Die blaue Kolonne
Hauptsache gesund. Reinhold Mitterlehner legt sich die Latte in der Politik nicht mehr wahnsinnig hoch. Im regulären Wahljahr 2018 möchte er vor allem ein rüstiger Sixtysomething sein, verriet Mitterlehner Susanne Schnabl im ORF-Sommergespräch. Auf hoher See und an der Spitze der ÖVP ist dein Schicksal in Gottes Hand. Der Kapitän auf der schwankenden Brücke machte sich nicht einmal mehr die Mühe, darauf zu beharren, dass üblicherweise wohl der Parteiobmann auch als Spitzenkandidat bei der Nationalratswahl antritt. Bald kommt Kurz. Und alles bleibt schlechter. Doch die ÖVP hat kaum eine Wahl.
Weil Österreich derzeit keinen Bundespräsidenten hat, der das Popularitäts-Ranking traditionell anführt, ist Sebastian Kurz der beliebteste Politiker der Republik. Und das benachbarte Ausland starrt ebenfalls neidvoll auf diese personelle Ressource. Mit der muss man sorgsam umgehen, hat der steirische ÖVP-Chef und Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer im Ö1-Interview befunden. Es ist wie beim Schnapsen, man muss gut überlegen, wann man das Trumpf-Ass ausspielt. Aber dass die Kurz-Karte gespielt wird, daran hat nicht nur Schützenhöfer keinen Zweifel. Sondern eben auch Mitterlehner. Kurz selber hat sich medial rund um Mitterlehners Sommergespräch zurückgehalten, das fluffige Geburtagsinterview zählt da nicht.
Knapp vor der Sendung kam dann aus Alpbach diese Botschaft:
Obmanndebatte? @sebastiankurz sagt im #efa16: "reizt mich nicht. @MitterlehnerR hat meine Unterstützung" pic.twitter.com/TGBZOFvAv0
— Nadja Hahn (@nadjasnews) August 29, 2016
Ein Dementi wie ein Geständnis. Natürlich reizt es ihn, die Linie vorzugeben. Das hat Kurz in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder bewiesen. Seine Junge ÖVP möchte lieber heute als morgen ein Ende des Schreckens mit der SPÖ, bevor deren Vorsitzender als smarter Bundeskanzler dem Jungstar den Rang ablaufen kann. Und Kurz-Unterstützer Erwin Pröll, um den es seit seinem Innenminister-Coup mitten im Präsidentschaftswahlkampf seltsam ruhig geworden ist, hat ja nie einen Zweifel daran gelassen, dass Mitterlehner nicht sein Mann ist. Pröll ist der Obmann-Kür damals demonstrativ ferngeblieben. Da urlaube ich lieber mit meinen Enkerln in Grado.
Kurz wird zum Opfer seiner Popularität
Doch Kurz weiß andererseits genau, auf was er sich da einlässt. Dass er für die Landesfürsten und Bündechefs ein willkommener Stimmenbringer ist, dass diese aber an den fatalen Strukturen der Volkspartei nichts ändern wollen. Die Machtzentren der ÖVP sind überall, nur nicht im Bund. Deshalb muss der Bundesparteiobmann extrem leidensfähig sein, das ist eine alte Weisheit. Sebastian Kurz wirkt nicht so, als würde er gerade diesem Teil des Anforderungsprofils besonders gut entsprechen. Und er kann ja immer noch abspringen und das nächste gute Angebot aus der Wirtschaft annehmen. Doch wahrscheinlich ist das nicht. Dazu sind die Dinge schon zu weit fortgeschritten, ist die Alternativlosigkeit innerhalb der ÖVP schon zu frappant.
Reformen vom Asylthema verschüttet
Eine Frage der Zeit. Es hängt natürlich auch damit zusammen, was Christian Kern und Reinhold Mitterlehner jetzt noch auf die Reihe bringen. Aber selbst wenn es große Dinge wären, die sie noch bewegen können – und Zweifel sind mehr als angebracht -, wird das die ÖVP nicht nachhaltig aus ihrem Tief holen. Die Volkspartei nimmt das ja schon vorweg, indem sie fast ausschließlich auf das Asyl- und Sicherheitsthema setzt. Die zahlosen Vorschläge von Kurz und Innenminister Wolfgang Sobotka, der Plan für eine Interessenunion der EU mit der Türkei, nachdem der zuständige und im EU-Rat stimmberechtigte Bundeskanzler und SPÖ-Chef den Abbruch der Beitrittsgespräche mit Ankara verlangt hatte. Bis hin zum Vollverschleierungsverbot.
