Luft nach unten
Es rettet uns kein höheres Wesen / kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun / Uns aus dem Elend zu erlösen / können wir nur selber tun. Wie sehr er genießt, dass ihm die SPÖ so zu Füßen liegt, das hat der neue Parteivorsitzende Christian Kern mit seiner Parteitagsrede bewiesen. Vor den begeisterten Delegierten hat Kern obige Zeilen aus der Internationalen zitiert und auch ein bisschen damit kokettiert: Die Genossen mögen doch bitte wieder auf den Boden kommen. Doch die bleiben lieber weiter im Schwebezustand, nach den sieben mageren Faymann-Jahren. Und das höhere Wesen, das ganz oben schwebt, bleibt Antworten schuldig.
Es ist schon viel über den Kanzler und neuen SPÖ-Vorsitzenden gesagt und geschrieben worden. Er hat ein gewinnendes Auftreten, er kann reden und spricht manche Dinge so offen aus, wie man das bisher nicht gewohnt war. Christian Kern weiß auch um die Macht der Bilder und der Sozialen Netzwerke, und er bedient sich ihrer. Der Aufritt bei der Regenbogenparade ist via Facebook-Seite des Bundeskanzleramts abrufbar, den Kanzler in schräger Pose als Ballkünstler, aber auch vertieft in einen Gedankenaustausch mit der Gründerszene kann man auf dem Instagram-Account bewundern, und dass Kern tatsächlich einen eigenen Twitter-Account hat, wurde von manch einem Journalistenkollegen voller Verzückung registriert.
Was fehlt, ist der große Plan
War sonst noch was? Ein Patzer mit den Asylwerber-Zahlen, ein Knatsch mit der ÖVP beim verlorenen Tauziehen um den Rechnungshof-Präsidenten, vielleicht bald der nächste Knatsch im rot-schwarzen Tauziehen um den ORF-Chef, ein fulminanter Auftritt im Parlament mit einer bemerkenswerten Abrechnung mit der politischen Sprache und dem Stil der Freiheitlichen. Was fehlt, ist der große Plan. Das hat Christian Kern mit jenen gemeinsam, die Großbritannien in den Ausstieg aus der EU getrieben haben, auch wenn ihn inhaltlich von Boris Johnson & Nigel Farage Welten trennen. Never has a revolution in Britain’s position in the world been advocated with such carelessness. The Leave campaign has no plan. Der Guardian zeichnet ein erschreckendes Bild.
Ein Hauch von Linkspopulismus
Das Werk von Rechtspopulisten, die mit Vereinfachungen, Halbwahrheiten und Ressentiments arbeiten, denen sich ein Christian Kern glaubhaft entgegenstellt. Und er würde sich auch gegen das Attribut linkspopulistisch wehren, das politikwissenschaftlich umstritten ist, aber in einem gewissen Maß auf Kern zutrifft. Linke Positionierungen, die von Parteitag zu Parteitag immer deutlichere Konturen bekommen – wissend, dass er diese Forderungen mit dem aktuellen Koalitionspartner nie umsetzen wird können. Die Idee der Wertschöpfungsabgabe mag noch so grundvernünftig sein, aber als bloßes Schlagwort taugt sie nichts und macht nur böses Blut. Genauso wie das Reizwort Arbeitszeitverkürzung, das Kern in die Debatte geworfen hat.
Vermögensteuer nach Faymann-Art
Auch die Vermögensteuer liegt wieder auf dem Tisch, zu deren Verhinderung die ÖVP in den Verhandlungen über die Steuerreform Haus und Hof verkauft hat. An der dafür eingehandelten Registrierkassenpflicht werden Reinhold Mitterlehner & Hans Jörg Schelling trotz der vereinbarten Nachbesserungen noch länger würgen. Es gibt wohl gute Gründe, für eine Substanzbesteuerung von Vermögen einzutreten. Es gibt aber auch gute Gründe dafür, dies nicht schon wieder so falsch anzugehen wie die SPÖ unter Faymann das getan hat. Wo bleibt das Steuergerechtigkeits-Konzept, mit dem Kern die Volkspartei überzeugen kann? Und wenn er die ÖVP in diesen für die SPÖ so wichtigen Punkten nicht überzeugen kann, warum macht er dann mit ihr weiter?
Befreit euch, schreitet jetzt zur Tat
Ein guter Rhetoriker mit linkspopulistischen Anflügen, flankiert vom selbsternannten Sicherheitsminister, der auf Augenhöhe mit den Rechtspopulisten agiert. Das sieht immer mehr danach aus, als würde man sich für kommende Wahlen rüsten wollen statt etwas weiterzubringen. Kern hat in seiner Parteitagsrede von einem zehnjährigen Projekt gesprochen, das größer sei als der Kanzlerposten und größer als Ministerjobs. Das soll möglicherweise heißen: Wir kleben nicht an unseren Sesseln, uns geht es nur um die Sache – und wenn nötig, kämpfen wir auch aus der Opposition heraus darum. Kern sollte dann einmal zur Sache kommen. Oder um es wie er mit der Internationalen zu sagen: Noch immer seid ihr nur die Knechte / befreit euch, schreitet jetzt zur Tat.
