Der Lucky Loser
Wie Marko Arnautovic in den letzten Spielen der EM-Qualifikation hat Michael Häupl den Gegner stehen lassen und gescored. Ein Duell, das keines war, weil der bullige Titelverteidiger einfach die elegantere Ballführung hatte, die bessere Taktik & den Tor-Riecher. A Gspür für Wien eben. Häupl hat sich den Gruppensieg einen Tag vor dem Fußball-Nationalteam geholt. Von den vier SPÖ-Landeschefs, die heuer Wahlen geschlagen haben, hat er am wenigsten verloren. Das macht ihn zum Schlüsselspieler der Sozialdemokratie mit Blick auf die Nationalratswahl. Werner Faymann hat schon am Wahlabend das Fürchten gelernt.
Minus 4,8 Prozentpunkte für die Wiener SPÖ, damit führt Michael Häupl die Tabelle souverän an. Auf Platz zwei ist Hans Niessl, der Ende Mai im Burgenland einen Verlust von 6,3 Prozentpunkten einfahren musste – er kann sich aber wegen eines schweren Fouls, das rot-blaue Flecken nach sich gezogen hat, nicht uneingeschränkt über die vordere Platzierung freuen. Respect. Gibt es dafür nicht. Platz drei sicherte sich mit einem Verlust von 6,6 Prozentpunkten Reinhold Entholzer, der SPÖ-Vorsitzende auf Zeit im Industrieland Oberösterreich. Seine Partei ist dort auf 18,4 Prozent abgesackt, sie leidet unter argem Substanzverlust und schwächelt nachhaltig.
Mit Niessl & Voves in Verlierergruppe
Am Tabellenende die steirische SPÖ mit einem Minus von bemerkenswerten neun Prozentpunkten und einem Ergebnis unter 30 Prozent. Der verantwortliche SPÖ-Chef Franz Voves hat daraufhin nach einer Schrecksekunde nicht nur seinen Rückzug aus Partei und rot-schwarzer Reformpartnerschaft erklärt, sondern der ÖVP auch noch den Landeshauptmann geschenkt. (Und dieser ÖVP-Reformlandeshauptmann hat by the way gerade mit der Post-Voves-SPÖ ein Budget fixiert, das auf 190 Millionen Euro an neuen Schulden aufbaut. Obwohl der Plan war, 2016 ausgeglichen zu budgetieren und Schulden zurückzuzahlen. Zukunftspartner nennen sie sich jetzt.)
Häupl-Faktor ohne Merkel-Backup
Vier weitere rote Niederlagen. Macht jetzt ingesamt achtzehn in der Ära Faymann bei nur zwei Zugewinnen (einmal hauchdünn bei der Europawahl und dazu der Sonderfall Kärnten). Der beste aller Verlierer heißt dabei Häupl, und das bemisst sich weniger im geringsten Verlust des nunmehr abgelaufenen Wahljahrs. Mit Verlusten wird gerechnet (und wenn es sein muss, setzt SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid einfach wieder den Stahlhelm auf und führt das auf die Weltlage oder das Wetter zurück wie gestern im ORF-Report). Der Häupl-Faktor bemisst sich vielmehr im klaren Abstand zur Strache-FPÖ in der direkten Konfrontation und noch stärker: in der kompromisslosen Positionierung in der Frage von Flüchtlingen & Asyl. Das hat sich vor Häupl keiner getraut. Der hatte auch keine Angela Merkel, hinter der er sich verstecken konnte.
Das reale Elend des Roten Wien
Häupl wird jetzt mit der Grandezza des Lucky Losers seine Rückholprogramme für die Flächenbezirke starten. Simmering blau, Floridsdorf knapp daran vorbeigeschrammt. Das reale Elend des Roten Wien. Häupl wird nicht an der demokratiepolitisch bedenklichen Verquickung von Rathaus & SPÖ kratzen, daran werden auch die Grünen nichts ändern. Sie werden sich wieder hübsch in eine Koalition einfügen, damit nicht am Ende noch der Herr Blümel mit den Resten der Stadt-ÖVP plötzlich in einer Koalition mit dem Bürgermeister sitzt. Und Häupl kann und wird jetzt, wenn ihm das gelegen kommt, auch der Bundes-SPÖ in die Speichen greifen.
Faymanns Waterloo im Festzelt
Wer in der Sozialdemokratie das Sagen hat, davon konnte sich am Wahlabend im SPÖ-Zelt alle Welt ein Bild machen. Matthias Cremer vom Standard hat es in einer Bilderserie festgehalten: Werner Faymann kam, arbeitete sich zu Häupl und seinen Getreuen auf die Bühne, wo er ignoriert wurde. Und nach wenigen Minuten war er wieder weg. Etwa zur gleichen Zeit führte Armin Wolf in der ZIB2 ein Interview mit der Häupl-Stellvertreterin Renate Brauner – und die wollte auf die Frage, ob Faymann wohl bis 2018 SPÖ-Bundesparteichef bleiben werde, partout keine Antwort geben. Noch dazu mit der Bemerkung, dass sie die Frage sehr gut verstanden habe.
Anti-Strache versus Asyl á la carte
Da steht jemand unter Druck, der mit einem anderen unter Druck Stehenden in einer Koalition ist. Das Regieren wird für Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner deshalb noch schwieriger. Der eine, Faymann, will Häupl nacheifern und sich noch stärker als Anti-Strache profilieren – und hat schon öffentlich ausgerichtet bekommen, dass er sich für eine Aufweichung der Defizitkriterien einsetzen soll, damit Wien noch mehr Schulden machen kann. Der andere, Mitterlehner, polemisiert mit der Innenministerin und dem Integrationsminister gegen Asyl á la carte und kämpft mit dem Finanzminister eigentlich gegen das Schuldenmachen. Das die SPÖ jetzt wieder kultivieren will.
Der Lucky Loser sitzt derweil bequem auf seinen 4,8 Prozentpunkten Minus und schaut sich das Ganze erste Reihe fußfrei an. Bis es ihm zu bunt wird.