Red Bull redet
Ein Auftritt mit dem Vizekanzler im einmaligen Ambiente des Radiokulturhauses, und das Publikum liegt dem neuen Bundeskanzler Christian Kern zu Füßen. Ö1-Klartext vom Feinsten. Am Abend davor war Kern Top-Gast beim Wiener Start-up-Festival Pioneers 16 und schmeichelte mit einem locker-lässigen Talk der Gründerszene. Man kann sich dem schwer entziehen, und das muss man auch nicht. Nach dem langen Marsch durch die Wüste Gobi der Faymann-Pröll-Faymann-Spindelegger-Faymann-Mitterlehner-Jahre haben sich alle Labung mit erfrischender Rhetorik verdient. Symbolpolitik kann Kern mindestens so gut wie die Herren Strache & Hofer. Das hat er hinlänglich bewiesen.
Das Pressefoyer nach dem Ministerrat. Das Setting ist x-mal geändert worden, seit es Bruno Kreisky erfunden hat. Bis hin zu einer Art Raumschiff, in dem sich die Spitzen der Regierung in der schwarz-blauen Ära Schüssel verschanzt hatten. Christian Kern kehrt zurück zu Kreisky, der Dialog mit den Journalisten findet wieder direkt vor der Tür zum Ministerratssaal statt, wo schon Kreisky gestanden ist und einem Redakteur geraten hat, doch bitte Geschichte zu lernen. Heute läuft das mit Ansteckmikrofonen, wie sie Kern gerne hat. Genau nichts zwischen ihm und dem Gegenüber.
Im Hintergrund Podeste für Fotografen und Kameraleute, die haben über die Köpfe der Journalisten hinweg direkten Blick auf den Kanzler & auch auf den Vizekanzler. Reinhold Mitterlehner freut sich wie ein Schneekönig, dass er dabei sein darf.
So viel Symbolik ist bestimmt kein Zufall
Kern stellt dieses Setting als aus der Not geboren dar. Die ersten Sammel-Interviews mit Zeitungen – darunter so seltsame Mischungen wie Standard, Wiener Zeitung, Heute und das Fellner-Blatt Österreich – gab er im sogenannten Kreisky-Zimmer. Das düstere Büro des Sonnenkönigs wird seit Wolfgang Schüssel, der auf die helle Seite des Kanzleramts zum Volksgarten hin übersiedelt ist, nicht mehr von den Kanzlern genutzt. Christian Kern ließ sich dort – alles provisorisch, das Kanzlerbüro wird erst hergerichtet – man möchte fast sagen: porträtieren. Fotografieren ein Hilfsausdruck. Die Expertin für visuelle Kommunikation Petra Bernhardt hat das auf Twitter so kommentiert:
Mit Bildstrategien scheint sich der neue Kanzler schon mal auszukennen https://t.co/au6ZgkHChZ
— Petra Bernhardt (@picturingpe) May 24, 2016
Das tut Kern definitiv. Das hat er auch als ÖBB-Chef schon bewiesen. Das ZIB2-Interview auf dem Bahnsteig am Westbahnhof, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung. Spätestens da war Kern für viele schon der Kanzler der Herzen. Und er ist der ranghöchste Gutmensch geblieben, als es bei Werner Faymann mit der engen Abstimmung mit Angela Merkel vorbei und der Lack dann endgültig ab war. In der Sendung Klartext ließ der Faymann-Nachfolger en passant fallen, dass er kürzlich in Magdas Hotel gewesen sei – ein Caritas-Projekt mit Asylwerbern als funktionierender Beleg dafür, wie wichtig möglichst frühe Integration in den Arbeitsmarkt ist.
Reframing wie seinerzeit bei der Bahn
Kern kann nicht nur Bildstrategien, er kann auch Reframing. Als ÖBB-Chef hat er das Unternehmen in einen völlig neuen Rahmen gestellt. Respekt, Reset & Resultate. Dieser Slogan von damals könnte eins zu eins sein politisches Credo sein. Das staatlich subventionierte Schlepperwesen, wie die FPÖ die Flüchtlingstransporte unter seiner Verantwortung als Bahnchef bezeichnet hatte, deutete Kern in eine Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Ordnung um. Jetzt macht er das Politikversagen, das ihn an die Spitze der Bundesregierung und der noch stärksten Partei im Land gespült hat, zu seinem Asset. Ich bin genauso empört wie ihr, ruft er uns entgegen – aber Kern arbeitet mit den Leuten zusammen, die versagt haben. Die eigene Parlamentsfraktion, die eigenen Landeschefs, beim Koalitionspartner sogar das selbe Regierungsteam.
