Köpferl im Sand
Das ist ein beinhartes Protestlied. Allerdings richtet sich die Kritik nicht gegen eine bestimmte Gruppe, sondern gegen jedermann, der sich betroffen fühlt – auch gegen mich selbst. Mit diesen gesprochenen Sätzen fängt das Lied Sein Köpferl im Sand von Arik Brauer an, der damit vor schon fast 50 Jahren Furore gemacht hat. Am Dienstag wird Brauer wieder sprechen. Das ist der 8. Mai, und die Republik wird das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa und die Befreiung vom Nazi-Regime feiern. Beim Festakt im Bundeskanzleramt wird Arik Brauer die Festrede halten. Er wird andere Akzente setzen als sein Künstler-Kollege Michael Köhlmeier. Aber eines ist sicher: Beide stecken ihr Köpferl nicht in den Sand.
Es war eine beinharte Protestrede, die Köhlmeier in der Hofburg auf Einladung des Nationalratspräsidenten gehalten hat. Präsident Sobotka hat mir Mut gemacht, als er gesagt hat, man muss die Dinge beim Namen nennen. Und bitte erwarten Sie nicht von mir, dass ich mich dumm stelle. Nicht an so einem Tag und nicht bei so einer Zusammenkunft. Die Mienen von FPÖ-Obmann Vizekanzler Heinz-Christian Strache und seinem Klubobmann im Parlament, Johann Gudenus, bei dieser Zusammenkunft haben Bände gesprochen. Und die Mienen der ÖVP-Regierungsmitglieder auch. Nur bei Wolfgang Sobotka fragt man sich: Warum wollte er ausgerechnet Köhlmeier?
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Was die Politiker der Mitte nicht mehr sagen
Josef Lentsch von den NEOS hat sich hier zur Krise des Konservatismus geäußert und aus Ivan Krastevs Essay Europadämmerung zitiert: Die eigentliche Gefahr liegt in dem, was die Politiker der Mitte nicht mehr sagen. Als wäre es ein Moment gewesen, in dem ihnen dieser Satz von irgendwoher zugetragen und ihnen gleichzeitig auch seine ganze Tragweite bewusst geworden wäre – die ÖVP-Minister und Ministerinnen blickten ausdruckslos vor sich hin oder fixierten den Fußboden, während Köhlmeier sprach. Der Kanzler war krank und musste sich der Situation nicht stellen. Der Kronenzeitung stellte sich Kurz. Und die hat dann geschrieben: Der Kanzler warnt davor, dass undifferenzierte Reden dazu führen, das am Ende dann alles zu einem Brei wird.
Der Kanzler warnt davor, dass es ein Brei wird
Die Köhlmeier-Rede war vieles, aber ein Brei war sie nicht. Die Rede war auch nicht undifferenziert. Sie war kompromisslos. Kritiker wie Hubert Patterer von der Kleinen Zeitung meinen, die Bemühungen von Strache um Distanz zum Antisemitismus seien nicht ausreichend gewürdigt worden.
Unsensibler Umgang mit Stereotypen
Aber kann man es einem Intellektuellen verübeln, wenn er den Blick auf aktuelle Entwicklungen richtet? Auf die stichhaltigen Gerüchte in Sachen George Soros von Johann Gudenus etwa und auf seine Verteidigung durch Strache, die damit beide antisemitische Stereotype transportieren – und sich gleichzeitig dagegen verwahren, dass ihnen das vorgeworfen wird. Der oberösterreichische FPÖ-Obmann und Vize-Landeschef Manfred Haimbuchner hat in einem Interview versucht, das zu relativieren: Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Ich glaube nicht, dass Herr Soros internationale Konflikte auslöst, damit Flüchtlinge nach Österreich kommen. Man mag uns Verschwörungstheorien vorwerfen. Von mir aus. Aber die Aussage von Gudenus war nicht antisemitisch gemeint. Sie war unsensibel. Das Köpferl im Sand.
Anti-Islamismus hinter dem Philosemitismus
Und natürlich sieht auch Köhlmeier den sogenannten importierten Antisemitismus von Muslimen, was ihm Hubert Patterer ja abspricht. Der Dichter spricht aber auch davon, dass hier Anti-Islamismus mit Philosemitismus begründet werden solle, und das kritisiert er. Der Oberösterreicher Manfred Haimbuchner hält da schon fast verzweifelt dagegen und sagt im Standard-Interview das hier: Die Wahrheit ist doch: Diese ganze Diskussion schadet uns. Das ist eine Tatsache. Warum also sollte die FPÖ, die vor importiertem Antisemitismus durch Muslime warnt, auch nur ansatzweise für einen anderen, für einen historischen oder nationalen Antisemitismus eintreten?
