Role Model Orbán
Neue Senderchefs und neue Chefredakteure für ORF1 und ORF2 – eine umstrittene Strukturreform, die der Generaldirektor aber durchgezogen hat. Namen für die Posten kursieren schon länger. Und noch bevor die Leute ernannt sind, stellt der FPÖ-Parteistiftungsrat Norbert Steger jetzt seine Forderungen. Schritte in eine objektivere Berichterstattung, Verwarnungen und Entlassungen für ORF-Mitarbeiter, die im Netz unbotmäßig sind. Und Steger sagt: Auch von den Auslandskorrespondenten werden wir ein Drittel streichen, wenn diese sich nicht korrekt verhalten. Nach dem Motto: Wer Orbán nicht huldigt, der fliegt.
Es ist bestimmt kein Zufall, dass sich Norbert Steger ausgerechnet Ungarn und die Wahlberichterstattung von ORF-Korrespondent Ernst Gelegs ausgesucht hat, um sein verbales Exempel zu statuieren. Das für eine Welle der Empörung gesorgt und auch in den ausländischen Medien Beachtung gefunden hat. Ministerpräsident Viktor Orbán mit seiner Fidesz-Partei gilt den Freiheitlichen offenbar als autoritär-demokratisches Role Model. FPÖ-Chef Vizekanzler Heinz-Christian Strache hat schon beim Neujahrstreffen im Jänner keinen Zweifel daran gelassen: Hätten wir die absolute Mehrheit, naja – dann könnten wir’s wie der Orbán machen, hat Strache gesagt und dabei ausgesehen, als würde ihm beim Gedanken daran das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Vernichtender Bericht des EU-Parlaments
Es wie der Orbán machen, das würde bedeuten: die Meinungs-, Forschungs- und Versammlungsfreiheit einschränken, das Verfassungs- und Justizsystem schwächen, gegen die Rechte von Minderheiten und Flüchtlingen verstoßen, Korruption zulassen, Interessenkonflikte in Kauf nehmen. So steht es in einem Bericht des Europäischen Parlaments, an dem ein Jahr lang gearbeitet worden ist. Im Resolutionsentwurf wird die Einleitung eines Sanktionsverfahrens gegen Ungarn nach Artikel 7 des EU-Vertrages für den Fall von schwerwiegenden Verstößen gegen die demokratischen Grundwerte der Europäischen Union empfohlen. Ob es dazu kommt, ist offen.
Die Konservativen & ihre schwarzen Schafe
Denn Viktor Orbán hat Freunde in der EVP-Fraktion, die ihm zu seinem Wahlsieg und dem Halten der Zweidrittelmehrheit an Mandaten gratuliert haben. Auch ÖVP-Obmann Bundeskanzler Sebastian Kurz hat Parteifreund Orbán gratuliert, während der Chef der ÖVP-Abgeordneten im Europa-Parlament, Othmar Karas, das komplett anders sieht.
Ich gratuliere Viktor #Orban zur Wiederwahl! #Ungarn ist für #Österreich ein wichtiger Nachbar und Wirtschaftspartner. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) April 9, 2018
Leider wahr! Der Wahlerfolg rechtfertigt die Politik, die Sprache, den Antisemitismus, die Korruption, den Nationalismus,…nicht! Mit einer solchen Politik eine 2/3 Mehrheit zu erringen ist gefährlich, muss die europäische Demokratie und Freunde der 🇪🇺 -Werte herausfordern. https://t.co/CxsSKTfNoq
— Othmar Karas (@othmar_karas) April 9, 2018
Staats-Sender für Wahlkampf eingespannt
Es wie der Orbán machen, das würde auch bedeuten, sich kritische Medien vom Hals zu schaffen. Daran hat er jahrelang gearbeitet, und es ist ihm gelungen. Am Anfang stand der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der heute staatlich und ein Schatten seiner selbst ist. Der Guardian hat mit Journalisten des staatlichen ungarischen Fernsehens MTVA gesprochen. Sie schildern drastisch, wie sie für den Wahlkampf von Viktor Orbán eingespannt worden sind: Sometimes the editor will come into the office on the phone and dictate a whole story to us, word for word. We do not know who is on the other end of the phone. Es habe Sprachregelungen gegeben, um mit der Berichterstattung eine Atmosphäre der Angst zu erzeugen: Pavlov reflexes have been created for words like danger, terrorism, migrants, opposition, Soros and Brussels, zitiert der Guardian Insider.
Ein Flohzirkus für den Medienminister
In Budapest sind am Samstag bis zu hunderttausend Menschen gegen die Regierung auf die Straße gegangen. Orbáns Kabinettschef Antal Rogan hat die Demonstration als politischen Flohzirkus bezeichnet und behauptet, hinter der Aktion stehe George Soros, der den Wahlsieg von Fidesz und die Zweidrittelmehrheit nicht akzeptieren könne. Das große Verschwörungstheater gegen Soros aus dem Wahlkampf, da capo. In Österreich sehen wir blaue Verschwörungsgeschichten rund um den ORF und einen politischen Flohzirkus, der für Medienminister Gernot Blümel von der ÖVP nicht zu bändigen ist. Der Sprecher von Vizekanzler Strache hat den Anfang gemacht.
