Der nackte Staat
Ist Österreich nach den Landtagswahlen dieses Jahres wirklich rechter & reaktionärer geworden, wie es Alexandra Föderl-Schmid im Standard ausdrückt? Das Reaktionäre ist sichtbarer geworden, keine Frage. Aber nicht deswegen, weil die Freiheitlichen jetzt in Eisenstadt und Linz mitregieren. Sondern deshalb, weil das Erstarken der FPÖ reaktionäre Muster im politischen Establishment freilegt. Bauer schlägt Frau. Festung Europa bauen. Zäune können funktionieren. Die FPÖ ist da überall vorne dabei, aber andere hüpfen das jetzt nach. Zum gesetzlosen Zustand an den Grenzen die Irrfahrten der Politik.
Deutsch-Pflicht nicht nur im Unterricht, sondern auch in den Pausen und auf dem gesamten Schulareal. Das ist einer der Punkte aus dem Arbeitsübereinkommen von ÖVP und FPÖ in Oberösterreich, mit dem der gefühlte Rechtsruck schnell begründet ist – der Umstand, dass sie den Grünen Rudi Anschober zum Integrationslandesrat gemacht haben, ohne ihm dafür ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen, ist da viel kritischer zu sehen. Dass sich viele mit Deutsch-Reden schwertun, ist eine Tatsache – jenseits der Mühlviertler Schulkinder mit ihrem Dialekt, die jetzt manche missbrauchen, um das Vorhaben von Schwarz-Blau ins Lächerliche zu ziehen. Ein Vorhaben, das anderswo funktioniert und auch positiv besetzt ist. Süddeutsche lesen.
Der Herren Herrlichkeit
So richtig reaktionär ist natürlich die am Freitag angelobte Landesregierung von Oberösterreich, die aus neun Männern und null Frauen besteht. Das geht gar nicht. Nur: die FPÖ hat damit noch nie ein Problem gehabt, die schicken ihre Frauenchefin Rosa Ecker in den Bundesrat, und Frau Ecker deutet das allen Ernstes auch noch als wichtiges Signal. Ausdrucksweise und Körpersprache von ÖVP-Landeschef Josef Pühringer – als er zu erklären versuchte, warum Landesrätin Doris Hummer abserviert worden ist – zeigen zwar ein Problembewusstsein, aber verinnerlicht ist das in weiten Teilen der ÖVP-Männerwelt noch nicht. Daher schlagen die Bauern eben die Frauen aus dem Feld, wenn es drauf ankommt. Rot & Grün verschanzen sich hinter matten Wahlresultaten – leider nur ein Landesrat, leider Mann. Progressiv ist das auch nicht.
Die Herrin der Festung
Von Linz wird dann wieder nach Spielfeld geschaltet, wo das mit den Flüchtlingen gerade nicht so gut klappt. Nachdem das Durchwinken nach Deutschland in Nickelsdorf über Wochen fast perfektioniert worden war und niemandem mehr aufgefallen ist, tritt der steirische ÖVP-Landeshauptmann auf wie das Kind in dem Märchen Des Kaisers neue Kleider. Aber der Staat hat ja gar nichts an! Das war die Botschaft von Hermann Schützenhöfer, und er hatte natürlich recht damit. Alle haben es gewusst, keiner wollte es wissen. Der Staat ist nackt. Das hat auch die Innenministerin auf dem falschen Fuß erwischt. Wir müssen an einer Festung Europa bauen, entfuhr es Johanna Mikl-Leitner – und alle Welt fragt sich, wie sie ein derart belastetes Sprachbild verwenden konnte.
