Im falschen Film
Bunte Gratisblätter füllen die Wiener Ferienwoche mit seltsamen Opernball-Geschichten über Sebastian Kurz. Ernstzunehmende Tageszeitungen verbreiten Propaganda-Fotos vom Instagram-Account des Kanzlers, die diesen nach dem Opernball gepflegt beim Würstelstand zeigen. Auch seltsam. Und die gleiche Zeitung schreibt dann über Message Control der Regierung, der sie selber so plump auf den Leim geht. Gleichzeitig kommt von der Regierungspartei FPÖ mit ihren publizistischen Wasserträgern unverhohlener Druck gegen Journalisten und gegen den ORF. Der polit-mediale Komplex ist im falschen Film.
Den Vogel abgeschossen hat der Österreichische Journalistenclub, dessen Präsident ernsthaft Protest gegen die Auflösung der Bundespressedienstes in der bisherigen Form einlegte. Der Vergleich mit Metternich, dem Feind der Pressefreiheit, durfte nicht fehlen. Obwohl es sich dabei um eine letztlich nur konsequente Neuorganisation im Bundeskanzleramt handelt: Wer Regierungsmarketing so versteht wie Sebastian Kurz und seine Leute, der wird dafür auch die organisatorischen Grundlagen schaffen. Das kann man dem Kanzler nicht verdenken, das ist nur professionell. Und um das so zu sehen, muss man Message Control nicht mögen. Das ist und bleibt ein Polit-Marketing, das hinterfragenswert ist. Aber Journalisten müssen damit umgehen lernen.
Dank Message Control alles außer Kontrolle
Wie problematisch diese Kommunikationsstrategie ist, zeigt die laufende Diskussion über den ORF. Seit Wochen werden Fragen zur Medienpolitik und damit auch zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vom ÖVP-Medienminister mit einem Verweis auf die im Frühjahr geplante Medien-Enquete beantwortet. Also nicht richtig. Gernot Blümel hat zwar eine Vision von einer breiten Allianz aller Medienhäuser mit dem ORF und seiner Reichweite als Turbo, wie genau das gehen soll, ist aber offen. Dabei steckt hier der Teufel ganz besonders im Detail. Entscheidend ist vor allem eines: Der ORF muss stark und finanziell abgesichert sein, um die Rolle erfüllen zu können, die ihm die Regierungsparteien – auch die FPÖ – da zugedacht haben.
Regierungspartei packt Kampfbegriff wieder aus
Nachdem FPÖ-Mediensprecher Hans-Jörg Jenewein genau das Anfang Februar im #doublecheck-Interview unmissverständlich klargemacht hatte, bekamen seine Chefs kalte Füße: Kritische Postings auf der Strache-Facebook-Seite, ein missglückter ZiB-Bericht über einen Transitgipfel, in dem der FPÖ-Verkehrsminister nicht vorkam – und plötzlich stand wieder der Kampfbegriff Zwangsgebühren im Mittelpunkt. Die Angriffe der Freiheitlichen auf den ORF begannen wieder zu rollen – und ein Ende ist nicht absehbar. Parallel dazu werden Journalisten namentlich angeprangert, was eine neue Qualität hat. Der Koalitionspartner ÖVP schaut zu. So als ob nicht Thema sein kann, was nicht Thema sein darf. Die Medien-Enquete findet im Frühjahr statt.
Die unglaublichen Volten des Hans-Jörg Jenewein
Sie werden zugestehen, dass man in einer Oppositionsrolle in gewisser Weise anders politisch agiert als in einer Regierung. Das hat FPÖ-Mediensprecher Jenewein im #doublecheck-Interview gesagt. Unmittelbar danach ließ er erkennen, dass ihm der enthaltene Sprengstoff durchaus bewusst ist. Eine konstruktive Linie gegenüber einem Medienunternehmen, das man über Jahre zum Feindbild Nummer eins aufgebaut hat – das ist ein schwieriger Spagat. Die Parteispitze wollte den nicht mitmachen. Hans-Jörg Jenewein war rasch wieder auf Linie – und noch einen Dreh weiter: Die Verwirrung ist natürlich schon auch gemacht worden, um Irritationen in die Regierung und in die FPÖ hineinzutragen. Das hat der FPÖ-Mediensprecher nach bewährtem Umkehr-Muster einem befreundeten Online-Portal zu Protokoll gegeben.
