To do a Kurz
Das neue Jahr hat begonnen, wie man es sich nicht gewünscht hat. Das trifft auf die Schneemassen ebenso zu wie auf die rhetorischen Lawinenabgänge hüben und drüben. Bei uns arbeitet sich die FPÖ an Hilfsorganisationen wie der Caritas ab und der Kanzler an arbeitsscheuen Haushalten, wo nur mehr die Kinder in der Früh aufstehen. Deutschland führt die Debatte, ob man noch Nazis raus sagen darf – ohne dass sich gleich eine Bundestagsfraktion angesprochen fühlen muss. Als dann ein AfD-Mann von Unbekannten auf der Straße niedergeschlagen und schwer verletzt wird, sind sofort die schuld, die Nazis raus gepostet haben. Der Diskurs bleibt der Jahreszeit entsprechend ein Schleuderkurs.
Dabei ist es so rutschig, dass es innerhalb dieser Wir-streiten-nicht-Koalition zum ersten Mal richtig laut, sprich öffentlich gekracht hat. Die FPÖ hat Justiz- und Reformminister Josef Moser ins Visier genommen, nicht zum ersten Mal. Der Ex-Freiheitliche Moser macht den Ex-Parteifreunden (neben persönlichen Abrechnungen) eine zuwenig scharfe Strafvollzugs-Politik, das sagen Landesparteiobleute im Westen schon länger ganz offen, zuletzt hat sich ihnen auch der wichtigste FPÖ-Ländervertreter Manfred Haimbuchner angeschlossen. Vom Reformminister Moser sei nichts zu sehen, der ist untergetaucht, so der oberösterreichische Landesvize im profil.
Mosers Zeugnis für Kickls Dilettantismus
Und jetzt hat sich Moser auch noch mit dem besten Innenminister aller Zeiten, wie Herbert Kickl FPÖ-intern gern genannt wird, angelegt: Verträge mit NGOs über Rechtsberatung wurden nicht rechtzeitig gekündigt, die Reform des Asylwesens im freiheitlichen Sinn verschleppt, das geht gar nicht. Noch dazu hat der Justizminister zu maximal möglicher Transparenz im Streit gegriffen: Per Aussendung bescheinigte Moser dem Kickl-Ressort, die Asyl-Pläne dilettantisch vorbereitet zu haben: Zusammengefasst liegen bis zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Unterlagen vor, auf dessen Grundlage eine seriöse weitere Vorgehensweise möglich ist. Und schon ist die Rede davon, dass mit der Richterin Karoline Edtstadler von der ÖVP eine Alternative zu Moser im Justizressort bereitstünde. Edtstadler – die Staatssekretärin im Innenministerium ist – leitet die Taskforce Strafrecht, was von Anfang an zu Spekulationen Anlass gegeben hat.
Die Blauen zielen bei der Caritas ins Schwarze
Nach außen wurde die Caritas zur Zielscheibe der Blauen. Die Hilfsorganisation der katholischen Kirche ist eine der NGOs, die die Freiheitlichen gern aus dem Asyl-Bereich drängen wollen. Auch wenn es die Caritas im konkreten Fall, der Rechtsberatung, nur am Rande betrifft. Aber das stört keinen großen Geist wie Johann Gudenus, der Klubobmann der FPÖ im Parlament, wenn er den Gutmenschen eins auswischen kann. Ein Interview von Caritas-Präsident Michael Landau zu Weihnachten mit sehr fein dosierter Kritik an der Linie der Bundesregierung bei der Mindestsicherung – Stichwort: Empathie-Defizite – und einer Erinnerung an den Koalitionspakt, in dem von Resettlement die Rede ist. Und die FPÖ schießt mit schwerem Geschütz zurück: Profitgier! Asylindustrie!
Die Staatssekretärin und zweierlei Rotzbuben
Stellvertretend für den bürgerlichen Anstand hat der frühere Raiffeisen-Chef und Flüchtlingskoordinator Christian Konrad die betreffenden Freiheitlichen frei heraus als Rotzbuben abgekanzelt und die ÖVP in die Pflicht genommen: Wo ist sie, wenn so etwas gesagt wird? Oder ihre Heerschar an Sprechern? Christlich-sozial sieht jedenfalls anders aus – und dass das Message Control ist, kann ich mir nicht vorstellen. Soweit Konrad. Bildungsminister Heinz Faßmann hat sich ebenfalls klar hinter Landau gestellt – in einem auch sonst bemerkenswerten Interview. Von offizieller ÖVP-Seite kam lediglich ein Tweet von Staatssekretärin Edtstadler, der freilich so abgefasst war, als würden sich da einfach nur zweierlei Rotzbuben in den Haaren liegen. Unverständnis machte sich breit, nur die FPÖ reagierte dankbar und sang ein Loblied auf die Sachlichkeit.
