Sie reden Lavendel
Alfred Gusenbauer war der King. Einmal hat er im vermeintlichen Off als amtierender Parteivorsitzender vom üblichen Gesudere der SPÖ-Funktionäre gesprochen. Und 2002 hat er Wolfgang Schüssel in einer TV-Konfrontation entgegengeschleudert: Erzählen Sie keinen Lavendel! Jetzt hat sich Gusenbauers Nach-Nachfolger Christian Kern mit einem Sager in den Holler gesetzt, der auf seinen Kontrahenten Sebastian Kurz gemünzt war: Dessen Mantra von der Schließung der Mittelmeer-Route sei populistischer Vollholler, so Kern im vermeintlichen Off. Als ob nicht schon genug Lavendel geredet würde.
Von der Kronenzeitung zum Beispiel. Die stellt nach dem Vollholler-Sager des SPÖ-Chefs messerscharf fest, dass die Flüchtlinge jetzt zentrales Wahlkampfthema werden. Als würde die Krone nicht am laufenden Band Artikel wie etwa diesen bringen, wonach Heimatreisen von Flüchtlingen immer häufiger werden. Urlaub trotz Angst? Das steht über dem Titel. Das macht natürlich Stimmung in Wahlkampfzeiten. Rechte Plattformen greifen das im Netz ebenso auf wie Heinz-Christian Strache auf Facebook. Der FPÖ-Obmann hat dort einen Artikel der Kleinen Zeitung geteilt. Der ist einen Tag nach dem Krone-Artikel erschienen – offenbar inspiriert davon und mit einem Suggestivfoto.
Vollholler-Populismus & der Medien Beitrag
Dabei gibt es keine Zahlen, keine konkreten Fälle. Quelle ist eine Meldung der dpa, der Deutschen Presseagentur, die einen Bericht des Springer-Blattes Die Welt vom Herbst 2016 aufkocht. Schon damals wurde das nach dem Motto abgehandelt: Es gibt solche Fälle. Und es gibt keinerlei neue Erkenntnisse über einen Trend zum Heimaturlaub unter Asylwerbern, wie Krone und Kleine uns weismachen wollen. Erstere vermutet zusätzlich: In Österreich dürfte die Situation ähnlich aussehen. Zweitere hat immerhin den Sprecher des österreichischen Innenministeriums angerufen, der ihr bestätigt hat, dass er diese Geschichten kennt. Lavendel vom Feinsten. Und wirkt.
Nächster Halt gescheitertes Sicherheitspaket
Demnächst wird wohl das sogenannte Sicherheitspaket scheitern, das der Polizei strengere Überwachungsmethoden in die Hand geben soll. Der raschere Zugriff auf Videokameras und die Erfassung von Autokennzeichen sind in den Augen von Innenminister Wolfgang Sobotka die wichtigsten darunter. Wenn es nach dem ÖVP-Mann geht, wären diese Maßnahmen schon längst in Kraft. Weil die SPÖ aber auf einer ausführlichen Begutachtung dieser datenschutzrechtlich sehr sensiblen Materie besteht, wird vor der Wahl nichts mehr daraus werden. Sobotka hat für den Fall schon angekündigt, dass der Kampf gegen den Terror und die angebliche Behinderung der Ermittler dann ein Wahlkampfthema werde. Die Kronenzeitung darf schon titeln.
Wahlkampf-Hit Mittelmeerroutenschließung
Natürlich ist wichtig, wie wir in Europa und in Österreich mit der Migration umgehen. Die Schließung der Mittelmeer-Route könnte das Ertrinken von Menschen verhindern und die absehbare Überforderung Italiens hintanhalten. Das ist eine europäische Aufgabe – mit Schlagworten, in denen die gefeierte Westbalkanroutenschließung anklingen soll, ist keinem gedient. Außer man will damit im Wahlkampf punkten. Der Boden dafür ist, wie gesagt, schon aufbereitet. Dabei müssten jetzt endlich Antworten gegeben werden, die überfällige Entscheidungen in Österreich möglich machen, die auch nur in Österreich zu treffen sind. Denn ohne diese Antworten wird das Neue, das da nach dem 15. Oktober in welcher Form auch immer kommen wird, schnell alt aussehen.
