Der Mob & wir
Der Bundeskanzler hat sich zu den Ausschreitungen in Chemnitz in einem Tweet geäußert, der Eingang in einen Bericht der deutschen Wochenzeitung Die Zeit gefunden hat. Dort konnte man lesen: Selbst der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, in einer Regierung mit der rechtspopulistischen FPÖ, twitterte: “Ich bin erschrocken über die neonazistischen Ausschreitungen in Chemnitz.” Sprich: sogar einen Politiker der eher hartgesottenen Sorte wie Kurz lasse der rechte Mob nicht kalt, der in der sächsischen Stadt Migranten durch die Straßen gejagt hat. Doch im eigenen Land hat der Kanzler ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Folgt man den Kommentaren, dann ist an diesem Tweet einfach alles falsch. Die einen finden, ein Kanzler dürfe angesichts solcher Vorfälle gar nicht erschrecken. Sonst sei er nämlich nicht für seinen Job geeignet. Krisenmanagement und so. Anderen wiederum ist die Formulierung nicht scharf genug: Kurz hätte nicht Vorfälle wie diese schreiben dürfen, auch wenn sich das auf die neonazistischen Ausschreitungen bezogen hat. Und er hätte sich jedenfalls in der Ich-Form von den Ausschreitungen distanzieren müssen. So sei das alles nur Fassade und beweise eines: Der Kanzler sei in dieser Hinsicht nicht ernstzunehmen, weil er mit der FPÖ gemeinsame Sache mache und sozusagen den Boden für Ausschreitungen wie jene in Chemnitz bereitet habe.
Ich bin erschrocken über die neo-nazistischen Ausschreitungen in #Chemnitz. Vorfälle wie diese sind auf das Schärfste zu verurteilen!
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) August 27, 2018
Der Kanzler hat ein Glaubwürdigkeitsproblem
Eine Kausalität, die so natürlich nicht besteht. Die Darstellung ist überzogen. Doch so lautet der Grundtenor der Kritiker. Selbst wenn man Kurz seine Betroffenheit angesichts der Bilder aus Deutschland abnimmt, macht er es einem selber nicht leicht, ihn gegen solch grundlegende Kritik zu verteidigen. Kurz ist in einer Koalition gefangen, zu der es aus seiner Sicht keine Alternative gegeben hat, was er zu Wochenbeginn in Alpbach erneut betont hat. Und weil er will, dass diese Koalition funktioniert und der Umbau der Republik durch eine konservative Konterrevolution – wie es die FPÖ-Ideologen gern ausdrücken – vonstatten geht, schaut Kurz prinzipiell einmal weg, wenn er eigentlich hinschauen müsste. Schweigekanzler ist mittlerweile ein Hilfsausdruck.
Während Demokraten aller Lager schockiert sind über die Neonaziumtriebe in #Chemnitz, schaltet die österr. Regierung Inserate unter einem rechtsradikalen Artikel, der die Vorfälle als "spontaner Wutausbruch" abtut und der Vizekanzler teilt ihn auf Facebook.
via @fabian_schmid pic.twitter.com/StB4UCnTj6
— Hans Kirchmeyr (@tiefenschaerfer) August 29, 2018
Regierungsinserat unter Identitären-Sprech
Kurz schweigt, wenn Infrastrukturminister Norbert Hofer Inserate auf einer rechten Plattform schalten lässt, die die neonazistischen Ausschreitungen, über die sich Kurz erschrocken gezeigt hat, als spontanen Wutausbruch von Enttäuschten bezeichnet. Das ist der Spin der rechtsextremen Identitären, den die Nummer zwei der FPÖ da mit seiner Inseratenpolitik stützt. Und der Kanzler schweigt auch, wenn die Nummer eins der FPÖ das dann auf Facebook teilt – obwohl Kurz genau weiß, dass Social Media ein wichtiges Instrument der freiheitlichen Politik sind. Und auf Facebook herrscht – anders als im jüngsten ORF-Sommergespräch mit Heinz-Christian Strache – oft eine Tonalität, die den Bundeskanzler auch erschrecken sollte. Noch dazu, wo Teile seiner Regierung – vom Vizekanzler bis zu ÖVP-Staatssekretärin Karoline Edtstadler – sich gern einmal auf fragwürdige Postings in Internetforen berufen, wenn sie umstrittene politische Sachverhalte zu rechtfertigen versuchen.
Dicke Luft trotz Kurzens Schweigestrategie
Kurz schaut auch bei der Affäre um die Hausdurchsuchung im Bundesamt für Verfassungsschutz weg. Eine Aktion, die vom Oberlandesgericht Wien jetzt als rechtswidrig eingestuft worden ist, wobei sich Innenminister Herbert Kickl – formal korrekt – auf die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft ausredet, die diese Hausdurchsuchung angeordnet hat. Aus Amtsräumen wird grundsätzlich nicht beschlagnahmt. Braucht das Gericht Akten von Behörden, hat es um Amtshilfe zu ersuchen. So steht es im Beschluss des Oberlandesgerichts. Der Kanzler, auf Staatsbesuch in Asien, will dazu nichts sagen. Dennoch wabert mittlerweile in der Koalition genau das, was der Kanzler durch seine Schweigestrategie immer gern vermeiden möchte: dicke Luft. Wegen des Justizministers.