Köhlmeiers Kritik an der Balkanroutenschließung
Eine gute Frage, die die FPÖ bisher nicht überzeugend beantwortet hat. Dass Köhlmeier dann auch noch die für den Kanzler quasi identitätsstiftende Westbalkanroutenschließung kritisiert hat, indem er sie eher gewagt mit der Schließung von Fluchtrouten in der NS-Zeit verglich, hat ihm den Zorn der ÖVP eingebracht. Generalsekretär Karl Nehammer sprach nicht minder gewagt von einer Verharmlosung des Holocaust. Traurig irgendwie, dass Köhlmeier glaubte, sich im Fellner-Blatt Österreich gegen diesen Vorwurf zur Wehr setzen zu müssen. Aber dort tritt neuerdings ja auch Christian Kern wieder auf, nachdem er im Wahlkampf alle Brücken zu Fellner verbrannt hatte. Das jüngste Interview mit dem SPÖ-Chef war übrigens am Sonntag Abend als Wiederholung live zu sehen.
Rot-Blau im Burgenland blüht im Schatten
Kern hat Köhlmeier zu seiner Rede gratuliert. Was die rot-blaue Koalition von Hans Niessl im Burgenland betrifft, steckt Kern lieber sein Köpferl in den Sand, um wieder aus Arik Brauers beinhartem Protestlied zu zitieren. Brauer hat ja, was den Antisemitismus betrifft, eine eigene Meinung, und die wird er wohl auch in seiner Festrede im Angesicht der Regierung zum Ausdruck bringen. Brauer hält den muslimischen Antisemitimus für bedrohlicher als alles andere, gegenüber den Freiheitlichen hat der Künstler daher eine sehr tolerante Haltung. Und es überrascht denn auch nicht, dass er von der FPÖ als Entlastungszeuge geführt wird. Arik Brauer weiß damit umzugehen.
„Ich habe sehr früh begriffen, dass man das Erlebte nur ertragen kann, wenn man die Menschen nicht in Blöcke wie „die Deutschen“ einteilt.“ https://t.co/388YW492A1
— Eva Weissenberger (@E_Weissenberger) May 6, 2018
Und Arik Brauer vertritt seine eigene Meinung
Er sagt: Auch ich habe diese Regierung nicht gewählt. Mir jetzt vorzuwerfen, dass ich benützt werde, lasse ich nicht zu. Denn es wird ja nicht die Gründung einer rechten Regierung mit der FPÖ gefeiert, sondern der Sieg über den Nazi-Faschismus. Brauer hält es für einen Fehler, dass FPÖ-Minister nicht zur Gedenkfeier nach Mauthausen eingeladen worden sind. Er ist für den Dialog mit den Freiheitlichen, gesteht ihnen das Bemühen um einen Neubeginn zu und sagt: Ich bin prinzipiell dafür, dass man miteinander spricht. Jetzt zu sagen: Wir sind edel und die sind unedel, bringt nichts. Das ist eine bemerkenswerte Haltung des 89-Jährigen, die nachdenklich stimmt.
Was lernt die FPÖ-Spitze aus der Diskussion?
Das tut sie hoffentlich auch bei den FPÖ-Spitzen: Was etwa die Verschwörungslegenden um George Soros betrifft. Was die anhaltende Unterstützung und die Nähe zu der als rechtsextrem eingestuften Zeitschrift Aula betrifft. Was immer noch ausständige klare Worte Straches zu den angeblichen Paintball-Spielen mit Neonazis in seiner Jugendzeit und fragwürdige Postings im Internet betrifft, die er immer wieder verteidigt. Oder was die Historikerkommission der FPÖ betrifft, die im stillen Kämmerlein intransparent vor sich hin werkt und von Andreas Mölzer – später halbherzig dementiert – als taktisches Manöver, um aus den Schlagzeilen zu kommen, bezeichnet worden ist. Die Schlagzeilen, die waren übrigens wegen der Nazi-Liederbücher.
Im beinharten Protestlied des Arik Brauer heißt es: Hinter meiner, vorder meiner, links, rechts güts nix. Ober meiner, unter meiner siach i nix. Spür nix, hear nix und i riach nix. Denk i nix und red i nix und tu i nix. Das trifft heute noch den Punkt. Wer immer sich betroffen fühlt und sein Köpferl in den Sand steckt.