Drummerqueens
Die SPD hat noch einen Parteitag, der muss der Aufnahme von formellen Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU erst zustimmen. Aber der Kurs der künftigen deutschen Bundesregierung wäre mit dem Sondierungspapier schon einmal abgesteckt. Und unter dem Punkt Migration und Integration auf Seite 21 findet sich eine waschechte Schwarz-Blau-Pause: Die schwarz-rote Berliner Variante der umstrittenen Gundversorgungszentren vulgo Asylwerber-Lager heißt Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen kurz ANkER und soll genau das Gleiche können. Derweil wird in Wien gegen Rechts demonstriert.
Die Unions-Sondierer hatten am Ende noch eine Finte versucht, die das Denken hinter der Maßnahme sehr gut zum Ausdruck bringt. In der Endfassung des Papiers, das in dieser Form auch an das eine und andere deutsche Medium hinausgegangen ist, war noch der Halbsatz zu lesen, dass in den neuen ANkER-Einrichtungen Residenzpflicht herrscht und das Sachleistungsprinzip gilt. Absolute Kontrolle, das ist der Plan.
Die Sozialdemokraten hatten zwar den Asylwerber-Zentren nach österreichischem Vorbild zugestimmt, wollten aber dann nicht bis zur letzten Konsequenz mitgehen und haben Residenzpflicht und Sachleistungen wieder hinausreklamiert. Der Halbsatz steht im offiziellen Sondierungspapier daher nicht mehr drinnen. Aber was nicht ist, kann in den allfälligen Koalitionsverhandlungen dann immer noch werden.
Blaue Dramaturgie geriet zum Drama
Im schwarz-blauen Regierungsprogramm steht von solchen Einrichtungen wie ANkER genau genommen gar nichts drinnen, der Schlüsselsatz ist mehr so österreichisch und gar kein richtiger Satz. Auf Seite 34 steht nur: keine individuelle Unterbringung. Das mit Leben zu erfüllen, blieb dem freiheitlichen Part in der Regierung überlassen, doch die Dramaturgie geriet zum Drama. Zunächst hat FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus die Unterbringung von Asylwerbern am Stadtrand von Wien vorgeschlagen, in der hitzigen Debatte war dann schnell von Massenlagern die Rede. Worauf Vizekanzler FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache meinte, man könnte die Asylbewerber doch auch in Kasernen unterbringen, und eine Ausgangssperre am Abend wäre auch nicht ganz falsch.
Ein Rescue Center für den Innenminister
Schließlich hat Innenminister Herbert Kickl dann für die Lager den Begriff Rescue Centers ins Spiel gebracht und mit Grundversorgungszentren ins Österreichische übersetzt. Um zu veranschaulichen, dass es sich keinesfalls um Massenlager handle, weil das ganz etwas anderes sei, hat Kickl das Bild eines Turnsaals bemüht, in dem amerikanische Hurrikan-Opfer behelfsmäßig untergebracht sind und quasi Matte an Matte auf dem Boden liegen. Die Grundversorgungszentren, das sei nur der Begriff für eine Infrastruktur, um diejenigen, die in ein Asylverfahren eintreten, auch entsprechend konzentriert an einem Ort zu halten. Sprach Herbert Kickl, und die halbe Welt fasste das als dreiste Anspielung auf. Das Mastermind als ultimative Dramaqueen.
Kickl unter Feuer, Hofers Hand im Feuer
Kickl hat zunächst ungehalten auf die Frage nach der Anspielung reagiert: Ob das eine bewusste Provokation gewesen sei? Im Gegenteil, er halte mehr diesen Vorwurf für eine Provokation, sagte der Innenminister noch in der Pressekonferenz. Am Abend kam dann eine Aussendung mit einer Klarstellung, auf die sich später der Bundeskanzler beziehen sollte. Norbert Hofer legte umgehend die Hand für Kickl ins Feuer. Das sei diesem Drechsler von Wahlslogans und Wordings sonder Zahl einfach passiert. Kickl habe sich wahnsinnig darüber geärgert, ließ der FPÖ-Regierungskoordinator am Rande eines Ö1-Interviews durchblicken. Vizekanzler Strache wiederum probierte es mit Kritik an den Medien, die mit an den Haaren herbeigezogenen Vergleichen arbeiten würden.
Das Kreuz der FPÖ mit der Symbolik
Das Problem der FPÖ ist: Selbst wenn Kickl das tatsächlich unbedacht gesagt haben sollte – es glaubt ihnen halt keiner außerhalb der eigenen Reihen, und schon gar nicht im Ausland. Dort hat sich das Bild von dieser Regierung schon verfestigt, die Details kommen Tag für Tag frei Haus. Einmal Kickl als Dramaqueen, dann wieder Strache als Drummerqueen mit einem unfassbaren Auftritt in Tirol.
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Friedlicher Protest gegen die Regierung
Die Demonstration gegen die Regierung am Samstag in Wien, an der laut Polizei 20.000 teilgenommen haben (laut Veranstalter dreimal so viele), hat einen für das Land wichtigen Kontrapunkt in der Außenwirkung gesetzt. Alles ist so friedlich gelaufen, dass die (im Umfeld des jetzigen Innenministers in der FPÖ entstandene) rechte Internet-Plattform unzensuriert.at konsterniert feststellen musste: Schwarzer Block schont Kräfte für Akademikerball. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, quasi. Die Großdemonstration fand sogar in US-amerikanischen Medien wie der Washington Post Widerhall.
Die Hoffnung auf ein rasches Knittelfeld
Wer die Wirkung dieses Protests im Inneren anzweifelt und vielleicht sogar feststellt, dass das tendenziell der Regierung nützt, weil es sie zusammenschweißt, bekommt es freilich auch mit Dramaqueens zu tun. So wie Oppositionschef Christian Kern von der SPÖ scheinen alle Regierungskritiker auf ein rasches Knittelfeld zu hoffen. Sie wollen nicht einmal daran denken, dass Norbert Hofer vielleicht recht hat, wenn er sagt: Wir sind gekommen, um zehn bis fünfzehn Jahre zu bleiben. Sebastian Kurz sieht das gewiss auch so. Die Proteste hat er in seinem Drehbuch der Machtübernahme selbstverständlich berücksichtigt. Den jungen Kanzler kann nichts erschüttern.
Kurz macht Politik fern der Abgründe
Möge der Regierungspartner an semantischen Abgründen entlangwandeln, mögen Regierungsgegner auf der Straße dagegen protestieren: Sebastian Kurz macht große Politik. Er hat seinen ersten bilateralen Auslandsbesuch in Paris absolviert – herzlich empfangen von Emmanuel Macron, der Kurz endgültig die europapolitische Absolution erteilt hat. Die Rechtspopulisten in der Regierung, die hätte man früher verhindern müssen, da kann man nichts machen, sagt ein Staatspräsident, in dessen Land eine Regierungsbeteiligung des Front National immer noch ein No-Go ist. Die deutsche Presse jubelt den österreichischen Kanzler zum Retter Europas hoch, und Kurz hält sich nicht lange auf mit Erklärungen zu den Niederungen seiner Politik.
Sag ma, es war nix auf der Meta-Ebene
Auf Kickl sei er noch nicht angesprochen worden, so Kurz in Paris. Wenn ich darauf angesprochen werden sollte, dann kann ich darauf verweisen, dass der Innenminister seine Aussage ja schon klargestellt hat. Ich glaube, dass diese Klarstellung auch wichtig war. Das klingt ein bisschen wie Geschwurbel, ist aber ganz hohe Schule. Ein formvollendetes Sag ma, es war nix auf der Meta-Ebene.