Seehofers Trost
Wir haben noch in keinem Bereich eine einzige Entscheidung. Sprach ein sichtlich genervter CSU-Chef Horst Seehofer, der die schwarz-gelb-grünen Verhandler im Berliner Jamaika-Dilemma gefangenhält. Zwischendurch spechtelt Seehofer sicher gern einmal nach Wien, wo mit Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache zwei CSU-affine Zeitgenossen am Verhandlungstisch sitzen und so tun, als würden sie Nägel mit Köpfen machen. Tatsächlich haben sie gerade einmal eine einzige Entscheidung kommuniziert: Nämlich dass sie im Bereich Sicherheit, Ordnung und Heimatschutz grosso modo am selben Strang ziehen. Wer hätte das gedacht.
Sinnvolle Verbesserungen bei der Ausbildung und der Besoldung von Polizisten, die aber erst einmal finanziert werden müssen. Ein Anti-Terror-Paket, das die ÖVP mit der SPÖ nicht umsetzen konnte – und das auch der FPÖ immer noch zu weit geht. Es spießt sich nicht am Bundestrojaner zur Überwachung von Messenger-Diensten wie WhatsApp, versicherten Kurz und Strache. Man ist sich halt nur noch nicht einig. Und dann natürlich Verschärfungen zur Abschreckung von Migranten, Asylbewerber sollen zum Beispiel nicht mehr individuell untergebracht werden. Wie das mit den staatlichen Ersatz-Quartieren dann gehen soll, weiß man aber noch nicht. Es musste halt schnell eine Einigung her.
Fix ist vor allem die Attacke auf Wien
Fix ist dafür, dass Wien mittels Grundsatzgesetzgebung ein Modell à la Ober- und Niederösterreich für die Mindestsicherung aufgezwungen werden soll. Die zuständige SPÖ-Stadträtin Sandra Frauenberger hat bereits Widerstand dagegegen angekündigt. Der Vorhang für den ersten Akt im Drama Schwarz-Blau gegen das rot-grüne Wien ist auf, die Rollen sind verteilt, die Darsteller können ihren Text. Wer immer sich in der Wiener SPÖ als Häupl-Nachfolger durchsetzen wird: Der Außenfeind, der in Fällen innerer Zerrüttung stets gute Dienste leistet, serviert sich gerade selber auf dem Silbertablett. Dass Kurz und Strache für das Manöver gegen Wien einen Verfassungsartikel anwenden wollen, den die Landeshauptleute gerade erst zur Streichung vorgeschlagen haben – zeigt einmal mehr, wofür der Föderalismus hierzulande gut ist: zum Tricksen und Blockieren.
Als hätte André Heller für mehr Pep gesorgt
Der lückenhaften Frohbotschaft aus den Koalitionsverhandlungen ist eine paradoxe Intervention des Bundespräsidenten vorausgegangen. Alexander Van der Bellen hat ausgerechnet am Rande seines Papst-Besuchs in Rom gegenüber Journalisten festgehalten, dass ihm bei Schwarz-Blau ein bisschen der Pep fehlt. Etwas Neues habe er bei den Verhandlungen von ÖVP und FPÖ noch nicht entdecken können, so Van der Bellen nur wenige Stunden, nachdem seine Absagen an die FPÖ-Spitzenpolitiker Harald Vilimsky und Johann Gudenus als mögliche Minister bekannt geworden waren. Seine diesbezüglichen Aussagen vor EU-Botschaftern wollte der Bundespräsident hingegen nicht kommentieren, schon gar nicht vom Ausland aus. Ein rhetorisches Kunstprojekt, als hätte es der mitreisende André Heller höchstselbst ersonnen.