Die Streitereien schaden nicht nur den beteiligten Personen, sondern auch der politischen Kultur im Land. Ich bitte beide Seiten um eine Abrüstung der Worte und die Rückkehr zur Sachlichkeit! https://t.co/B83n6qXD4b
— Karoline Edtstadler (@k_edtstadler) January 5, 2019
Retter der Etablierten oder doch Rechtsaußen?
Damit sind wir mitten in den Betrachtungen, die die Financial Times zu Jahresbeginn über Sebastian Kurz angestellt hat. Saviour of Europe’s mainstream or friend of the far-right? Retter der etablierten Politik in Europa oder Verbündeter der Rechtsaußen-Parteien? Das ist die zentrale Frage, die in dem Artikel sehr ausgewogen beleuchtet wird. If mainstream politics wants to survive, you have to do a Kurz, sagt etwa der frühere finnische Premier Alexander Stubb, selber Mitte-rechts positioniert. Kurz vertrete einen zeitgemäßen Konservatismus, halte die Werte hoch, aber sei pragmatisch. Und das heiße nun einmal, beim Thema Nummer eins – der Zuwanderung – Härte zu zeigen, sagt Stubb. Kurz is exactly the kind of guy capable of killing Orbanism. Nicht mehr und nicht weniger?
Der innere Zwang zur Grenzüberschreitung
Regierungskritiker wie Ex-Kanzler Christian Kern und der Schriftsteller Robert Menasse kommen in dem Artikel ebenfalls zu Wort, und sie sehen das natürlich anders. Kurz helfe durch seine Koalition mit der FPÖ, die roten Linien permanent weiter nach rechts zu verschieben, sagt Kern. Zu einem ähnlichen Befund kommt Johannes Huber, der auf seinem Blog die Rolle der bürgerlichen Widerständler hinterfragt – ob das Christian Konrad ist oder Reinhold Mitterlehner, dessen Buch mit dem Titel Haltung im April auf den Markt kommen wird und Aufklärung von innen über das System Kurz verspricht.
Der ÖVP-Chef blende die Kritik einer parteinahen Minderheit aus, weil er an die Mehrheit denke, schreibt Huber. Was allerdings auch bedeutet, dass er immer neue Grenzüberschreitungen mittragen muss. Genau davon leben die Freiheitlichen nämlich schon seit Jahrzehnten – und Kurz hat sich eben darauf eingelassen. Der Kanzler könne die roten Linien vielleicht eleganter überschreiten, aber im Bund mit der FPÖ nicht davor stehenbleiben.
Und dann reden wir nicht mehr drüber
Das scheint einkalkuliert zu sein. Es gibt rote Linien, die heißen zum Beispiel Antisemitismus und Fundamentalkritik an der Europäischen Union. Die hat Kurz definiert. Die kennt der Koalitionspartner, und er muss reagieren, wenn sie von jemandem aus den eigenen Reihen überschritten werden. Stichwort: Nazi-Liederbuch. Da hatte die FPÖ extremen Handlungsbedarf. Jetzt, wo juristisch nichts übriggeblieben ist, wird von Seiten der Freiheitlichen immer wieder einmal mit der verhängnisvollen Affäre kokettiert, indem man den Opfermythos auspackt. Dabei ist politisch gar nichts aufgearbeitet, und nach der Rückkehr von Udo Landbauer ist auch niemand mehr politisch verantwortlich. Reden wir nicht mehr darüber. Falls doch: Reden wir es klein.
