Spaßdemonstranten
Martin Sellner ist Chef der rechtsextremen Identitären-Bewegung. Er kämpft seinen Kampf gegen die sogenannte Lügenpresse, momentan ohne seine Pfefferspray-Pistole. Die hat ihm die Polizei abgenommen, nachdem er – wie er sagt – zur Selbstverteidigung zwei Schüsse auf mutmaßlich linke Vermummte am Rand des Akademiker- vulgo Burschenschafterballs abgegeben hatte. Auch Norbert Gerwald Hofer kämpft seinen Kampf gegen die sogenannte Lügenpresse weiter, diesmal ganz elitär in einer aus Steuermitteln spesenfinanzierten Goldloge im Zentrum des Ballgeschehens. Spaßdemonstranten drinnen & draußen. Und der zuständige Innenminister hat sich zu ihrer Galionsfigur aufgeschwungen.
Wolfgang Sobotka ist sein Ministergehalt wert. Gefühlt jeden zweiten Tag prescht er mit einer Latte von Vorschlägen zur Verschärfung des Polizei- und Überwachungsstaates vor, als gäbe es kein Morgen und keine Grundrechte. Gern informiert er weder Freund noch Feind in der Bundesregierung von seinem Vorpreschen. Warum sollen es die Kollegen auch leicht haben, wenn man es ihnen so leicht schwer machen kann. In der eigenen Partei findet Sobotka dann schon jemanden, der seine Ideen gut findet. Und wenn es die siechende Wiener ÖVP ist, die das Verteilen von Taschenalarmen und das Kritisieren von Spaßdemonstrationen als ihren Markenkern sieht.
Das Funk’sche Paradoxon als Warnung
Der Innenminister ist schon gehörig zurückgerudert, und das geht ganz leicht, weil er ja keine Gesetzesvorschläge entworfen, sondern nur ein paar Ideen zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit in die Diskussion geworfen hat. Der Verfassungsrechtler Bernd Christian Funk hat sie als absurd bezeichnet und das in der ZIB2 mit diesem denkwürdigen Satz untermauert: Eine Spaßdemonstration gegen das Verbot von Spaßdemonstrationen wäre keine Spaßdemonstration. Dabei hat Wolfgang Sobotka selber schon eine gewisse Erfahrung im Spaßdemonstrieren.
Just kidding während der Regierungskrise
Die jüngste Regierungskrise ist ja noch nicht lange her, und Sobotka hat ihr die richtige Würze gegeben, indem er anklingen ließ, er werde seine Unterschrift sicher nicht unter den neuen Koalitionspakt setzen. Wie SPÖ-Chef Bundeskanzler Christian Kern das ein weiteres ultimatives Mal von allen Ministern eingefordert hatte. Ein Popanz sei das, den Kern da aufbaue. Nicht mit mir. Am Ende demonstrierte der Innenminister dann, dass das offenbar nur Spaß gewesen ist. Just kidding. Sobotka unterschrieb. Dem Vorhalt im Kurier-Interview, dass er das getan habe, weil ihn Kern und sein Parteichef Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sonst aus der Regierung geworfen und das auch schon dem Bundespräsidenten avisiert hätten – dem widersprach Sobotka nicht wirklich.
Übelriechender Spaß vor Sobotkas Haustür
Die wahre Spaßdemonstration des Niederösterreichers hat aber bei ihm zu Hause in Waidhofen an der Ybbs ihre Wurzeln. Besser gesagt dort vor seiner Haustür, wo sich mutmaßlich linke Übeltäter den mutmaßlich übelriechenden Spaß erlaubt haben, immer wieder einmal einen Haufen menschlichen Kots abzuladen – wie Sobotka offenbar zweifelsfrei spezifizieren konnte. Das ist natürlich kein Spaß. Aber dass der Minister diesen Schwank aus der Provinz der Gratiszeitung Heute erzählt hat, um hinzuzufügen, dass die Installation einer Videokamera diese Scheißkerle ein für allemal vertrieben habe – das ist eine Spaßdemonstration sondergleichen. Sie will uns sagen: Lasst euch überwachen, und alles wird gut. Egal in welcher Scheiße ihr steckt.
