Abgedackelt
Der Dackel bellt den falschen Baum an. Dieses ziemlich schiefe Bild hat SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder verwendet, um die jüngste Provokation seines ÖVP-Kollegen Reinhold Lopatka zu parieren. Eine höflich-subtile Reaktion – wenn man bedenkt, was Hunde gemeinhin mit Bäumen zu tun pflegen. Anbellen bestimmt nicht. Aber bleiben wir in Schieders Bild, das die Lage in Österreich und Europa gut beschreibt. Viele Dackel bellen die falschen Bäume an.
Es gibt Geschichten, da überlegt man sich als Journalist mehr als einmal, ob man sie dem Publikum zumuten will. Wenn etwa der ÖVP-Klubchef dem Koalitionspartner ausrichten will, dass der die Zuständigkeit für den Arbeitsmarkt hergeben soll. Eine Forderung mit zahlreichen Botschaften: der SPÖ-Präsidentschaftskandidat war ein miserabler Sozialminister, der die Arbeitslosenzahlen explodieren hat lassen; der neue Sozialminister ist ungeschaut auch nicht besser; die Sozialdemokraten haben in ihrer Kernkompetenz kläglich versagt; der ÖVP-Chef und Vizekanzler würde das neben seinen Wirtschafts- und Wissenschaftsagenden schupfen – besser natürlich.
Mitterlehner duldet Lopatkas Zündeln
Dass der Klubobmann in Absprache mit dem Vizekanzler die SPÖ öffentlich derart vorführt, dass sogar Kanzlerminister Josef Ostermayer in seiner Rolle als Cleaner ausrückt und deutlich wird, das hat natürlich schon Relevanz. Jedenfalls mehr als die aktuellen Sticheleien von Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl, der sich bei jeder Gelegenheit für einen Ausstieg der ÖVP aus der Koalition mit der SPÖ ausspricht. Einmal für Schwarz-Blau, dann für eine Minderheitsregierung. Und Leitl ist auch nicht niemand, sondern Chef des anhaltend unzufriedenen ÖVP-Wirtschaftsflügels. Doch Lopatkas Agieren, geduldet von Reinhold Mitterlehner, rüttelt an den Grundfesten.
Doskozil-Effekt schon fast verpufft
Es untergräbt die Glaubwürdigkeit des ÖVP-Obmanns, der selber vor wenigen Monaten einen Neuanfang – jetzt aber wirklich – verlangt hat. Mittlerweile sind die desaströsen Wahlergebnisse in den Bundesländern von 2015 offenbar schon wieder vergessen, die ausgestreckte Hand der SPÖ in der Flüchtlingsfrage scheint auch nichts zu zählen. Dabei kriegt man einen wie Hans Peter Doskozil, der der ÖVP-Innenministerin Wünsche von den Augen abliest und keinen Schritt ohne Absprache mit ihr setzt, nicht alle Tage. Doch der Doskozil-Effekt droht zu verpuffen, weil die Dackel so laut bellen.
Auch EU-Dackel bellt den Falschen an
Dackel vor falschen Bäumen auch in Brüssel: die Europäische Kommission rügt Österreich ernsthaft, weil Obergrenzen und Kontingente für die Aufnahme von Asylwerbern festgelegt worden sind. Und nicht nur das. Die Kommission hält in dem Brief auch fest, dass keine Regeln für den Transit von Asylwerbern durch Österreich nach Deutschland aufgestellt werden dürfen. Weil das nicht vorgesehen sei. Als ob die Dublin-Regelung nicht tot wäre. Als würde die Realität nicht existieren. Österreich spielt zwar in diesem Zynismus-Wettbewerb mit, der da zwischen Visegrad, Paris und London abläuft. Aber Österreich ist wenigstens konstruktiv, und man kann dem Bundeskanzler schwer widersprechen, wenn er sagt: Würden alle EU-Staaten eine vergleichbare Zahl von 37.500 Flüchtlingen aufnehmen, dann wären es verteilt zwei Millionen.
Der Briten-Deal & der Gewinnler Kurz
Noch einer beherrscht das Bellen gut. Außenminister Sebastian Kurz von der Europa-Partei ÖVP (siehe dazu Parteiprogramm 2015, Seiten 42 und 43) hatte es kaum erwarten können, bis die ewig EU-skeptischen Briten der Vision von einer politischen Union endgültig den Garaus machen. Schon im Juni des vergangenen Jahres hat er erste Forderungen aus London in diese Richtung begrüßt. Die Entkoppelung von Arbeitsmarkt und Sozialleistungen, die David Cameron mit dem möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU als Pfand jetzt durchgesetzt hat, die bedeutet genau das. Das Ende der politischen Union ist besiegelt, und der Europäer Kurz gibt den Gewinnler: Österreich werde da jetzt ausschöpfen, was geht.
Abschottung per Zuruf der Krone
Die SPÖ macht freundliche Nasenlöcher. Die Sozialdemokraten waren, getrieben von ihrem Gewerkschaftsflügel, immer schon gegen allzu viel Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Als zuletzt der scheidende Direktor der Wiener Arbeiterkammer, Werner Muhm, in der Kronenzeitung von importierter Arbeitslosigkeit sprach und daraus dann die Forderung nach Abschottung des Arbeitsmarktes gegenüber Arbeitskräften aus den osteuropäischen Partnerländern wurde, entspann sich gleich eine Riesendebatte.
Politik mit Muhm statt mit Mumm
Das andere Boulevardblatt ließ Werner Faymann, der gern auf Muhm hört, sofort zustimmen, doch das Österreich musste die Vorausmeldung wieder zurückziehen. Der SPÖ-Chef schränkte die Debatte auf die Verschärfung der Regeln für Arbeitnehmer ein, die für osteuropäische Firmen bei uns arbeiten. Werner Muhm hat man übrigens nie original zu der Frage gehört, er hat nichts konkretisiert oder erläutert. Die verlässliche Quelle Kronenzeitung hat etwas geschrieben, und die Republik hat reagiert. Ein Entschließungsantrag zur Entsenderichtlinie für Arbeiter aus Osteuropa liegt schon vor, obwohl jeder weiß, dass davon nicht Wohl und Wehe unseres Arbeitsmarkts abhängen.
In Kernfragen Roadmaps to nowhere
In den wichtigen Fragen geht dafür nichts weiter: Die Umsetzung des Bildungs-Kompromisses von Mitte November hakt an allen Enden, und die zuständige Ministerin glaubt immer noch, ihr fliege die größte Schulreform aller Zeiten einfach so zu. Wie sich auch das mehrere hundert Millionen Euro große Budgetloch einfach so schließen wird, hat ja immer noch irgendwie geklappt. Die neuerdings fürs Digitale zuständige Staatssekretärin im Kanzleramt stellt eine Digital Roadmap vor, ohne einen einzigen inhaltlichen Schwerpunkt für diesen Schlüsselbereich zu nennen. Und der Stichtag für eine nachhaltige Pensionslösung steht vor der Tür, die die SPÖ längst zugeschlagen hat. Vor lauter falschen Bäumen sehen sie den abgedackelten Wald nicht mehr.