Deep Türkis
Eine von Facebook erschaffene Künstliche Intelligenz hat während eines Experiments eine Sprache erschaffen, der selbst die Entwickler nicht mehr folgen konnten. Spannende Meldung. Die Bots Bob und Alice – zwei automatisierte Computerprogramme – haben sich entschieden, nicht mehr wie vorgesehen und programmiert auf Englisch miteinander zu kommunizieren, sondern in einer abgewandelten Geheimsprache. Die Spezialisten von Facebook haben das Experiment daraufhin abgebrochen. In der österreichischen Innenpolitik läuft der Feldversuch hingegen munter weiter, und Deep Türkis ist in Hochform.
Zwischen den High-Tech-Pionieren Elon Musk und Mark Zuckerberg läuft gerade eine Debatte, wie gefährlich Künstliche Intelligenz oder Artificial Intelligence sein kann. Wobei Tesla-Gründer Musk mit drastischen Worten vor den Gefahren warnt, während Facebook-Gründer Zuckerberg dagegenhält und betont, welche Segnungen Künstliche Intelligenz für die Menschheit bringen werde. Der frühere Schachweltmeister Garri Kasparow ist Zuckerberg jetzt zur Seite gesprungen. Ausgerechnet der Mann, der in den 1990-er Jahren von einem Computer namens Deep Blue im Schachspiel besiegt worden ist, macht sich für Künstliche Intelligenz stark. Vielleicht gerade deshalb.
Seltsame Allianzen bei Intelligenz & Unintelligenz
Seltsame Allianzen auch im Wahlkampf in Österreich. Stefan Petzner, der den Schatten von Deep Blue Jörg Haider als dessen skrupelloser Kommunikationschef wohl nie ganz loswerden wird, in den Diensten der SPÖ? Die braucht einen Kampagnenleiter, der der gut geölten Maschinerie von Sebastian Kurz etwas entgegensetzen kann. Kontakte der Parteispitze mit Petzner sind hier und hier dokumentiert, und fertig waren die Gerüchte, die man jetzt heftig dementieren muss. Es nützt nur nichts. Stefan Petzner gilt jetzt als der verhinderte Guru einer SPÖ-Kampagne, die diesen Namen verdient und nicht mehr so rumpelt wie das, was bisher so unter diesem Titel gelaufen ist.
Ein verhinderter SPÖ-Guru namens Stefan Petzner
Petzner hat im Fellner-Blatt Österreich auch einen guten Rat parat, der die Roten nicht einmal etwas kostet: Wenn man mich fragen würde, würde ich der SPÖ raten, keinen rechten Flüchtlings- und Sicherheitswahlkampf zu führen. Weil das nämlich schon Kurz und Strache sehr intensiv und umfassend machen, das sieht jeder mit freiem Auge. Wer solche Ratschläge bekommt, braucht für den Spott nicht zu sorgen.
Wenn dir Stefan Petzner ("Kärnten tschetschenenfrei") sagt, du sollst keine rechte Kampagne fahren: Was sagt das dann über dich, liebe SPÖ?
— Paul Schuierer-Aigner (@pablodiabolo) July 30, 2017
Selbstlernendes Experiment Kurz for Kanzler
Und für schlechte Schlagzeilen in tendenziell Kurz-freundlichen Medien ist sowieso gesorgt. Das neue profil titelt provokant: Ist die Wahl schon gelaufen? Auf dem Cover aktuelle Umfragewerte und Kern & Strache, die von einem strahlenden Kurz überragt werden. Deep Türkis macht bisher einfach alles richtig. Wie ein gut funktionierender Bot hat er in dem seit Jahren laufenden Experiment Kurz for Kanzler gelernt und gelernt und gelernt: Zuwanderung und Integration sind das Thema unserer Zeit. Mach dich da zu einer Marke. Provoziere Kritik und Widerspruch, das macht dich nur stärker.