Der Herr der Zäune
Waren es Mikl-Leitners Nerven oder war es kalkuliert? In beiden Fällen könnte man sich Sorgen machen. Bei Integrationsminister Sebastian Kurz von der ÖVP ist immer alles kalkuliert. Seine rhetorische Gegenfrage in einem Interview im Ö1-Morgenjournal zum Beispiel: Wie haben Sie in Ungarn gesehen, dass ein Zaun nicht funktioniert? Er funktioniert so gut, dass die Flüchtlinge jetzt den Umweg über Slowenien nehmen und an der Südgrenze nach Österreich kommen. Mit allen logistischen Nachteilen, die es allein aufgrund der Nähe zu Wien und zur Westbahnstrecke in Nickelsdorf eben nicht gegeben hat. Aber egal. Sebastian Kurz sagt, Zäune zur Grenzsicherung funktionieren. Und nimmt Spielfeld als Beweis dafür, dass es Zäune braucht. Kaum eine Forderung der FPÖ in der Asylfrage, die die ÖVP noch nicht übernommen hat.
Der herbe Flop der Quote
Am Ende steht dann immer der Verweis auf Brüssel, wo jetzt endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden müssten. Dabei kommen von dort eher traurige Meldungen: Die mit Mehrheit vom Europäischen Rat beschlossene Aufteilung von 160.000 Flüchtlingen vor allem aus Italien und Griechenland auf alle EU-Staaten ist ein totaler Flop. Bisher sind laut einer aktuellen Zwischenbilanz der Kommission gerade einmal 86 Personen von Italien aus in ein anderes EU-Land gebracht worden. Nur neun von 28 EU-Staaten haben Plätze für Flüchtlinge angeboten. Das macht es für Österreichs verantwortliche Politiker von SPÖ und ÖVP nicht leichter, das muss man schon sagen.
Holzingers Herrschaftszeiten
Doch das entlässt die Regierung nicht aus der Verpflichtung vorauszuschauen. Zu überlegen und zu kommunizieren, wie Österreich reagieren wird, wenn Deutschland richtig zumacht. Herrschaftszeiten, dafür muss es doch einen Plan geben – das hat zuletzt auch der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Gerhart Holzinger, in einem bemerkenswerten Appell zum Ausdruck gebracht. Der Plan kann nicht sein, die Hilfsorganisationen finanziell kurz zu halten, die Zivilgesellschaft und deren Einsatz für die Flüchtlinge vereinnahmen zu wollen und den ratlosen großen Rest der Bevölkerung mit Parolen zu füttern. Der Staat ist nackt. Es wird Zeit, dass er sich was anzieht.
Ein Gedanke zu „Der nackte Staat“
Solange in der Politik nicht wieder das Primat des Arguments statt dem der Moral gilt, wird sich nichts ändern und die Wähler nicht wieder kehren (warum sollte ich jemanden wählen, der mir nicht sagen kann, wie er drängende politische Probleme lösen will?); Frau Föderl-Schmid, die Wahlergebnisse und Personenwechsel jenseits von Vorhaben, Argumenten und Problemstellungen moralisch einordnet, steht beispielhaft für jenen Journalismus, der ganz im Sinne dieser Art der Politik — eigentlich: Entpolitisierung und intellektuellen Selbstaufgabe — agiert. — Orban finden wir da überraschender Weise auf der anderen Seite: Er trifft wenigsten politische Entscheidungen, er handelt, um die Probleme die die Flüchtlingskrise für Ungarn bedeutet, zu lösen; man muss seinen Weg nicht mögen und nicht gut finden, aber man weiss wenigstens wohin die Reise geht; bei unseren Politikern fühlt man sich im Regen stehen gelassen: Man weiss nicht was sie wollen und wohin sie wollen, von Plänen und Notfalllösungen ganz zu schweigen. — Jemand der auf Sozialleistungen angewiesen ist oder im Niedriglohnbereich arbeitet, wird von der Politik erwarten, dass sie klarstellt wie alle im Fall der Aufnahme einer bedeutenden Zahl von Flüchtlingen, Wohnungen, Arbeit und Sozialleistungen bekommen werden; wird dann nur von einer Aufnahme aller gefaselt ohne konkrete politische Vorschläge zu unterbreiten, Vorhaben zu skizzieren und Planungen aufzustellen, wird man jemand anderen wählen; man kann es sich leicht machen und das als reaktionäres Verhalten bezeichen; — verstehen und ändern wird sich dadurch allerdings nichts.