Der Zug fährt
Bis vor kurzem ist die Bundesregierung mit nur einem Mann für alle Fälle ausgekommen. Doch ein Josef Ostermayer reicht jetzt nicht mehr aus. Ex-Raiffeisen-Boss Christian Konrad ist Flüchtlingskoordinator, die frühere Volksanwältin Terezija Stoisits koordiniert für die Bildungsministerin die Aufnahme von Flüchtlingskindern an den Schulen, und UN-Experte Kilian Kleinschmidt soll Ordnung in das nicht enden wollende Chaos in Traiskirchen bringen. Das Trio soll das unselige Prinzip des Bemühens (Innenministerin Johanna Mikl-Leitner im ORF-Report) durchbrechen.
Der Politik ist das ja bisher nicht gelungen. Und es ist ein echtes Armutszeugnis, das die Innenministerin den Ländern ausstellt, wenn sie das Prinzip des Bemühens hier in Österreich dem Prinzip der Pflichterfüllung durch die deutschen Bundesländer gegenüberstellt. Mikl-Leitner bekommt ja jetzt ein Werkzeug in die Hand, um endlich weg vom Bemühen und hin zum Gelingen zu kommen. Eine Verfassungsnovelle, die die Kompetenzen von Ländern und Gemeinden einschränkt, geht seit Dienstag ihren parlamentarischen Weg. Besorgniserregend ist der oftmalige Hinweis darauf, dass das quasi nur ein Notparagraph sein werde – den man hoffentlich nie anwenden müsse.
Das unselige Prinzip des Bemühens
Bitte, liebe Bundesländer, tut was, damit wir nicht eingreifen müssen. Tatkraft und Tatendrang sehen anders aus. Und das gilt für den Bund auch in anderer Hinsicht. In Ungarn stauen sich immer mehr Flüchtlinge, die mit dem Zug nach Deutschland wollen, das die Dublin-Regelung für Syrer de facto ausgesetzt hat. Bevor die Lage explodiert, lässt die Polizei in Budapest den Dingen ihren Lauf. Mehr als 3600 Flüchtlinge kommen in Wien an, praktisch alle wollen nach Deutschland weiter.
Sommermärchen vom Westbahnhof
Am Wiener Westbahnhof werden sie von engagierten Bürgern in berührender Weise betreut, die Polizei hält sich im Hintergrund. Polizeisprecher Roman Hahslinger findet die absolut richtigen Worte. ÖBB-Chef Christian Kern erlangt in den sozialen Netzwerken eine Art Heldenstatus, weil er zusätzliche Züge von der Grenze nach Wien genehmigt. New York Times und Guardian honorieren den Einsatz der Zivilgesellschaft.
Quod licet Faymann, non licet Orban
Die Bundesregierung setzt weiter auf Tarnen und Verwirren. Bundeskanzler Werner Faymann legt sich mit Ungarns Premier Viktor Orban an, weil der die Flüchtlinge an Österreich weitergereicht hat, die Österreich dann an Deutschland weitergereicht hat. Also um fast nichts besser. Wir haben wenigstens ein Erstaufnahmezentrum, auch wenn es menschenunwürdig überfüllt ist – und der Wiener Flüchtlingskoordinator Peter Hacker darüber sagt, er wisse einfach nicht, ob das Unfähigkeit oder absichtliche Unfähigkeit sei. Eine irre Vorstellung: erwünschtes Behördenversagen, um Menschen vor einer Flucht nach Österreich abzuschrecken. Und wie kalkuliert oder auch nicht kalkuliert das gewesen sein mag – es wirkt.
Das zarte Pflänzchen in der Bild
Nur sechs von 3600 haben in Österreich um Asyl angesucht. Alle anderen in Deutschland. Weil dort das zarte Pflänzchen einer Willkommenskultur gewachsen ist, gefördert ausgerechnet von der Bildzeitung. Die Weltuntergangskommentare zum Thema erscheinen dort neuerdings im Spiegel. Eine verkehrte Welt, die getragen wird von Bundeskanzlerin Angela Merkel – in der Griechenland-Krise noch als eiskalte Machtpolitikerin gescholten, fliegen ihr jetzt Liebesbekundungen tausender Menschen aus dem bürgerkriegsgeschundenen Syrien entgegen. Eine missverständliche Äußerung zu Dublin hat gereicht.
Multiple Signale aus der Volkspartei
In Österreich kommen missverständliche Äußerungen von Außenminister Sebastian Kurz von der ÖVP, und sie kreisen um Signalthemen wie Grenzsicherung wiedereinführen und Sozialleistungen für Nicht-Österreicher streichen. Innenministerin Mikl-Leitner von der ÖVP redet sich immer mehr um Kopf und Kragen, wenn sie die Dublin-Regelung beschwört, die nach ihren eigenen Worten untauglich ist und seit den Zügen nach Wien praktisch tot. Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner positioniert sich auffällig gegen die FPÖ, aber sonst eher unauffällig: Flüchtlinge sind auch Menschen. Die 1,5-Prozent-Quote, die der Bund den Bezirken und Gemeinden künftig bei der Unterbringung notfalls vorschreiben kann, sei fast eine Beleidigung unserer humanitären Tradition, hat Mitterlehner im Parlament gesagt. Immerhin.
Regieren müssen sie aber schon selber
Dann noch Appelle von Kanzler und Vizekanzler an die EU-Partner für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge. Leise Drohungen mit dem nächsten Finanzrahmen, wir sind ja Nettozahler. Aber nur ja keine Festlegungen, etwa was syrische Flüchtlinge betrifft – da kann selbst Kardinal Schönborn appellieren, was er will. Nämlich Syrer ohne Wenn und Aber aufzunehmen. Natürlich ist es eine Riesenherausforderung. Sie wird aber auch nicht kleiner, wenn die Regierung sich wegduckt, obwohl diese Aufgabe nach den 71 Toten von der Ostautobahn und den Zügen der Hoffnung auf ihrer Agenda ganz oben steht. Und einen Koordinator fürs Regieren werden sie wohl nicht erfinden.