Ermittlungsdruck bringt Kickl unter Druck
Am FPÖ-Dissidenten Josef Moser haben seine früheren Parteifreunde schon so genug auszusetzen. Die einen sagen es laut, die anderen hinter vorgehaltener Hand. Seit Moser aber angekündigt hat, die Justiz werde prüfen, wie hoch der Ermittlungsdruck gewesen ist, der vom Innenressort auf die Korruptions-Staatsanwaltschaft ausgeübt worden ist, wird der Unmut ganz offen geäußert. FPÖ-Mastermind Kickl soll seinem Generalsekretär Peter Goldgruber angeblich aufgetragen haben, im Innenministerium aufzuräumen. Das sei nämlich korrupt wie noch nie. So wird Goldgruber, der das alles heftig bestreitet, auch im Beschluss des OLG zitiert, das diese Passagen aus der Niederschrift der befassten Staatsanwältin ausdrücklich erwähnt – weil das so ungewöhnlich ist. Viel Stoff für den BVT-Untersuchungsausschuss.
Die Hausdurchsuchung verantwortet sein Pferd
Misstöne in der Koalition, weil der eine Minister auf dem anderen etwas abladen möchte und umgekehrt. Aber nicht etwa deshalb, weil zum Beispiel die renommierte Washington Post geschrieben hat, dass ausländische Dienste dem BVT nach der Kickl-Aktion nicht mehr über den Weg trauten. Und nicht, weil renommierte Chefredakteure wie Gerold Riedmann von einem Flächenbrand in der Causa schreiben. Vertrauen schaut anders aus, findet auch Rainer Nowak, der nicht eben zu den verbissensten Kritikern der Regierung zählt. Der Leitartikel dazu hat aber einen durchaus bissigen historischen Bezug im Titel: Und die Hausdurchsuchung verantwortet Kickls Pferd.
Mein Statement zum Rücktritt von Udo #Landbauer: pic.twitter.com/jwpbeUT5gK
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) February 1, 2018
Es war einmal eine richtige Entscheidung
Der Presse-Chefredakteur meint, es stünde der Regierung gut an, auch einmal Fehler zuzugeben. Über die BVT-Affäre hinaus. Aber daran ist offenbar nicht gedacht. Diese Woche ist vielmehr die Rückkehr von Udo Landbauer in die Politik fixiert worden, aus der ihn die Nazi-Liederbücher seiner Burschenschaft Germania – dort war Landbauer Vize-Vorsitzender – gefegt hatten. Der Kanzler hat das damals in einem Statement als richtige Entscheidung der FPÖ bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen die Verantwortlichen jetzt wegen Verjährung eingestellt. Udo Landbauer war als Zeuge involviert. Er ist mitnichten voll rehabilitiert, wie die FPÖ-Spitzen meinen. Er ist ein wandelndes Symbol für den trüben Hintergrund einer Regierungspartei.
ÖVP Niederösterreich als Hort der Integrität
Beim Koalitionspartner hat dazu bisher nur die ÖVP Niederösterreich klare Worte gefunden. Das ist vielleicht weniger moralisch als parteitaktisch erklärbar, aber dennoch bemerkenswert. Sebastian Kurz, der den Mob von Chemnitz verurteilt hat, wird diese Worte aller Voraussicht nach nicht finden. Er wird aus Koalitionsräson schweigen – so wie er zum Mob im Netz schweigt und zum Flächenbrand in einem Schlüsselressort. Und das ist schade. Denn zu gerne würde man ihn verteidigen, damit diese Regierung endlich den Rücken frei bekommt für Reformen jenseits progressiver Entwürfe zur Aushebelung des Rechtsschutzes und grenzwertiger Inszenierungen in Kindergärten.
3 Gedanken zu „Der Mob & wir“
Herr Kurz ist nicht gefangen, er hat sich bewusst diese Umgebung ausgesucht.
Das Wortmeldungen des Kurz-Burschi bestimmt die Marketingabteilung. Ist doch in allen hippen Start-ups so.
Herr Kurz und seine FPÖ Regierungs-Kumpane sind eine Katastrophe für Österreich und Europa.
Seine ÖVP – Riege sind Befehlsempfänger ohne jedes politisches Gespür (Ausnahme Josef Moser). Er selbst ist ein Möchtegern-Diktator. Er sypathisiert mit auroritären Regierungen (siehe sein Kommentar zu Singapur oder zur australischen Flüchtlingspolitik)
Jedenfalls eine Schande für Österreich.