Seekranke Ösis
Während vernünftige Stimmen belegen, dass Deutschland nicht nur aus Bayern besteht und auch nicht vom bayerischen Landesfürsten und seinen Getreuen nach außen vertreten wird, nimmt die Unvernunft hierzulande ihren Lauf. Die Bundesregierung führt einen beispiellosen verbalen Eiertanz um einen Grenzzaun zu Slowenien auf, den die Innenministerin unvermittelt, aber dafür öffentlich angekündigt hat. Ihren vorläufigen Höhepunkt hat die Orbanisierung der ÖVP freilich mit einem Interview des Grazer Bürgermeisters Siegfried Nagl erreicht, der das Asylrecht auf Frauen und Kinder beschränken will.
Der Auftritt von Siegfried Nagl war stilsicher gewählt: im Zentralorgan der Unvernunft, der Steirer-Krone (deren Chefredakteur nach einer Hetztirade gegen Flüchtlinge in einen kurzen Herbsturlaub abgetaucht ist und dann wohl so weitermachen darf wie bisher). Also diktierte Nagl dem Krone-Reporter: Wir müssen die Grenze zu Slowenien dicht machen, so gut das möglich ist. Die berühmten unschönen Szenen, die keiner sehen will, müsse man in Kauf nehmen. Und für Männer dürfe es sowieso kein Asyl mehr geben, das müsse man denen rechtzeitig klarmachen. Auf einem Schiff, das in Seenot geraten ist, werden zuerst auch die Kinder und die Frauen gerettet, nicht die Männer. Auf hoher See und im Krone-Interview ist man eben in Gottes Hand.
Also ein Gitter gegen die Welle
Um Beistand möchte man auch flehen, wenn die Bundesregierung in aller Öffentlichkeit eine Sprachregelung sucht – für etwas, das ein Zaun sein soll, aber nicht so heißen darf. Nur die Innenministerin steht dazu. Sie will: einen Zaun und noch mehr. Der Kanzler hingegen sagt, Zäune kommen nicht in Frage. Und der Außenminister kontert tags darauf: Wenn es nicht Zaun heißen darf, dann sagen wir von mir aus Gitter dazu. Um sich dann wieder in der Gastgeber-Rolle für die Wiener Syrien-Gespräche zu sonnen. Der Boulevard hat schon einmal nachgerechnet, was so ein Gitter denn kosten könnte – und kommt locker auf einen dreistelligen Millionenbetrag für 60 Kilometer. Das Wachpersonal noch gar nicht eingerechnet! Ein Fressen für Fellner.
Deutschland ist nicht Bayern
Sonst hat es ja immer der Kanzler mit dem Boulevard gehabt, jetzt sind es mehr die Brüder und Schwestern von Viktor Orban in Bundes- und Landesregierungen. Wobei – ganz sicher ist sich der Boulevard in der Flüchtlingsfrage auch nicht, Beobachter sehen etwa die Kronenzeitung auf einem Schlingerkurs. Ganz klar Position bezogen und zwar gegen Grenzzäune hat die SPD-Politikerin Hannelore Kraft. Sie ist Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, dem größten deutschen Bundesland, und Kraft könnte theoretisch an Zäunen Interesse haben. Ihr Bundesland muss gemäß dem geltenden innerdeutschen Schlüssel allein fast 170.000 der für Deutschland prognostizierten 800.000 Flüchtlinge aufnehmen. Frau Kraft meint, das müsse zu schaffen sein.
Die Flüchtlinge, eine Verwirrung
Bemerkenswert auch ein Auftritt von Frank-Jürgen Weise, dem Chef der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesamts für Migration, der sich klar gegen die Einschätzung wendet, dass die aktuelle Flüchtlingssituation für Deutschland die größte Belastung seit der Republiksgründung sei. Hier werde eine Verwirrung besprochen, sagt Weise wörtlich. Es gehe darum, dass die Behörden gute Arbeit leisten. Die Zuwanderung bringe Deutschland aufgrund des demographischen Wandels großen Nutzen: Das ist eine gute Bereicherung unserer Arbeitswelt und unserer Gesellschaft, dass da nicht überall ältere graue Herren durch die Gegend laufen und langsam mit dem Auto auf der Autobahn rumfahren, sondern das wird eine lebendige Gesellschaft.
Gute Arbeit der Behörden gefragt
Es geht darum, dass die Behörden gute Arbeit leisten. Frank-Jürgen Weise hat als Chef der Bundesagentur für Arbeit nicht zufällig die Leitung des Bundesamts für Migration mitübernommen. Diese Bereiche sind eng miteinander verwoben. Zuwanderung und Integration funktioniert nur über den Arbeitsmarkt. Deutschland hat derzeit so wenig Arbeitslose wie zuletzt vor 24 Jahren und daher Spielraum. Grundlegend sind auch rasche Asylverfahren und klare Entscheidungen. Weise verspricht hier für Deutschland bereits bis zum Dezember wesentliche Verbesserungen. In Österreich läuft die Diskussion in eine ganz andere Richtung, obwohl wir gemessen an den Einwohnern eine ähnlich hohe Asylwerberzahl erwarten wie Deutschland.
Pläne für keinen Zaun & andere
Wir diskutieren über Zäune, nachdem wir seit vielen Wochen durchgewunken und Tausende Plätze in Transitquartieren mit Menschen in österreichischen Asylverfahren belegt haben. Es gibt jetzt freilich auch den Arbeitsmarktgipfel, der seit Monaten immer wieder verschoben worden ist. Österreich droht im Winter die Rekordmarke von 500.000 Arbeitslosen, das heißt: Feuer am Dach und wenig Spielraum für die Integration von Flüchtlingen. Vor dem Gipfel sind denn auch vor allem die alten Blockadehaltungen der Sozialpartner erneuert worden. Für die Flüchtlinge soll es einen Masterplan geben. Der bestimmt besser durchdacht ist als die Pläne für keinen Zaun und für das Ende des Asylrechts für Männer.
Ein Gedanke zu „Seekranke Ösis“
Sehr treffende Analyse! Bin der Meinung, daß unsere Regierung hauptsächlich wg der Situation auf dem Arbeitsmarkt dermaßen paralysiert und deswegen die Probleme der Ankommenden nicht zu lösen imstande ist. Sämtliche Versäumnisse in den vergangenen Jahren haben dieses Dilemma verursacht. Hier herauszufinden bedarf gemeinsamer Anstrengungen mit Deutschland, aber auch EU-weit.