Der eigentliche & der wahre Obmann
Alles Dinge, die vom wahren Chef Sebastian Kurz kommen. Gemeinsame Vorschläge! Das hat der eigentliche Chef Reinhold Mitterlehner im Sommergespräch eine Spur zu künstlich betont. Der eigentliche Chef stellt Orchideen-Themen wie die Rolle der Arbeitsinspektoren im Alltag der Unternehmer und Entbürokratisierung, die 99. Auflage, zur Diskussion. Orchideen-Themen nicht deshalb, weil das unwichtig wäre, sondern deshalb, weil der ÖVP das alles keiner mehr abnimmt. Die stellt seit 30 Jahren den Wirtschaftsminister und hat für viele als Wirtschaftspartei abgedankt.
Schmied & Schmiedl machen Law & Order
Und als Law-and-Order-Partei wird sie der FPÖ nie das Wasser reichen können. Heinz-Christian Strache kann Facebook-Postings wie dieses kurz vor Mitterlehners TV-Auftritt schreiben, er kann islamistisch nennen, wen und was er will, er kann einen Asyl-Stopp fordern. Was auch immer. Es wird immer glaubwürdiger sein als das, was die blaue Kolonne in der Bundesregierung an Forderungen aufstellt. Die Herren Kurz, Sobotka und Doskozil mit ÖVP-Klubobmann Lopatka im Schlepptau müssten nämlich das alles auch umsetzen, was sie fordern. Damit sie als Schmiedl den Schmied Strache ablösen könnten. Sie setzen aber wenig um, weil das halt komplizierter ist als fordern.
Immer mehr Lieblingsminister der Blauen
Die FPÖ kann sogar gefahrlos so weit gehen, Kurz, Sobotka & Doskozil als ihre besten Männer in der Bundesregierung zu loben. Strache, Kickl & Hofer wissen, dass dieses Trio in der FPÖ-Wählerschaft durchaus Sympathien genießt. Aber in dem Sinn, dass sie gut ins Konzept der Freiheitlichen passen. Nicht in dem Sinn, dass sie ein eigenes Konzept wären, das der FPÖ gefährlich werden könnte. Das gilt besonders für Kurz und Sobotka. Beim SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil liegen die Dinge ein wenig anders. Doskozil ist ja an sich nur ein Wohlfühl-Sicherheitsminister und für die Dinge überhaupt nicht zuständig, über die er dauernd spricht.
Der rote Wohlfühl-Sicherheitsminister
Abschiebungen mit Militärmaschinen, Objektschutz durch Soldaten in den Städten, Grenzüberwachung – das geht alles nur über Assistenzleistung für die Polizei. Kritik an Kanzlerin Angela Merkel und Forderungen wie die nach einem EU–Rückführungsgipfel gehen eigentlich gar nicht, und sie desavouieren auf den ersten Blick auch den Bundeskanzler. Genau genommen verschafft Doskozil seinem Parteichef Christian Kern dadurch aber innerparteilichen Spielraum, er sichert ihm die rechte Flanke ab und hat nebenbei fast gleich gute Popularitätswerte wie der Kanzler. Kern glaubt aber anders als Doskozils Mentor Hans Niessl (und mag sein auch Doskozil selber) definitiv nicht, dass es das Ziel sein muss, die FPÖ rechts zu überholen.
Die Angst der Schwarzen vor dem Grünen
Die ÖVP scheint genau das zu wollen und biedert sich gleichzeitig bei der FPÖ an. Kein ÖVP-Grande hat sich bisher dazu bekannt, Alexander van der Bellen seine Stimme zu geben – sieht man vom Europäer Othmar Karas ab. Gestandene ÖVP-ler wie der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer berufen sich dieser Tage auf ihr Wahlgeheimnis, und es ist ihnen auch sonst nichts peinlich. Schützenhöfer schließt nicht einmal aus, dass die ÖVP den Juniorpartner unter Strache machen könnte. Vom Alter her tät’s ja passen. Trumpf-Ass Sebastian Kurz ist gerade einmal 30.