Eine Verstögerung
Alles hat seine Zeit, auch in der Politik. Eine Zeit des Willkommenheißens, als die in Budapest gestrandeten Flüchtlinge sich in Richtung österreichische Grenze bei Nickelsdorf aufmachten. Damals war Hans Peter Doskozil Polizeichef im Burgenland. Heute ist er Verteidigungsminister und Shootingstar der SPÖ, und es ist die Zeit des Dichtmachens und Abschiebens. Auf all das hätte die Regierung hinweisen können, als der 29. Februar nicht länger zu verdrängen war. Sie hätten sagen können: Wir haben im Moment andere Prioriäten und gehen die Frage der Pensionen später in der Legislaturperiode an, aber mit dem nötigen Ernst. Sie haben sich einmal mehr für die unernste Variante entschieden.
Eine konstruktive Verzögerung mit dem Ziel, zu einem günstigeren Zeitpunkt doch noch zu einer nachhaltigen Lösung bei den Pensionen zu kommen, die das System fit für die Zukunft macht und nicht zur Bedrohung für die junge Generation – das wäre ein Ausweg gewesen, gesichtswahrend für beide Seiten. Geworden ist es mehr eine Verstögerung, angeführt vom namensgebenden SPÖ-Sozialminister Alois Stöger und durchgefochten im Namen der Besitzstandwahrer. Mit am Tisch der Wiener Arbeiterkammer-Direktor und SPÖ-Co-Verhandler Werner Muhm als deren glaubwürdiger Pate.
Totgesagter als Sinnbild der Koalition
Der frühere Krankenkassen-Funktionär und Gewerkschafter Stöger wird überhaupt immer mehr zum Sinnbild für diese Koalition. 2008 aus Gründen der regionalen Parität für die SPÖ als Gesundheitsminister in die Bundesregierung gekommen, übernahm der Oberösterreicher 2014 – schon hunderte Male politisch totgesagt – den Posten des Infrastrukturministers von Doris Bures. Und auch die jüngste Regierungsumbildung überlebte Stöger nicht nur, er stieg auch noch zum Sozialminister auf. Er agiert farblos und nicht wahnsinnig erfolgreich, ist aber nicht wegzukriegen (die Gründe dafür wären einmal eine eigene Analyse wert). Eine Charakterisierung, die man so plakativ auch auf die rot-schwarze Regierung insgesamt umlegen könnte.
Nur die Zermürbung ist nachhaltig
Die Verstögerung der Pensionsmaßnahmen vom 29. Februar sieht so aus: Bei ihrer langjährigen Forderung nach einer rascheren Anhebung des Frauenpensionsalters ist die ÖVP schon vor dem sogenannten Gipfel mürbe geworden und hat das Thema fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Dafür einigte man sich dann auf einen Bonus für Frauen und Männer, die über das Regelpensionsalter hinaus arbeiten. Auf Druck der SPÖ ist die Regelung viel komplizierter und weit weniger attraktiv angelegt als noch im gültigen Koalitionsabkommen, das in diesem Bereich übrigens von Finanzminister Hans Jörg Schelling verhandelt worden ist. Da war er noch Sozialversicherungschef.
Pensionspläne massiv zurückgestutzt
Damals hat Schelling in den Koalitionspakt reklamiert, dass Arbeiten ab 60 bzw. 65 quasi doppelt belohnt werden soll. Mehr als fünf Prozent Bonus und kompletter Wegfall der Beitragszahlungen – was pro Jahr gut zehn Prozent mehr Pension bedeutet hätte. Geht aber nicht mit der Gewerkschaft. Verdrängungseffekte auf dem Arbeitsmarkt. Schluss der Debatte. Gleiches gilt für den Nachhaltigkeitsmechanismus, den jede Seite anders interpretiert – was schon alles aussagt über die angebliche Verbindlichkeit der Maßnahmen zur Nachschärfung im System, die ein Weisenrat vorschlagen soll, der wieder nur eine Sozialpartner-Veranstaltung sein wird.
Auf Koalitionsabkommen gepfiffen
Das Ergebnis in diesem zentralen Punkt fällt sogar hinter das Koalitionsabkommen von 2013 zurück. Darin hatten sich SPÖ & ÖVP zu einem auf drei Monate befristeten und verbindlichen Schlichtungsverfahren bekannt – für den wahrscheinlichen Fall, dass sich die Regierung nicht einigen kann. Alles hier nachzulesen, auf Seite 65. Doch Schelling und die Volkspartei schwindeln sich wider besseres Wissen über diesen Sündenfall hinweg, den sie mitverantworten: Ein Schritt in die richtige Richtung. Eine gewisse Verbindlichkeit hergestellt. Pensionsreform ist work in progress. Dabei ist es ganz einfach: Schelling ist an der auf Präsidentschaftswahlkampf und Senioren schielenden ÖVP und eben an der Verstögerung zerschellt (© Karl Ettinger in der Presse).
Der Wahlkampf & die starken Männer
Um das Spiel mit Namen damit wieder zu beenden, aus dem man nebenbei auch eine Verstörung herauslesen kann, die sich mit Blick auf Positionierungen vor der Bundespräsidentenwahl am 24. April breitmacht. Zwei nicht unwesentliche Kandidaten lassen gerade den starken Präsidenten heraushängen, und man weiß nicht, ob sie wirklich gut damit beraten sind. Alexander van der Bellen, der unabhängige Kandidat mit grüner Wahlkampfmaschine, bleibt dabei, dass er einen Kanzler Strache nicht angeloben würde, auch wenn der eine stabile Mehrheit im Parlament hinter sich hätte.
FPÖ-Kandidat will Regierung entlassen
FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer wiederum hat jetzt angekündigt, dass er die Regierung entlassen würde, wenn ihm deren inhaltliche Linie nicht passt. Einfach so. Wenn das nicht taugt, steht am Ende die Entlassung an, formuliert es Hofer in den Vorarlberger Nachrichten. Das sind ganz neue, gefährliche Töne. Und man muss es sagen: Sie sind auch eine Folge der fortschreitenden Verstögerung der Koalition.