6 Gedanken zu „Luft nach unten“
Ich hoffe,dass er sich nicht nur selber gerne reden hört sondern zumindestens
10% von dem umsetzen wird.Damit würde er 50% Vorsprung gegenüber HCS haben!
Die Erwartungshaltung ist zu kurzsichtig und wird der Situation nicht gerecht. Es ist ja nicht so, dass BK Kern nur sagen muss, “hier bin ich, ich hab für jedes Problem eine Lösung, come on lets get started.” Vielmehr hat er eine unermesslich schwierige Change – Aufgabe vor sich: Er muss die eigene Partei hinter sich vereinen und auf einen neuen Kurs und Stil einschwören, er muss die ÖVP überzeugen, sich diesem Weg anzuschließen, er muss die Landesfürsten auf seine Seite holen oder zumindest ruhig stellen und – nicht zuletzt – er muss die Bevölkerung dafür begeistern können. Auch die Medien, aber das dürfte ihm am leichtesten gelingen. Als BK hat er kein Weisungsrecht, in der Partei zwar breite Zusrimmung, aber keine echte Macht. Was also hat er zur Verfügung? Die Kraft seiner Worte, seine Autorität und seine Leadership. Das ganze Projekt muss also mit einer Marketingcampagne starten, damit es den nötigen Schwung erhält und sich ab einem gewissen Punkt selbst trägt. Möglich, dass Kern nur ein Blender ist. Aber die Art, wie er es angeht, ist kein ausreichendes Indiz dafür. Es kann auch als Professionalität und Pragmatismus gelesen werden. Wir werden ja sehen.
Man sollte nicht übersehen, dass die Reizwörter auf Parteitagen fallen und durchaus kontextualisiert werden: nämlich dass man diese aus Sicht der SPÖ hehren Ziele in einer Koalition nicht so schnell umsetzen wird können.
Für Kern war es gestern sichtlich am wichtigsten, der Partei ihre Würde zurückzugeben und sie wieder auf die Zukunft zu fokussieren. Er musste nicht zunächst Österreich, sondern zuerst die Partei begeistern. Und damit liegt er sehr richtig, denn sie wird für ihn laufen müssen.
Oft wartet man auf irgendwelche bestimmte Taten, Handlungen und Ergebnisse und übersieht dabei, dass vor einem gerade ganz andere Dinge tatsächlich passieren: dass ein BK auf der Regenbogenparade spricht, ist schon an sich ein Akt. Dass ein SPÖ-Obmann davon spricht, dass man innerhalb der Partei mehr Demokratie wagen muss oder einen Tag nach dem Treffen der SPÖ-Frauen diese in der großen Runde noch einmal ganz wesentlich adressiert, das sind ebenso schon an sich wirkungsvolle Handlungen.
Für die SPÖ war das gestern aus meiner Sicht wichtig und richtig.
Und ich denke, insgeheim wird sich auch Kern die Frage stellen, wie sehr er sich eigentlich noch am Koalitionspartner abarbeiten soll.
Ich sehe mich in meinen Beobachtungen bestätigt. Dass wir noch nicht im NR-Wahlkampf stehen, hängt nur mit der Unsicherheit wegen der Buprä-Anfechtung zusammen. Kern ist substanzlos, wird aber bei der NR-Wahl Stimmen von den Grünen und den Neos holen.
Und dann: Könnte es Rot/blau geben.
Dass Christian Kern substanzlos sei, ist ein Befund von beischeidener inhaltlicher Substanz. Man muss ja seine weltanschauliche Positionierung nicht teilen, aber was hat er bislang konkret falsch gemacht oder im Rahmen des Machbaren verabsäumt? Kritik ohne Argumente verkümmert zur Plattitüde.
Es gilt also als planlos, wenn ein Politiker klare programmatische Positionen bezieht, die dem Koalitionspartner nicht genehm sein könnten? Gleichwohl wird – zurecht – kritisiert, dass es den etablierten Parteien an weltanschaulicher Profilierung mangle und dadurch viele Wähler in die Fänge von Populisten getrieben würden. Kern auch nur im weitesten Zusammenhang in die Nähe von Johnson und Farage zu rücken, ist albern. Da helfen auch halbherzige Relativierungen nichts. Journalistisches Gezeter, nur um der Pointe willen, lässt auch keinen Plan erkennen.