Die Atlantikschwimmer
Sie geben uns keine Chance, aber wir nutzen sie. Mit diesem Zitat frei nach Herbert Achternbusch hat sich ÖVP-Parteiobmann Reinhold Mitterlehner über die verpfuschte Khol-Wahlkampagne hinweggetröstet, seit ihr Erwin Pröll mit seiner Ministerrochade im Innenressort vor zwei Wochen den Rest gegeben hatte. Die ÖVP hat die Nicht-Chance nicht genutzt. Den Achternbusch-Spruch sollte man deshalb aber nicht gleich verwerfen, den könnte die Koalition als Ganzes nach diesem Wahltag gut gebrauchen. Sie haben keine Chance. Aber nutzen sie die?
Das Zitat stammt aus dem Achternbusch-Film Die Atlantikschwimmer. Der Streifen handelt von zwei verhinderten Selbstmördern, die an einer Atlantikdurchquerung teilnehmen wollen, um dem tristen Alltag zu entfliehen.
Am Ende schwimmt einer von den beiden allein aufs Meer hinaus, seine letzten Worte sind die berühmten: Du hast keine Chance, aber nutze sie. Die zwei Protagonisten, der Briefträger Heinz und der Bademeister Herbert, weisen ja durchaus Parallelen zu den beiden Chefs der Bundesregierung auf. Nicht bildlich, aber inhaltlich. Auch der Kanzler Werner und der Vizekanzler Reinhold haben oft einen eher tristen Koalitionsalltag und würden wohl gern vor den Problemen, die ihnen ihre Parteifreunde in den Ländern und die vom politischen Geschehen frustrierten Wählerinnen und Wähler in der Folge bereiten, davonschwimmen. Quasi den Fellen nach.
Davonschwimmen, immer den Fellen nach
Denn hoch werden Rot und Schwarz diese Bundespräsidentenwahl nicht mehr gewinnen, schon der Wahlkampf oszillierte zwischen blamabel und mitleiderregend. Eine dramatische Entwicklung, die man bis vor kurzem nicht für möglich gehalten hätte.
Doch Davonschwimmen ist genauso wenig eine Lösung wie sich weiter treiben zu lassen – das Wasser bis zum Hals. Das eine wäre sofortiger politischer Selbstmord, das andere wäre eine Wette darauf. Eine Option, die dann halt 2018 gezogen würde.
Das wissen Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner, sie werden zunächst einmal versuchen durchzutauchen. Für Dienstag ist ein Asylgipfel mit den Sozialpartnern angesetzt, der Ministerrat beschließt den neuen Finanzrahmen, der Nationalrat das verschärfte Asylgesetz. Im Parlament wird der Wechsel im Innenministerium debattiert, und auch UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon spricht im Rahmen eines Österreich-Besuchs vor dem Nationalrat. Eine geschäftige Woche.
Oder Tacheles reden mit dem Establishment
Aber schon sehr bald werden die allerbesten Feinde wieder in den alten Trott fallen, das ist keine gewagte Prognose. Oder – und damit sind wir wieder bei Achternbusch und seiner schrägen Kunst – die Regierung nutzt die Chance, die sie nicht hat: Indem sie etwa den anstehenden Sozialpartner-Gipfel gleich dazu verwendet, den Spitzen von Wirtschaftskammer und Gewerkschaft klar zu machen, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Dass man sich Blockaden in der Arbeitsmarktpolitik, bei Pensionen und Deregulierung nicht mehr leisten kann und will.
Schluss mit Diktaten, Reformen neu aufrollen
Indem ein Gipfel mit den Vertretern von Ländern, Städten und Gemeinden anberaumt wird, wo die Regierung klarstellt, dass man sich bei der Bildungsreform nicht länger mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zufriedengeben will, dass Schluss sein muss mit den länderweisen Alleingängen bei der Mindestsicherung, dass man sich die Reform des Finanzausgleichs anders vorgestellt hat und dass auch die Gesundheitsreform nicht das Gelbe vom Ei ist – und neu aufgerollt gehört. Gleich in einem Aufwaschen mit einer Reform der Kassen, die Selbstverwaltungs-Gremien der Sozialversicherung eingeschlossen. Was wieder die Sozialpartner trifft.
Rot-Schwarz in den Hinterzimmern der Macht?
Die Liste lässt sich fortsetzen. Die Regierung könnte gegenüber Sozialpartnern und Gebietskörperschaften auch damit argumentieren, dass die Zeiten für sie ohnehin rauer werden. Dass die Zeiten als Nebenregierung von Rot und Schwarz im Bund so oder so vorbeigehen. Dass man sich auf eine neue Art des Miteinanders verständigen muss, die das Primat der Regierung respektiert und konstruktiv ist. Länder und Sozialpartner würden doch wohl niemals gegen das Wohl der Republik agieren und Rot-Schwarz in den Hinterzimmern der Macht weiterführen wollen, wenn die Mehrheitsverhältnisse tatsächlich andere geworden sind.
Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um
Würden sich SPÖ und ÖVP jemals trauen, in diese Richtung zu gehen, und wären sie überhaupt fähig dazu? Wir haben berechtigte Zweifel. Dabei wäre das die einzige Chance für diese Parteien, den Führungsanspruch zurückzuholen, der ja in weite Ferne gerückt ist. Man scheint sich mit der Unausweichlichkeit eines Bundeskanzlers Strache abgefunden zu haben, das profil schreibt in dem Zusammenhang von den Strache-Machern. Als ginge es nur noch darum, wer unter dem FPÖ-Chef den Vizekanzler macht.
Ein völlig falscher Ansatz. Und ein Zitat als Warnung, das wieder Herbert Achternbusch (wahlweise aber auch Bertolt Brecht, Ernst Bloch und Wolf Biermann) zugeschrieben wird: Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.