Das Politikversagen zum Asset umgedeutet
Nach der Bundespräsidentenwahl, als viel von einem gespaltenen Land die Rede ist, stellt der Bundeskanzler das 50 zu 50 Ergebnis für den grünen und für den blauen Kandidaten in einen ganz anderen Rahmen: Der Wählermarkt sei eben bunt und sehr mobil, das stimme ihn sogar zuversichtlich. Denn davon könnten ja auch die Parteien in der Regierung profitieren, indem sie mobile Wähler zurückholen. Kern stellt es so hin, als ob das etwas Neues wäre. Als hätten Rot & Schwarz nicht jahrelang Zeit gehabt, die Wähler durch beeindruckende Reformen zu überzeugen. Das ist Reframing im besten Sinn, für viele natürlich sympathischer als das, was die Freiheitlichen in dieser Richtung machen – wenn es um Kornblumen, weiße Socken oder angebliche Manipulationen bei der Auszählung von wichtigen Briefwahlstimmen geht.
Kern & seine milde Form von Kampfrhetorik
Nicht zuletzt zeigt Christian Kern auch, dass er einer milden Form von Kampfrhetorik – die man dem Fast-Bundespräsidenten Norbert Gerwald Hofer angekreidet hat – nicht abgeneigt ist. Von Klartext-Macher Klaus Webhofer befragt, wie er es denn mit dem Bürokratieabbau am Beispiel einer Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern halte und wie mit der Klientelpolitik – da ist der Kanzler kunstvoll ausgewichen und hat eigentlich nichts gesagt. Die Gewerkschaft, die die Hüterin der Gebietskrankenkassen ist und natürlich auch in der Regierungspolitik weiter mitspielen möchte, die will Kern nicht verärgern. Sie hat ihm ja auch zu seiner neuen Macht verholfen.
Die Unhaltbarkeit der Klientelpolitik
Dabei wäre es entscheidend, dass sich die Regierung von den Interessengruppen emanzipiert, wenn sie die hohen Erwartungen an sich erfüllen will. Da geht es nicht darum, auf die wertvolle Expertise der Sozialpartner zu verzichten, sondern darum, auch einmal als Regierung gegen die Sozialpartner zu entscheiden. Im Sinne des Gesamtstaates wird es oft besser sein, mit der Opposition gemeinsam zu marschieren. Da hätte man dann auch eine Zweidrittelmehrheit und könnte Dinge gegenüber den Ländern vernünftiger regeln, als dies derzeit oft mit den unseligen Verträgen nach Artikel 15a der Bundesverfassung geschieht. Diese konsensualen 15a-Verträge haben Überhand genommen und tragen den allzu oft faulen Kompromiss schon in sich.
Mitterlehner hat nichts mehr zu verlieren
Das mit der Unhaltbarkeit der Klientelpolitik scheint ÖVP-Obmann Mitterlehner besser verstanden zu haben als der neue SPÖ-Chef Kern. Wie glaubwürdig Mitterlehner, den doch alle nur noch als Platzhalter für Sebastian Kurz an der Spitze der ÖVP sehen – wie glaubwürdig der das letztlich umsetzen kann, ist die große Frage. Mitterlehner hat den Vorteil, dass er die Dinge offener aussprechen kann, weil er nichts zu verlieren hat. Vielleicht macht der ÖVP-Chef mit Kern ja eine Aufgabenteilung. Der Start-up-Kanzler sorgt für die Stimmung, wenn er wie zum Beispiel auf Ö1 geldwerten Liebesentzug für Kronenzeitung, Österreich & Heute andeutet:
.@KlausWebhofer "Braucht man den Boulevard? Muss man die mit Inseratenbudgets ausstatten?" Kern: "Seh ich nicht so" @oe1–#Klartext
— tanja 🤯 malle (@scharlatanja) May 25, 2016
Und der Vizekanzler bereitet indessen den Boden für eine Erneuerung der Republik ohne parteipolitische Hin- und Rücksichten. Wir haben allen Grund zu zweifeln. Aber lasst uns ruhig noch ein bisschen träumen, solange Kern als Freund der Königsdramen von Shakespeare solche Sachen sagt: Wo man doch schon weiß, dass man am Ende in einer Blutlache auf der Bühne liegen wird, kann man auch gleich das Richtige tun.
7 Gedanken zu „Red Bull redet“
der herr kappacher fiindet auch immer ein haar in der suppe.
Wenn doch ein dickes Haar drin ist! Dafür hab ich ihn für seine Redekunst ausgiebig gewürdigt. Ist ja auch nicht unwichtig. Endlich ein Gegner für #StracheKicklHofer
es wäre sooooooooo schön!!!!!
Das Wolk wartet seit, ich möcht sagen Sissi -zwinker, auf einen Mensch in der Regierung – dem Parteischachereien egal sind und einfach seine Arbeit mit den anderen Regierungsmitgliedern macht!!
Volk, nicht Wolk…
Ja das wäre schön. Sehe ich genau so.