Beim Barte des Hofer
Wie es aussieht, kann Sebastian Kurz als frischgebackener österreichischer Bundeskanzler zum Dezembergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs fahren. Die Freiheitlichen hätten dem ÖVP-Obmann gar keinen größeren Gefallen tun und keinen innigeren Vertrauensbeweis liefern können, als ihm die Einhaltung dieser zeitlichen Vorgabe zu ermöglichen. Und die ist typisch für die Symbolpolitik, die Schwarz-Blau an den Tag legt: Nicht einmal mehr einen letzten großen Auftritt auf dem Brüsseler Parkett soll er haben, der noch amtierende Kanzler & SPÖ-Chef Christian Kern. Für Kurz wäre das gewiss eine persönliche Genugtuung. Und Norbert Hofer lässt sich inzwischen einen hässlichen Bart wachsen.
Das hässlich kommt von Hofers Mutter, und die Sache mit dem Bart hat sich der kommende Infrastrukturminister von den Eishockey-Profis abgeschaut, die sich in der Playoff-Phase bis zum bitteren oder siegreichen Ende auch einen Bart stehen lassen. Tennis-Legende Björn Borg hat das bei seinen Turnieren in Wimbledon ebenfalls so gemacht. Doch wir wollen jetzt nicht hinterfragen, wer diese Koalitionsverhandlungen gewinnen und wer sie verlieren wird. Denn solange das Match um die Aussetzung des Rauchverbots in Lokalen zwischen dem Raucher Heinz-Christian Strache und dem Nichtraucher Kurz nicht entschieden ist, herrscht strikte Augenhöhe. Und solange es Hofers Bart in die ZIB1 und in die ZIB2 schafft, haben immer noch beide gewonnen.
Viel Rauch um ein rückwärtiges Signal
Erfolgreiche Symbolpolitik halt. Dazu zählt auch, wenn Strache nach einem gewiss harten Verhandlungstag noch bei den Wirten vorbeischaut, die sich im Qualm eines Wiener Innenstadtlokals unweit der ÖVP-Zentrale zum Protest gegen das ab Mai 2018 geltende Rauchverbot versammelt haben. Er werde sein Bestes geben, um die ÖVP von der Unsinnigkeit des Nichtraucherschutzes zu überzeugen, verkündete Strache dort sinngemäß. Ein besseres Symbol für rückwärts gerichtete Politik gibt es nicht.
Römischer Einser für die Symbolpolitik
Da können selbst die Ziffernnoten nicht mithalten, die ÖVP und FPÖ in den ersten bis dritten Klassen der Volksschulen jetzt wieder fix vorschreiben wollen. Als eine der ersten Maßnahmen der sogenannten Bildungsreform ist vor gerade einmal einem Jahr in den Schulen das hier angekommen: Die Elternvertreter im Schulforum entscheiden, ob verbale Beurteilung stattfindet oder Noten vergeben werden – außer in der vierten Klasse, wo Noten für den Übertritt ins Gymnasium in diesem System der zu frühen Trennung unerlässlich sind und diesen Effekt noch einmal verschärfen. Schwarz-Blau macht die Noten wieder zur Regel, die verbale Beurteilung darf Beiwerk bleiben. Der Aufschrei der Kritiker war kalkuliert, die vielen offenen Fragen zur Bildungspolitik von Schwarz-Blau wurden verdrängt, die Symbolpolitik hat funktioniert. Römisch eins.
Und plötzlich war Südtirol auf dem Tapet
Römisch ist ein gutes Stichwort für den nächsten symbolischen Coup von Schwarz-Blau. Südtirol ist auf dem Tapet, konkret geht es um die doppelte Staatsbürgerschaft. Ein Herzensanliegen der Freiheitlichen und mancher Südtiroler, eine diplomatisch und möglicherweise auch rechtlich allerdings eher delikate Angelegenheit. Sie hat aber respektable Fürsprecher wie den Südtiroler Altlandeshauptmann Luis Durnwalder, der einen günstigen Wind für die Sache sieht. In den Koalitionsverhandlungen wird dieses Thema auf Chefebene geklärt, und das ist nur würdig und recht in diesen Tagen, da der Hofer mit dem richtigen Bart zum 250. Geburtstag gewürdigt worden ist. Auf eine ideologische Südtirol-Debatte – Stichwort: rückwärtsgewandt – kann man setzen.
Vor lauter Symbolen die Politik nicht sehen
Die Gefahr besteht, dass vor lauter Symbolen die Politik nicht mehr gesehen wird. Hinter der Verfahrensbeschleunigung, mit der man eine dritte Piste auf dem Flughafen Wien-Schwechat und weitere Großprojekte einfacher möglich machen will, versteckt sich ein Rückbau der Umweltpolitik. Der wird tatkräftig von den Landeshauptleuten unterstützt, wie man hier und hier nachlesen kann. Hinter der Redimensionierung der Gebietskrankenkassen versteckt sich möglicherweise eine Türschild-Aktion, durch die sich substanziell wenig ändert, aber der politische Gegner – die roten Gewerkschafter – könnte damit geschwächt werden. Und auf den dringend notwendigen Umbau des Bundesstaates mit den verworrenen Kompetenzen warten wir ohnhehin noch.
Keine Schonfrist für schwarz-blaues Dream-Team
Was genau mit dieser Regierung weitergeht, hängt auch ganz stark davon ab, wie die Ministerposten besetzt werden. Der hässlich-bärtige Hofer hat sehr offen bestätigt, was jeder weiß: dass natürlich längst über diese Posten geredet worden ist. Norbert Hofer sieht sich schon im Infrastrukturressort, die Nahost-Expertin Karin Kneissl könnte auf einem FPÖ-Ticket das Außenministerium übernehmen. Die ÖVP-Ministerriege wird großflächig ausgetauscht: Nach Sophie Karmasin, Harald Mahrer und Wolfgang Brandstetter ist jetzt auch Hansjörg Schelling fix draußen. Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache können sich also ein Dream-Team zusammenstellen und sofort loslegen, wenn der Bart dann ab ist. Eine Schonfrist werden sie nicht wollen.
Ein Gedanke zu „Beim Barte des Hofer“
Beim Barte aller Hofers – ein sehr guter Kommentar. Bleibt nur zu hoffen, dass den Verhandlern (nicht genderbar) außer hässlichen Haaren auch gute Ideen sprießen
Bei „Bildungsreform retro“ wär ich vorsichtig. Weniger als die bislang unter „modern“ produzierten 25 % Nichtleser können es kaum werden.
Straches Herz (und Lunge) für Raucher hat Potential für ein paar tausend Tote mehr national
und jede Menge Gespött international. Suchst du Speis und Trank in verstunkenen Lokalen, musst du nach Österreich. Wie wohl die EU reagieren wird? Ein erster Fall für Volkes (rauchige) Stimme?
Wo blieben Herr Moser und seine Ideen für eine Verwaltungs/Bundesstaatsreform? Keinerlei Rauchzeichen am Himmel. Wir hören nichts. Möglicherweise ein gutes Zeichen. Wer will schon ferne Landesfürsten wecken. Vielleicht aber auch ganz schlecht, weil sie sich wie Straches letzte Zigarette längst in Rauch aufgelöst haben.