Bubble Gum
Konrad Paul Liessmann hat es uns Journalisten ordentlich gegeben. In einer Rede bei einer Veranstaltung des Verbands Österreichischer Zeitungen hat der Philosoph & ehemalige Berater von ÖVP-Wendekanzler Schüssel den Medien schlicht die Fähigkeit abgesprochen, sich der Wahrheit anzunähern. Freunde der Medienschelte und KollegInnen mit Hang zu Selbstgeißelung freuen sich, dass endlich einer der Filterblase den Spiegel vorgehalten habe. Selbstreflexion ist schon wichtig. Die Redlichkeit der Argumente aber auch.
Flüchtlinge. Pause. Dschihadisten, Terroristen. Die Ordnung unserer europäischen Welt ist seit dem Sommer ordentlich durcheinander geraten. Von der Willkommenseuphorie zur augenzwinkernden Gesetzlosigkeit an den österreichischen und deutschen Grenzen war es nur ein kleiner Schritt. Vom Wir schaffen das zum So kann es nicht weitergehen ebenfalls. Dann der Horror von Paris, dem der französische Staat mit dem Ausnahmezustand und fünftausend Schuss Munition zur Ausschaltung einer Terrorzelle im Vorort Saint Denis begegnet. Die Social-Media-Blase versucht das mit einem eigenen Twitter-Account für die Opfer von 11/13 zu bewältigen und mit Videos wie jenem von dem kleinen Buben, dem der Vater vor der laufenden Kamera von Canal+ erklärt, dass Blumen und Kerzen helfen. Gegen Terroristen.
Horror live & Trost aus Kindermund
Berührend. Und fragwürdig zugleich. All das, den Horror im Livestream und den Trost aus dem Kindermund, kriegen wir in unsere Timeline gespült. All das teilen wir mit Millionen anderen. Eine fragmentierte Öffentlichkeit, die Liessmann in seiner Rede durchaus kritisch bewertet als ein chaotisches Universum an Nachrichten, Meldungen, Gerüchten und Meinungen, die jedem Menschen mit Internetanschluss jederzeit und überall zur Verfügung stehen. Die Qualitäts- und Leitmedien müssten in diesem Chaos ordnende Hand sein. Sie seien es aber nicht, beklagt der Philosoph. Die Medien und Journalisten gefielen sich vielmehr darin, diese Blasen zu verstärken und damit an der geistigen Selbstbeschränkung des Menschen mitzuarbeiten. Das mache die ohnehin schon prekäre Situation noch prekärer.
Des Philosophen dürftige Belege
Der Beleg, den Liessmann dafür liefert, ist keiner. So sei auf ORF.at nach den Attentaten von Paris noch immer von nicht spezifizierten Angreifern die Rede gewesen, während auf diversen anderen Portalen schon Stellungnahmen der französischen Regierung zum islamistischen Hintergrund kursiert seien. Das kann eine Reihe von Gründen haben, aber Liessmann schließt ohne viel Federlesens sofort auf das Weltbild der Redakteure und spricht von einem Hinauszögern von Hinweisen auf den Islam. Und dann noch der bemerkenswerte Satz: Nicht durch das, was sie sagen, sondern durch das, was sie nicht sagen, geraten gerade um Seriosität bemühte Medien in einer Welt der raschen Informationszirkulation ins Zwielicht.
Hyper-Twitter & coole ZIB-Leute
Warum sollte ein seriöses Medium ins Zwielicht geraten, wenn es sich eben nicht von Twitter & Co. treiben lässt, sondern sich Zeit für Recherche und Einordnung nimmt? Der Philosoph steht da mit seiner Kritik wenig ruhmreich in einer Reihe mit der Erregung des Redakteurs vom einen Boulevardblatt und der Erregung der Redakteurin vom anderen Boulevardblatt – die am Abend der Attentate auf Twitter gegen den ORF Stimmung gemacht haben, weil die ZIB 2 nicht in der Sekunde unterbrochen wurde, um die zu dem Zeitpunkt sehr dürftigen Hinweise auf Sendung zu bringen. Wenig später haben Lou Lorenz-Dittlbacher & Roman Rafreider unter immer noch sehr schwierigen Bedingungen eine beachtliche Sondersendung hingelegt.