Eine perfekt programmierte Wahlkampf-Maschine
Jetzt spielt Kurz aus. Als würde eine perfekt programmierte Maschine gegen Menschen antreten. Kasparow lässt grüßen. Und Deep Türkis verfeinert sein Programm laufend. Wenn Emmanuel Macron, der französische Präsident, Geheimdiplomatie in Libyen betreibt, erstmals von einem Waffenstillstand in diesem failed state die Rede ist und erstmals konkrete Perspektiven für Migrationszentren in Nordafrika auftauchen – dann schreibt Sebastian Kurz auf seiner Facebook-Seite: Wir begrüßen das als wichtigen Beitrag zur Schließung der Mittelmeer-Route und zum Stopp illegaler Migration. Macron hat gehandelt, und Kurz moderiert sein Lieblingsthema.
Der doppelte Coup mit Kira Grünberg
Dazu präsentiert der ÖVP-Chef seine Listen-Überraschungen im Rahmen einer großen Inszenierung, der sich die bewegtbild-abhängigen Medien – und das sind heute dank Online fast alle – nicht entziehen können und wollen. Mit Kira Grünberg als Behindertenvertreterin im Parlament ist Kurz ein doppelter Coup gelungen: Sie ist nicht nur populär, sondern sie kandidiert auch auf Platz eins der Tiroler Landesliste. Damit hat Kurz en passant demonstriert, wie weit sein starker Arm in der ÖVP reicht – wenn er seine Kandidatin sogar auf dem Spitzenplatz im Land unterbringt und der farblose Umweltminister das Nachsehen hat. Der Deal dahinter mit den Tirolern ist sekundär.
Der Spin vom Kahlschlag bei den Abgeordneten
Der Journalist Hubert Wachter, ein Mann mit guten Drähten in die ÖVP, schreibt in seinem Tagebuch in den Niederösterreichischen Nachrichten: Schon ist von einem bevorstehenden Kurz-„Massaker“ die Rede, was seinen künftigen Abgeordneten-Klub im Nationalrat angeht. Den wolle er zu 80 (!) Prozent erneuern, heißt es. Wenn Kurz das gelingt, dann ist in der ÖVP wohl wirklich alles möglich. Vorerst reicht allein dieser Spin, um den Eindruck der Unantastbarkeit des ÖVP-Spitzenkandidaten zu festigen. Die SPÖ wird am Donnerstag auf dem Parteirat ihre Bundesliste fixieren, große Überraschungen in Form von Quereinsteigern wird es nicht geben. Am Ende kriegt womöglich auch noch Josef Cap einen sicheren Platz, weil er so gut reden kann.
Von Mark Zuckerberg lernen statt von Elon Musk
Mensch gegen Maschine. Die SPÖ wird sich in den verbleibenden elf Wochen bis zur Nationalratswahl noch einiges einfallen lassen müssen und wird im Petzner’schen Sinn gut beraten sein, nicht zu sehr dem programmierten Kurz-Kurs hinterher zu hecheln. Aufschwung, Pensionen und Arbeitsplätze wären eine Idee. Sachpolitik, wie sie Peter Pilz mit seiner Liste andeutet, die den Sozialdemokraten von der anderen Seite her den Raum eng macht. Die FPÖ hingegen kann im Herbst Wirtschaftskonzepte austeilen, so viele sie will – und kann doch nur hoffen, dass das Wahlkampf-Pendel in der Causa Prima am Ende doch noch zu ihren Gunsten ausschlägt.
Und ganz generell sollten sich die Mitbewerber von Sebastian Kurz eher an Mark Zuckerberg und Garri Kasparow statt an Elon Musk halten: Deep Türkis mag ihnen gefährlich werden, aber durch Schlechtreden werden sie ihn nicht stoppen.
Ein Gedanke zu „Deep Türkis“
Das Profil versucht sich offenbar als Wahrsager um dann nach der Wahl den Ausgang schon vor Wochen geschrieben zu haben. Das die SPÖ derzeit auch thematisch nicht wirklich prickelnd ist und in der Öffentlichkeit wenig präsent ist, dem kann nur zugestimmt werden. Was noch nicht einschätzbar ist, ist wie die SPÖ den Intensiv-Wahlkampf anlegen wird. Es könnte durchaus sein, dass der direkte Kontakt von Kern mit der Bevölkerung und den angesprochenen Themen rund um die soziale Sicherheit, dann doch noch das Pendel in Richtung SPÖ ausschlagen lässt. Außerdem sind auch noch die TV-Konfrontationen zu absolvieren und spätestens hier muss sich Kurz auch mit einem Programm präsentieren. Ab dann könnte es noch spannend werden.