Die Fehlleistungen und das Gesetz der Serie
Doch das geht unter. Genauso wie die Geschichte der berechtigten Kritik an einer Falschmeldung in der Zeit im Bild, die umgehend und doppelt richtiggestellt worden ist. Das Zustandekommen war erklärbar. Aber Jenewein wischte das alles weg. Der Vorfall passte einfach zu gut ins Konzept, um den ungeliebten ZiB-Chefredakteur vorzuführen. Das geht unter, weil im ORF Dinge passieren, die schlicht und einfach nicht passieren dürfen. Man darf nicht von einem Transitgipfel aus München berichten und den dort teilnehmenden österreichischen Verkehrsminister nicht im Beitrag vorkommen lassen. Und man darf schon gar nicht antisemitische und NS-verharmlosende Aussagen eines alten Mannes gegenüber dem FPÖ-Spitzenkandidaten im Tiroler Landtagswahlkampf so auf Sendung bringen. Manipulativ geschnitten und unkommentiert.
Der Tiroler FPÖ-Chef Markus @abwerzger wehrte sich von Anfang an gegen die Darstellung in einem ORF-Beitrag, er hätte einem älteren Mann, der höchst abfällig über Juden redete, nicht widersprochen. Ein ZiB-Beitrag gibt ihm nun Recht. https://t.co/yMnHYfsEW1
— KURIER (@KURIERat) February 10, 2018
ORF-Chef kündigt Konsequenzen an
ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz hat Konsequenzen angekündigt. Er weiß, dass solche Fehlleistungen allen Redaktionen in seinem Haus auf den Kopf fallen. Es heißt immer: der ORF – und nicht diese oder jene ORF-Redaktion. Die medienpolitische Debatte wird durch solche Verallgemeinerungen ebenfalls nicht einfacher. Andererseits trägt auch die – gelinde gesagt – ausbaufähige öffentlich-rechtliche Fehlerkultur nicht zur Entkrampfung bei. Im konkreten Fall ist eine Entschuldigung ohne Wenn und Aber wohl angebracht. Selbst wenn das in der politischen Debatte dann möglicherweise wieder unterginge. Aber Glaubwürdigkeit lebt auch davon, dass man Fehler einsieht.
Es gibt allerdings Grenzen. Wenn etwa Aktivitäten von Journalisten in den Sozialen Netzwerken gleich behandelt und bewertet werden wie ihre Arbeit für Medien des ORF, dann stimmt die Relation nicht. Natürlich haben sich alle an die Guidelines zu halten. Aber ein dummer Tweet kann passieren, in eine seltsame Unterhaltung ist man schnell einmal hineingerutscht. Und aufgebauscht ist dann auch schnell einmal was.
Heiße Phase vor Abstimmung in der Schweiz
ORF-Journalisten müssten neutral sein, heißt es immer wieder. In der Schweiz, wo mit der No-Billag-Initiative am 4. März über Sein oder Nichtsein des öffentlich-rechtlichen Rundfunks SRF abgestimmt werden wird, läuft dazu gerade eine sehr spannende Debatte. Jonas Projer, Moderator der SRF-Sendung Arena, hat sich nach zwei guten und sachlichen Diskussionsrunden in der dritten Sendung zum Thema No-Billag von deren Initiator provozieren lassen. Große Aufregung. Hasspostings.
Journalisten-Handwerk braucht auch Haltung
Es fehle Projer an journalistischer Neutralität, so die Kritik. Die Neue Zürcher Zeitung schreibt dazu: Jeder Journalist muss sauber und fair recherchieren. Die Informationen müssen korrekt und gegengeprüft sein. Alle Akteure werden befragt, und nichts wird unter den Tisch gekehrt, was einem nicht in den Kram passt. Das sei das Handwerk, aber ebenso wichtig sei für einen Journalisten Haltung: Sie verhindert, dass man sich einseifen lässt oder einknickt. Dass man Informationen nur weiterleitet, statt sie zu hinterfragen. Dass man die Menschen in einer Diskussionssendung oder einem Interview einfach reden lässt, statt nachzuhaken. Wer keine Haltung hat, kann nicht einordnen. Und Einordnung ist ja das, was heute alle von den Journalisten erwarten.
Ein Gedanke zu „Im falschen Film“
Ganz ausgezeichnet dargelegt.