Lehrstück der vierten Ohnmacht
Die Wurzel allen Übels ist nach Liessmanns These der Meinungsjournalismus, der angesichts der Flüchtlingsbewegung überhand nehme. Analyse und Diskurs würden durch eine moralische Wertung ersetzt, und unliebsame politische Positionen würden an den Rand gedrängt. Liessmann bezieht sich auf die Wiener Gemeinderatswahl, das im Vorfeld von SPÖ und FPÖ ausgerufene und von Medien und Meinungsforschung ausgiebig transportierte Duell um Platz eins. Es war dann keines, das Wahlergebnis ist bekannt. Kein Ruhmesblatt für die Zunft. Rosemarie Schwaiger hat dazu im profil einen vielbeachteten Text mit dem Titel Die vierte Ohnmacht geschrieben, in dem sie mehr professionelle Distanz des Journalismus einmahnte.
Das profil macht es wieder gut
Man muss anmerken: Sie hatte allen Grund zu Selbstkritik (was dem Text nichts von seiner Güte und Wichtigkeit nimmt). Das profil – zweifellos ein Leitmedium in diesem Land – hatte nämlich in der Woche vor der Wien-Wahl den SPÖ-Spitzenkandidaten Michael Häupl auf dem Cover und dazu den Titel: Adieu? Lieber nicht. Das war Meinungsjournalismus pur – aber daraus abzuleiten, dass jetzt generell Moral die Recherche ersetzt und Meinung die Analyse, das ist genauso daneben wie die Behauptung einer beispiellosen Kette von journalistischen Interventionen (…), die von einem Engagement für das Gute, nämlich die Verhinderung einer angeblich drohenden FPÖ-Mehrheit, gekennzeichnet gewesen war.
Lügenpresse im Mäntelchen
Die intellektuell bemäntelte Variante des Lügenpresse-Vorwurfs hat selber kurze Beine. Konrad Paul Liessmann steht wieder dort, wo er auch zur Zeit der schwarz-blauen Wenderegierung zu stehen pflegte. In seinem Echoraum tönen Strache- und Kurz-Apologeten und kreiden den Ö1-Journalen an, dass sie einen Kenan Güngör als Experten zum Thema Werteschulung eingeladen haben – obwohl der Mitglied des Kurz-Expertenrates ist. Moral statt Recherche! Meinung statt Analyse! So what?
Geheimpapier im Ö1-Echoraum
Die Ö1-Journale haben übrigens vor der Wiener Gemeinderatswahl auch die mittlerweile budgetär eingepreisten Milliardenkosten der Flüchtlingsbewegung thematisiert. Das Geheimpapier, das auf Zahlen aus den jeweils zuständigen Ressorts basiert, hat in der Redaktion nicht allen gefallen. Auch die Ö1-Blase war nicht unbedingt amüsiert. So ist das nun einmal mit den Echoräumen, das hat Liessmann ja auch sehr schön erklärt. Aber das ist noch lange kein Grund, die Wahrheitssuche einzustellen.
2 Gedanken zu „Bubble Gum“
Liessmann wirft den Leitmedien in seinem Vortrag doch gar nicht vor, Lügen zu verbreiten. Er stellt ganz klar der Wahrheit die Meinung gegenüber, was er ja mit dem Hegel-Zitat noch unterstreicht 🙂 Insofern verstehe ich nicht, wo sie den Lügenpresse-Vorwurf herauslesen? Er erklärt ja sogar, wovon das Misstrauen in die Medien von vielen Aluhütlern herrührt.
Der Leser des (wehleidigen)Kommentars hat eher den Eindruck, dass Prof Liessman zu einem Gut-teil Recht hat.