Der Boulevard-Riese rügt den Störenfried
Die Kronenzeitung nützte die Gelegenheit zu einem ordentlichen Schuss vor den Bug von Professor Störenfried, wie das Staatsoberhaupt vom Boulevard-Riesen abschätzig bezeichnet worden ist. Auf der anderen Seite konnte sich die Krone vor Begeisterung über das versprochene Durchgreifen bei der Mindestsicherung fast nicht mehr einkriegen. Gib dem Boulevard, was er haben will, dann gewinnst du Zeit für die Verhandlungen. Man sollte die jüngste Zwischenbilanz wohl eher vor diesem Hintergrund sehen. Denn Zeitgewinn tut not, weil die Verhandlungen über die wirklich großen Themen immer mühsamer und zäher werden. Je tiefer man in Kernfragen des bestehenden Systems – wie Kammerpflicht und Sozialversicherungswesen – eindringe, umso mehr werde das Türkis vom altbekannten ÖVP-Schwarz überlagert, hört man von freiheitlicher Seite.
Wenn der schwarze Ballast zum Vorschein kommt
Um die Versprechen der umfassenden Erneuerung einzuhalten und den Erwartungen gerecht zu werden, muss vor allem die ÖVP über ihren Schatten springen. Die FPÖ tut sich da leichter, hat dadurch aber auch viel klarere rote Linien. Strache, Kickl & Hofer sind angetreten, um die ÖVP nicht länger vor sich herzutreiben, sondern sie auf ihre Seite zu ziehen. Das ist aber insofern schwierig, als an der Kurz-ÖVP neun Landesparteien und sechs Bünde dranhängen, das bremst. An der Spitze der schwarzen Teilorganisationen hat zwar eine veritable personelle Erneuerungswelle Platz gegriffen, die Sebastian Kurz in die Hände spielt. Doch Mikl-Leitner, Stelzer, Mahrer & Co. haben deshalb ihre jeweiligen Partikularinteressen auch nicht an der Garderobe abgegeben.
Wenn die eine Partei den Kanzler stellt, stellt die andere den Finanzminister. Das ist logisch. Strache im #Fellnerfernsehen
— Stefan Kappacher (@KappacherS) November 16, 2017
Freiheitliche stecken Claims in Regierung ab
Dazu kommt, dass die Freiheitlichen auch immer offener ihre personellen Claims für Regierungsämter abstecken. Zu Beginn stand das Innenressort im Mittelpunkt, jetzt hat Heinz-Christian Strache den Fokus auf das Finanzministerium gelenkt, das der FPÖ quasi zustehe – während die ÖVP-Seite immer noch von einem Superkanzler Kurz träumt. Und für das vom Bundespräsidenten beim Mittagessen mit den EU-Botschaftern als hochsensibel – sprich: schützenswert – eingestufte Außenministerium hat sich keine Geringere als die Nahost-Expertin Karin Kneissl gemeldet: Strache hat mich eine Woche nach der Wahl gefragt, ob ich Außenministerin werden will. Und ja, ich möchte dieses Angebot als Unabhängige annehmen, sagt Kneissl.
Burschenschafter-affine Nahost-Expertin zeigt auf
Die FPÖ-affine Arabistik-Expertin mit ÖVP-Vergangenheit (im Kabinett des damaligen Außenministers Alois Mock) polarisiert mit ihrer Position zum Islam. Die erläutert sie auch vor Burschenschaftern, die sonst dem Chef der als rechtsextrem eingestuften Identitären lauschen. Und die kommt auch immer wieder in seltsamen Ausformungen daher: Im Arabischen gibt es für Verben keine Konjugationsform für die Zukunft, das Futurum wird mittels einer Vorsilbe gebildet. Kneissl leitet daraus eine gott- und schicksalsergebene Mentalität arabischer Menschen ab, denen sie damit die Zukunftsorientiertheit abspricht.
Kneissl polarisiert – aber sie ist ein geschickter Schachzug von FPÖ-Obmann Strache. Und ein gelungener Konter auf die roten Karten des Bundespräsidenten für seine zwei Statthalter. Sollte Horst Seehofer also dann und wann sehnsüchtig auf dieses Stück blicken, das es gerade in Wien spielt, dann muss er sich nicht grämen. Es läuft zwar nicht ganz so unrund wie Jamaika, aber es kneisslt auch hier ganz schön im Gebälk.