel.
Und wo bleibt die Bewegung der SPÖ?
Nicht dass von alldem nicht auch die Faymann-SPÖ profitieren könnte – denn wenn es der Koalition gut geht, geht es beiden Koalitionsparteien gut. Die Frage ist nur, wo die Bewegung der SPÖ bleibt. Was bringt sie denn ein – außer Maximalforderungen, die sie nicht durchsetzen kann? Das beste Beispiel dafür ist die Vermögensteuer vulgo Millionärsabgabe, wo der ÖGB mit seiner halben Million Unterschriften jetzt noch einmal die Brechstange ansetzt. Am Ende wird Werner Faymann wieder das sagen, was er schon oft und zuletzt auf puls4 wieder gesagt hat: “Wenn Sie mich fragen: werden Sie alles hundertprozentig durchsetzen? Dann sage ich: ohne absolute Mehrheit – nein.” Also nie, denn von der absoluten Mehrheit kann die SPÖ nur noch träumen.
It’s the credibility, stupid!
Faymann hat damit ein eklatantes Glaubwürdigkeitsproblem. Das wird ihm wohl beim Parteitag Ende November von seinen Delegierten recht deutlich signalisiert werden, wo es um die Missachtung der Frauenquote, aber auch genau um die von vielen so empfundene Perspektivenlosigkeit der sozialdemokratischen Politik gehen wird. Wenn er so weitermacht, wird der SPÖ-Chef aber auch von den Wählern die entsprechende Antwort bekommen. Oder von den befreundeten Landeshauptleuten, die schon vor ihm – nämlich nächstes Jahr – Wahlen haben und danach einen Sündenbock brauchen.