Diese Anti-Orban-Hetze im ORF wird schön langsam ein bissi peinlich. Nehmt demokratische Wahlergebnisse zur Kenntnis, auch wenn sie euch nicht passen! #zib2
— Martin Glier (@MartinGlier) April 9, 2018
Norbert Steger, der neuer Vorsitzender des ORF-Stiftungsrates werden soll, hat dann wie oben beschrieben nachgelegt. Blümel möchte Anfang Juni eine Medien-Enquete machen, Steger lieber Nägel mit Köpfen – der FPÖ-Stiftungsrat will schon im Juni ein neues ORF-Gesetz, da würde Blümel erst zum Nachdenken anfangen. Und Steger hat Ideen für das Gesetz, die der ÖVP-Minister in seinen Reihen nie durchbringen würde. Das ist eine gewisse Herausforderung, denn Steger wohnt eine – sagen wir – gewisse Zielstrebigkeit inne, wie man in diesem historischen Video sehen kann:
Und Steger winkt mit dem Eisenbesen
Es wie der Orbán machen. Man erkennt an der Szene auch sehr gut, worum es der FPÖ geht. Sie will keinen medienpolitischen Diskurs führen wie Blümel, sie will einfach die neuen Machtverhältnisse im ORF abbilden – und das rasch. Die Regierung werde nicht mit dem Eisenbesen durch die Redaktionen fahren, das hat FPÖ-Mediensprecher Hans-Jörg Jenewein im #doublecheck-Interview noch im Februar gesagt. Ein Wink mit dem Eisenbesen war das Steger-Interview aber allemal.
2 Gedanken zu „Role Model Orbán“
Was soll man schreiben angesichts einer Welle von autoritätem politischen Gehabe von Stammesfürsten, die sich an Demokratie nicht gewöhnen können? Wo liegt wirklich der Unterschied zwischen den rückschrittlich repressiven Talibans zu unseren politischen Vertretern ? Vilimsky ortet sich als Eigentümer der Immobilie Österreich, vereinnahmt alle Einwohner als UNS und erteilt 8,7 Mio Bewohnern seine Hausordnung. Hat er noch alle Sinne ? Dann kommt Steger mit der Drohung des Kahlschlages im ORF mittels sizilianischem Angebot wenn… dann.. Und Kurz gratuliert Orban zu seinem Sieg über die Demokratie und dem Widerstand gg EU. Und dann kommen dem Kanzler mediale Tränen zum Gas-Kindesleid in Syrien und demontiert/dezimiert zugleich die Hilfestellung für die Betroffenen, die sich durch Flucht versuchen zu überleben. BRD wählt – gibt keinen Eklat mit ZDF/ARD. Frankreich wählt – gibt keinen Eklat mit Radio France. Österreich wählt und der ORF wird wieder einmal ,zum Kriegsschauplatz der österr Talibans. Die Entsorgung des Rechtsstaates am Lehrbild Orban und Putin. Wer nicht Politik kann, kann Krieg. Man kann nicht schreiben, was man denkt.
Und dann wird das strengste Fremdenrecht Europas noch strenger und noch strenger. Jetzt werden Handys “ausgewertet”, Flüchtlinge enteignet (weil Asylrecht ist kein Menschenrecht und man kann ja richtig gut Kohle mit der Flucht machen, erst die Schlepper, dann der Staat, oder wie 2015 manche Taxifahrer durch völlig überzogene Fahrpreise die Notlage ausgenutzt haben) und die Staatsbürgerschaft rückt in weite Ferne (10 Jahre statt 6 Jahre), wobei die Hürden zur Staatsbürgerschaft selbst dann groß sind, wenn man berechtigt für die Ansuchung wäre (Einkommensnachweis, Behördenwahnsinn, massive Kostenunterschiede je nach Bundesland, von 100€ in Wien bis 4000€ in Salzburg).
Die EU ist leider völlig machtlos dank ihres Einstimmigkeitsprinzips. So wie Russland im UN-Sicherheitsrat jede vernünftige Resolution blockiert, können die Visegradstaaten jede Sanktion und jedes Vertragsverletzungsverfahren gegen die antidemokratisch agierenden Regierungen blockieren. Deutschland rückt selbst massiv nach rechts, schleichend, aber doch, mit der CSU sogar recht offensichtlich. Welche mäßigenden Stimmen gibt es sonst noch? Eben. Die EU wird demnächst wieder mit der umstrittenen DSGVO in den Blickpunkt rücken und an Wertschätzung weiter verlieren. Die Probleme mit dem aufstrebenden Nationalismus und Fremdenhass bleiben ungelöst.