Schmähstad
Jan Böhmermann, Rudolf Hundstorfer & Andreas Khol haben gerade eines gemeinsam: Sie sind schmähstad, wie der Wiener sagt. Böhmermann ist mit seinem Erdogan-Schmähgedicht an die Grenzen der Satire gegangen. Jetzt ist er ein Fall für die Justiz, weil Majestätsbeleidigung in Deutschland strafbar ist und die Bundeskanzlerin in der Hand des türkischen Präsidenten. Auch wenn der gar nicht majestätisch ist und das, was Böhmermann macht, überwiegend grandios. Khol & Hundstorfer sind als Präsidentschaftskandidaten an den Grenzen der rot-schwarzen Realsatire angelangt. Der Satiriker darf auf Freispruch durch die Gerichte hoffen. Die Realsatiriker haben keine Milde zu erwarten.
Böhmermann hat mit Varoufake – seinem großartigen Verwirrspiel um ein Video mit einer Mittelfingergeste des früheren griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis – neue Maßstäbe in der deutschsprachigen TV-Satire gesetzt. Sein Schmähgedicht auf Recep Tayyip Erdogan war freilich von Anfang an als Politikum angelegt und ist auch eines geworden. Der türkische Präsident versteht keinen Spaß, die deutsche Kanzlerin hätte ein Strafverfahren gegen Böhmermann verhindern können und – wäre es nach dem Koalitionspartner SPD gegangen – auch sollen. Doch Angela Merkel hat das Verfahren zugelassen, eine Satire bewegt die deutsche Innenpolitik.
An rot-schwarzer Realsatire sattgesehen
Die österreichische Innenpolitik hingegen ist über weite Strecken Satire. Ob das der burgenländische Landeshauptmann mit seiner rot-blauen Koalition ist, der sich um keine Parteitagsbeschlüsse kümmert, die SPÖ als Ganzes vor sich hertreibt und nach der Reisefreiheit in der EU auch die Freizügigkeit des Arbeitsmarkts in Frage stellt. Oder der aus dem Burgenland stammende SPÖ-Verteidigungsminister, der plötzlich der bessere ÖVP-Innenminister sein will und vor einem Strache-Förderungsprogramm warnt, um die massive Verschärfung der Asylgesetzgebung im Eiltempo gegenüber aufgebrachten SPÖ-Landesorganisationen zu rechtfertigen.
Landeschefs, die Autoritäten untergraben
Oder ob es die Wiener SPÖ ist, die nicht nur die Asyl-Linie der Bundesregierung konterkariert, sondern auch in sich tief gespalten ist, was vom Parteivorsitzenden und Bürgermeister wenig überzeugend in Abrede gestellt wird. Dass in der Runde der Klubchefs im ORF-Talk Im Zentrum Sonntag Abend ausgerechnet SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder fehlte, war denn auch bezeichnend. Schieder ist mit der Wiener Stadträtin Sonja Wehsely verheiratet, die als Speerspitze der SPÖ-internen Kritiker der Asylpolitik gilt. Im Fernsehstudio wäre das eine schwere Hypothek gewesen.
Vom Bestellfernsehen bis zum Pröll-Coup
Gar nicht zu reden vom Landeshauptmann von Niederösterreich, der zwei Wochen vor der Bundespräsidentenwahl die Innenministerin aus der Bundesregierung abzieht und gegen seinen Finanzlandesrat tauscht. Mit diesem Coup – ein Wort, das Erwin Pröll in dem Zusammenhang gar nicht gern hört – hat er den Bundesparteiobmann vorgeführt und so drastisch wie nie zuvor demonstriert, wer in der ÖVP die Macht hat. Da fallen einem dann wieder die Bilder nach gewissen Regierungssitzungen ein, wo sich Kanzler und Vizekanzler im Pressefoyer wegen Formulierungen in den Haaren gelegen sind. Oder der Auftritt vom ÖVP-Chef in der ZIB2, wo er gegen angebliches Bestellfernsehen der SPÖ gewettert hat – um hinzuzufügen, dass er das selber gern hätte.
Immer verräterischere Durchhalteparolen
Die Autorität der Spitzen von SPÖ und ÖVP – und damit der beiden Parteien – ist von Entwicklungen wie diesen dermaßen erschüttert, dass wohl nur ein Wunder Khol oder Hundstorfer noch in die Stichwahl um die Präsidentschaft bringen kann. Die beiden wissen das, und sind dadurch noch mehr in ihren Mustern gefangen. Das war in den TV-Duellen ebenso ersichtlich wie in den Pressestunden des ORF-Fernsehens. Da hat Hundstorfer mit dem Sager “Irgendwann muss man sich deklarieren” sein Image als Parteisoldat hervorgestrichen. Khol hat sich gerühmt, die Sozialpartnerschaft in der Verfassung verankert zu haben. Die Durchhalteparolen werden immer verräterischer, wenn etwa Hundstorfer von sich behauptet, noch nicht schachmatt zu sein – und damit erst recht die Vorstellung hervorruft, dass da einer in die Enge getrieben ist.
Der Zeitungsboulevard ist machtloser denn je
Ein prominenter ÖVP-ler nach dem anderen distanziert sich öffentlich von Khol, indem er sich dazu bekennt, am Sonntag Irmgard Griss zu wählen. Zuletzt der Steirer Herbert Paierl. Und Zeitungen wie der Kurier erklären die Kandidaten der Regierungsparteien in großen Schlagzeilen eine Woche vor der Wahl praktisch für tot. Wie soll da noch ein Aufholprozess gelingen? Man wird sehen, wie sich Kronenzeitung und Österreich im Endspurt verhalten werden, bisher hat vor allem die Krone versucht, für den SPÖ-Kandidaten Stimmung zu machen. Aber die Macht des Boulevards ist begrenzt, wie Rudi Fußi hier in seinem Blog sehr schön aufzeigt. Und noch wichtiger: nie zuvor war die Abneigung gegen das rot-schwarze Establishment so ausgeprägt wie heute.
Den Geschmähten geht der Schmäh aus. Weil ihnen die Leute Böhmermann-mäßig den Mittelfinger zeigen. Satire darf alles, Realsatire längst nicht mehr.
2 Gedanken zu „Schmähstad“
Hat dies auf akinblog rebloggt.
Ich finde die Böhmermann-Satire eigentlich auch widerlich. (Der Majestätsbeleidigungsparagraph ist natürlich lächerlich und veraltet.)
Lieber wäre mir schon seit Langem klare und deutliche Berichterstattung über Erdogans Demokratiedefizite und Menschenrechtsverletzungen statt eines “hoffentlich nehmens uns die Flüchtlinge ab”.