Giftiger Juni
Der Kanzler hat das Wochenende zu einer Offensive im ORF genutzt. Langes Interview im Radio, Pressestunde im Fernsehen. Griechenland zum Einstieg, und dann natürlich die Lage der Koalition und der SPÖ. Alles bestens, das bisschen Streiten ist zwischen so unterschiedlich sozialisierten Eheleuten normal. Auch wenn einem der ÖVP-Obmann gerade öffentlich vorgeworfen hat, den Bezug zur Realität verloren zu haben. Und in der SPÖ ist auch alles paletti. Der Vorsitzende von mehr als 80 Prozent gewählt, es gebe immer ein paar Parteipensionisten, die sich kritisch über die Parteispitze äußern. Und die Medien, die alles maßlos übertreiben und jeden Tag drei Leute suchen würden, die Unruhe stiften.
Man würde das alles ja gern glauben. Wären da nicht die Tage im Juni vor sieben Jahren, als das alles ganz ähnlich geklungen hat. Diese Tage hatten im März schon ihre Schatten vorausgeworfen, als die SPÖ bei der Landtagswahl in Niederösterreich acht Prozentpunkte verlor. Bundesparteivorsitzender war Alfred Gusenbauer, und die Führungsdebatte nahm Fahrt auf. Er unterstütze den Kanzler, sei kein Kandidat für die Nachfolge und glaube im Übrigen nicht alles, was in der Zeitung steht, sagte Werner Faymann, damals Infrastrukturminister.
Führungsdebatte nicht bei uns
Auch im März 2008 sprach sich der damalige Tiroler SPÖ-Chef Hannes Gschwentner gegen eine Personaldebatte über Gusenbauer aus, weil eine Personaldebatte bringt jetzt nichts. Tirol war als nächstes Land an der Reihe zu wählen. Ähnelt dem aktuellen Auftritt eines größeren SPÖ-Kalibers: der Wiener SPÖ-Chef Michael Häupl, der im Oktober zur Wahl steht, hat sich gegen eine Personaldiskussion über Faymann ausgesprochen, weil jede Personaldiskussion ist Gift für uns.
Die Stunde der Parteipensionisten
Dann meldeten sich 2008 streng nach dem Faymann’schen Gesetz die ersten Parteipensionisten zu Wort, Altbürgermeister Helmut Zilk sprach von einer letzten Chance für Gusenbauer. Altkanzler Franz Vranitzky rief Gusenbauer dazu auf, die Zügel in die Hand zu nehmen. Die Zeit des Romantisierens ist vorbei.
Fest im Sattel bis zum Sturz
Im Juni 2008 war es dann wirklich vorbei. Zuerst Kritik von Gabi Burgstaller, damals Landeshauptfrau und für so gut wie alle hohen SPÖ- und Staatsämter im Gespräch, Michael Häupl pfiff sie zurück: Es gibt keine Führungskrise, Gusenbauer sitzt absolut fest im Sattel. Noch am selben Tag bestätigte der Vorarlberger SPÖ-Chef Michael Ritsch offen, dass Gusenbauer sehr wohl diskutiert werde: Das ist so.
Auch unterm Kreisky war das so
Werner Faymann betonte daraufhin wieder, dass er positiv zu Gusenbauer stehe. Die offene Kritik am Parteivorsitzenden sei zudem nicht außergewöhnlich, auch über die Ex-Kanzler Franz Vranitzky und Viktor Klima sei sehr viel diskutiert worden, sagte Faymann damals. Heute geht er noch weiter zurück und betont, dass selbst unter Kreisky solche Diskussionen zur Normalität in der SPÖ gehört hätten.
Ein Parteikrise ist eine Parteikrise
Am 8. Juni 2008 wählte Tirol, die SPÖ stürzte um zehn Prozenpunkte ab. Und es war Schluss mit normal. Häupl griff Gusenbauer ins Ruder, forderte eine Änderung der Linie der Bundesregierung und drohte der ÖVP. Faymann hielt fest, dass die SPÖ ihr Profil schärfen müsse. Wenn man bei Landtagswahlen so viele Wähler verliert, dann ist das eine Krise. Eine Präsidiumssitzung wurde anberaumt, und vor Beginn der Sitzung ließ Häupl dann schon offen, ob Gusenbauer Parteichef bleiben werde. Faymann kam als neuer SPÖ-Vorsitzender aus der Sitzung heraus.
Faymann wirkt nur so gemütlich
Wenn man bei Landtagswahlen so viele Wähler verliert: In Niederösterreich und Tirol 2008 waren es in Summe rund 75.000 Wähler, heuer waren es im Burgenland und in der Steiermark zusammen rund 78.000. Die SPÖ hat zuletzt sogar noch viel mehr verloren: hier einen Landeshauptmann und dort ihre Reputation. Dann ist das eine Krise. Die Worte von Werner Faymann 2008. Heute, selber Parteichef, will er diese Zeichen nicht sehen. Wie hat Michael Häupl damals über Faymann gesagt: Er wirkt nur so gemütlich. Er ist außerordentlich effizient in der Durchsetzung seiner Interessen.
Nervöser SPÖ-Kommunikationschef
Manchmal passieren dabei auch Schnitzer. Etwa dem von Faymann bestellten neuen SPÖ-Kommunikationschef Matthias Euler-Rolle. Der hat sich am Wochenende vom ihm unterstehenden Parteipressedienst interviewen lassen, um dem aufsässigen Traiskirchener Bürgermeister Andreas Babler in die Parade zu fahren. In den Sektionen der SPÖ werde Bablers selbstbezogenes mediales Getrommel mittlerweile als parteischädigend empfunden, diktierte Euler-Rolle. Und machte Babler damit so groß, wie er ihn eben nicht haben will.
Kaisers Wechsel-Bad der Gefühle
Entlarvend auch Peter Kaiser. Der SPÖ-Landeshauptmann von Kärnten antwortete in einem Standard-Interview auf die Frage, ob Häupl noch vor der Wiener Wahl auf einen Wechsel an der Parteispitze drängen könnte: Mein Gefühl teilt diese Annahme nicht, ich schließe es aber auch nicht aus. So eine Antwort kann man nicht erfinden, aber Kaiser musste per Aussendung abschwächen. Mediale Missinterpretationen! Keine Führungsdebatte um Werner Faymann! Quod erat demonstrandum.