Deutschnationale Töne in Hofers Hofburg-Trakt
Auch kein Spaß ist, dass der Dritte Nationalratspräsident seine Loge beim von der FPÖ organisierten Akademikerball in der Wiener Hofburg auf Parlamentsspesen reserviert hat. Hofers siegreicher Konkurrent um die Präsidentschaft, Alexander van der Bellen, hat im anderen Trakt der Hofburg ein versöhnliches Lasst sie doch! hören lassen. Was für einen Bundespräsidenten mit grünen Wurzeln bemerkenswert ist. Van der Bellen hat aber das Tanzen gemeint und nicht das Reden. Hier hat FPÖ-Vize Hofer offenbar etwas verwechselt, als er in seiner Rede auf dem Akademikerball in alter deutschnationaler Verbundenheit die Farben Schwarz-Rot-Gold hochleben ließ – damit sich diese Farben wieder erheben können, wie Hofer laut dem Internetmagazin Vice sagte.
Breitseite gegen Medien auf Parlamentsspesen
Der Dritte Nationalratspräsident hat dort noch etwas gesagt: Bitte lassen Sie sich niemals beirren, von dem, was tagtäglich auf uns einprasselt. Tagtäglich, wenn wir in einer Stunde der Unvernunft ORF-Kanäle genießen, oder das profil oder News lesen. Lassen Sie sich davon nicht beeinflussen. Die Zeiten haben sich sehr geändert. Viele junge Menschen sind da. Ich weiß es von meinen Kindern, die sehen sich diese Kanäle und diese alten Zeitungen nicht mehr an. Sie sind modern, indem sie selbstständig sind. Indem sie sich ein eigenes Bild machen. Indem sie frei sind. Als ob man zum Konsum der sogenannten Lügenpresse gezwungen werden könnte. Eben nicht. Aber Hofer muss nur nach America great again schauen und kann sehen, dass sein Freund Donald Trump die Menschen den Qualitätsmedien zutreibt. Das ist gut so.
Mit dem Ober-Identitären im Lügenpresse-Boot
Und es ist auch gut, dass sich Burschenschafter und ein gescheiterter Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten versammeln und dabei behaupten können, was sie wollen. Hier schließt sich der Kreis zum Ober-Identitären Martin Sellner, mit dem Hofer ganz ausdrücklich nichts zu tun haben will, mit dem ihn aber eine profunde Abneigung gegenüber etablierten Medien verbindet. Die Lügenpresse in ihren Redaktionsstuben. Gegen die wettert Sellner in einem YouTube-Video, das er am Ort der Entwaffnung durch die Polizei – am Wiener Schottentor – aufgenommen hat. Der nicht auf den Mund gefallene Rechtsextreme hatte sich dort allein zum propagandistischen Gegenschlag versammelt. Wir wollen ihm glauben, dass das am Vorabend kein Spaß war. Aber sein Gezeter gegen die Medien war definitiv eine Spaßdemonstration. Geschenkt.
Nachhilfe in Sachen Grundrechte aus Rumänien
Eine Spaßdemonstration gegen das Verbot von Spaßdemonstrationen wäre keine Spaßdemonstration. Man kann dem zuständigen Innenminister nur noch einmal dieses Funk’sche Paradoxon ans Herz legen. Und einen Blick nach Rumänien, wo nach tagelangen Protesten von hunderttausenden Menschen Ministerpräsident Sorin Grindeanu am Samstag Abend in Aussicht gestellt hat, das Dekret zur Lockerung der Anti-Korruptionsbestimmungen zurückzunehmen. Versammlungsfreiheit wirkt.
Ein Gedanke zu „Spaßdemonstranten“
Eine journalistische Wohltat …