Des Pudels Plan
Irgendwie war das ja anders geplant. Christian Kern wollte im Herbst 2016 eine große Rede halten, mit lauter roten Linien und Markierungen. Die hätten die ÖVP das Fürchten lehren sollen. Und dann ist es ganz anders gekommen. Die Bundespräsidenten-Stichwahl hat sich bis Weihnachten verzögert. Die Rede des Kanzlers, eigentlich eine Rede des SPÖ-Chefs, ebenfalls. Sie ist fertig, wenn sie fertig ist. Herausgekommen ist ein kompletter Plan. Schön bunt gedruckt wie ein Ikea-Katalog. Beileibe kein SPÖ-Programm, aber ein Programm des SPÖ-Chefs und Kanzlers. Und die ÖVP scheint sich jetzt erst so richtig zu fürchten.
Vielleicht hat Kern ja eine Anleihe bei den spanischen Linkspopulisten von Podemos genommen. Nicht eins zu eins, denn die haben ihr Parteiprogramm tatsächlich zu einem Marketing-Gag in Form eines Ikea-Katalogs verarbeitet und sich in den eigenen Wohnungen fotografieren lassen. Allerdings finden sich darin Inhalte, die auch der SPÖ-Vorsitzende in seinen Plan A aufgenommen hat. Etwa die Schaffung von Arbeitsplätzen durch eine Energiewende und eine Vermögensbesteuerung.
Das meistgelesene Manifest aller Zeiten?
Und auch in der Motivation dürften Kern und die spanischen Genossen um Pablo Iglesias nicht so weit auseinander liegen. We want it be the most-read manifesto ever produced, hieß es bei der Vorstellung des Podemos-Katalogs. Das meistgelesene Manifest ever soll es werden. So wie Kern mit seinem Katalog durch das Land tourt, legt er es auch genau darauf an.
Vielleicht haben Mitterlehner, Kurz & Co. auch in dem Podemos-Katalog geblättert. Und haben jetzt das Gefühl, dass sie die Erfüllungsgehilfen des rhetorisch außerordentlich begabten Linkspopulisten made in Simmering spielen sollen. Christian Kern hat Punkte in seinem Plan, die das Herz der Unternehmerpartei ÖVP eigentlich höher schlagen lassen müssten. Kern bekennt sich auch klar wie noch kein SPÖ-Parteivorsitzender vor ihm zur Studienplatzfinanzierung, de facto das Ende des freien Uni-Zugangs.
Der schwarze Neid auf den Coup des Kanzlers
Doch in der ÖVP überwiegt die Skepsis. Beschäftigungsgarantie für über 50-Jährige, ein Mindestlohn von 1500 Euro, notfalls vom Sozialminister verordnet. Gratis-Tablets für Schüler. Die Finanzierungsvorschläge ziemlich vage und durchsetzt mit Steuerplänen, die für die Volkspartei seit jeher ein rotes Tuch sind. Eine Propaganda-Broschüre sei das, und kein belastbares Programm, das man so mir nichts, dir nichts umsetzen kann, hört man aus der ÖVP. Der Neid auf diesen Coup des Kanzlers, perfekt inszeniert in der Welser Elbphilharmonie und seither innenpolitisches Dauerthema – der Neid schwingt unüberhörbar mit. Das kann man der ÖVP nicht einmal verdenken.
Plan mit eminenter parteipolitischer Agenda
Es ist ja nicht nur Kerns Erzählung. Es ist auch die Art, wie er sie präsentiert. Mehr als Bundeskanzler denn als Parteichef. Als wäre sein Plan ein staatspolitisches Konzept ohne jede parteipolitische Agenda, was natürlich überhaupt nicht stimmt. Der Kern-Plan hat eine eminente parteipolitische Agenda, er dient dazu, die Partei zu öffnen und breiter zu machen. Kern will über die angestammten Wähler hinausstrahlen, weil er weiß, dass die SPÖ nur so eine Chance hat, ihren Führungsanspruch zu wahren. Es wäre vermessen, das mit Bruno Kreisky zu vergleichen. Aber man muss tatsächlich so weit zurückgehen, um in der SPÖ einen ähnlich ambitionierten Ansatz zu finden.
Wäre die ÖVP stark, könnte sie damit umgehen
Und die ÖVP soll jetzt die Größe haben, mit der SPÖ ein Stück des Weges mitzugehen. Das hätten Christian Kern und seine Strategen gern. Man kann ihnen abnehmen, dass ihnen das lieber wäre als eine vorgezogene Wahl. Die Volkspartei soll mithelfen, Kerns Programm umzusetzen. Das ist des Pudels Plan. Eine starke und selbstbewusste ÖVP könnte das. Leben & leben lassen. Aber die ÖVP ist nicht stark. Sie ist schwach und schwer verunsichert. Sie schleppt eine ungelöste Obmannfrage mit sich herum, und sie hat sich inhaltlich auf das Asyl- und Sicherheitsthema verengt, das die SPÖ kalkuliert mitnimmt und das die FPÖ voll besetzt. Das treibt die Volkspartei in die Enge, und das macht die aktuelle Situation der Koalition unberechenbar.