Viel wichtiger, die Veto-Spieler einzufangen
Josef Urschitz hat es in einem Leitartikel so formuliert: Spart euch doch einfach die traditionellen Wahlprogramme. Wir wollen wissen, wie die kommende Regierung die Blockadestrukturen ändern will. Bloße Überschriftensammlungen interessieren uns nicht mehr. Genau das ist der Punkt. Der Plan A von Christian Kern liegt vor, der Plan B von Sebastian Kurz kommt im September, der Plan C von Heinz-Christian Strache vielleicht sogar früher – aber alles, was diese Politiker versprechen, ist nur etwas wert, wenn sie es auch umsetzen können. In Österreich sind zu viele Veto-Spieler auf dem Feld. Wenn man die einfängt, dann klappt es vielleicht auch mit den Plänen.
Schulreform als das abschreckende Beispiel
Bei der Schulreform haben die Länder erzwungen, dass das Zuständigkeits-Chaos im Bildungsbereich nicht nur nicht entwirrt, sondern in Form einer gemischten Bund-Land-Behörde namens Bildungsdirektion so richtig festgeschrieben wird. Der Aufschrei des früheren Rechnungshof-Präsidenten Josef Moser hat nichts bewirkt. Die Pläne für mehr Autonomie der einzelnen Schulen sind auf Druck der Lehrergewerkschaft verwässert worden. Um die Gewerkschaft zu befrieden, soll sogar eine durchschnittliche Klassen-Schülerhöchstzahl in die Verfassung geschrieben werden. Aber das reicht ihnen nicht, die Lehrervertreter drohen schon mit Maßnahmen zu Schulbeginn, also vor der Wahl.
Der Vorhang fällt und alle Fragen offen
Von dem Trauerspiel um die Ermöglichung von Modellregionen für die gemeinsame Schule – ohnehin nur in kleinen Bundesländern – ganz zu schweigen. Fast möchte man sich wünschen, dass dieser Reformkompromiss scheitert. Obwohl es natürlich eine Verbesserung gegenüber dem Status quo wäre. Die Gefahr ist, dass es dann heißt: Nach dieser Jahrhundertreform lassen wir es jetzt einmal gut sein. Obwohl alle wissen, dass nichts gut ist. Von den Brennpunkt-Schulen und zu wenig Unterstützung für die Lehrer dort bis hin zu einem modernen Lehrerdienstrecht mit Anwesenheit in den Schulen samt menschenwürdigen Lehrer-Arbeitsplätzen. Und viel mehr.
Volksabstimmungen als Blockaden-Ausweg?
Jeder weiß, dass das gemacht werden müsste, aber SPÖ & ÖVP haben sich über vieles einfach nicht drüber getraut. Da sind Länder, Gewerkschaften und Kammern vor. FPÖ-Obmann Strache hat deshalb als Koalitionsbedingung Volksabstimmungen über die Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern, die Zusammenlegung von Kassen und über eine ORF-Reform genannt. Auch SPÖ-Chef Kern will den Hebel Volksabstimmung nützen, aber um den Bundesstaat zu reformieren. Die Sozialpartnerschaft und damit indirekt den Kammerzwang sowie die Sozialversicherung in der bestehenden Form der Selbstverwaltung hat die SPÖ gleichzeitig in ihrem Wertekatalog einzementiert.
Vollmachten von Kurz werden nicht ausreichen
Und Sebastian Kurz? Der gibt der Bundes-ÖVP ein neues Design, lässt an einem neuen Web-Auftritt basteln und sammelt Likes auf seiner Facebook-Seite. Nicht zuletzt mit der kompletten Mittelmeerroutenschließung. Wie Kurz die Veto-Spieler in den Griff kriegen will, die in seiner Partei besonders zahlreich vertreten sind, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass seine Vollmachten, die ihm der Parteitag am 1. Juli ins Statut schreiben wird, dafür nicht ausreichen werden.