Das laute Getöse der Ankündigungs-Klausur
So geschehen auch bei der Regierungsklausur in Mauerbach. Die freiheitlichen Anfeindungen gegenüber der Caritas, die vom Kardinal persönlich einmal mehr öffentlich in Schutz genommen worden ist, die waren kein Thema mehr. Der Kanzler hat sich nicht erklärt, er wurde nicht einmal dazu befragt. Der umstrittene Tweet der Staatssekretärin bleibt somit die einzige quasi offizielle Stellungnahme aus der Kurz-ÖVP zum Thema Delegitimierung einer der Säulen unseres Sozialstaats. Es war eine Ankündigungs-Klausur sondergleichen, man hat zwei Tage lang Maßnahmen großgeredet, die es noch gar nicht gibt. Da war es gar nicht notwendig, Grundsatzfragen kleinzureden. Weil keiner einen Kopf dafür hatte. So seltsam war politische Inszenierung selten.
Der heilige Sebastian der Frühaufsteher
Sebastian Kurz hat dem Caritas-Präsidenten ja schon vor Jahreswechsel in der ZIB2 ausgerichtet, was er als Chef einer christlich-sozialen Partei von der Kritik Landaus an der mangelnden Empathie für die Schwächeren hält: Was christlich-sozial ist, das können wir gern diskutieren. Da gibt es wahrscheinlich nicht den Einen, der das Recht darauf hat, darüber zu richten, was christlich-sozial ist und was nicht. Ich persönlich halte unsere Mindestsicherungs-Reform für sehr christlich-sozial, weil aus meiner Sicht sozial ist, was stark macht und nicht was in Abhängigkeit hält. Dementsprechend hat der Kanzler in Mauerbach erneuert, was er im Dezember schon im Parlament auf Kritik an der Rückkehr zur Sozialhilfe gesagt hat: Ich glaube nicht, dass es eine gute Entwicklung ist, wenn immer weniger Menschen in der Früh aufstehen, um zu arbeiten, und in immer mehr Familien nur mehr die Kinder in der Früh aufstehen, um zur Schule zu gehen.
Ich verstehe, warum Leute der ÖVP vorwerfen, nicht (genug) „christlich-sozial“ zu sein. Das ist eine gute rhetorische Strategie, um Kritik an „unchristlichen“ Politiken zu üben. Aber mir scheint, diese Kritik baut auf einem fundamentalen Missverständnis auf THREAD
— Saskia Stachowitsch (@saskiastachow) January 1, 2019
Christlich-sozial als Abgrenzung, nicht Dogma
Wie die Wiederholung zeigt, ist es ein Muster. Eine bewusste Grenzüberschreitung. Und das mit dem Christlich-Sozialen versteht man besser, wenn man den Gedanken der Politikwissenschafterin Saskia Stachowitsch aufnimmt, die historisch über die Christlich-Sozialen im österreichischen Parlament geforscht hat. Und Stachowitsch sagt, dass die christlich-sozialen Wurzeln vor allem in der Abgrenzung gegenüber den jüdischen bzw. den antiklerikalen und sozialdemokratischen politischen Kräften liegen. Die Abgrenzung gegenüber den Sozialdemokraten, das war auch die Message von Mauerbach – und in Ermangelung eines anderen ebenbürtigen Gegners ging es gegen das rot-grüne Wien. Das die Konfrontation in Person von SPÖ-Hoffnungsträger Peter Hacker und der neuen Grünen-Chefin Birgit Hebein ja auch sucht. Nur keine Krokodilstränen wegen Wien-Bashing.
Erst in Wien wäre dann mission accomplished
Schwarz-Blau bereitet den Boden für die Machtübernahme in der Bundeshauptstadt. Das wäre dann mission accomplished. Der Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel und der Wiener FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache haben zentrale Positionen in der Bundesregierung inne, der Bundeskanzler ist ebenfalls Wiener und das Zugpferd. Das wird diesmal ein wirklicher Showdown, wenn 2020 in Wien gewählt wird. Die Wiener Freiheitlichen überschlagen sich mit Vorschlägen für Asylwerberlager am Stadtrand und Erziehungscamps für gewalttätige Problemschüler. Johann Gudenus wirft auf Facebook Islamisten und Linke in einen Topf, die staatsgefährdend und gewaltbereit seien.
Ich hoffe der oder die Täter werden bald ermittelt & verurteilt. Auch gegenüber der AfD gibt es keinerlei Rechtfertigung für Gewalt. Wer Hass mit Hass bekämpft, lässt am Ende immer den Hass gewinnen. #nazisraus aber mit den Methoden unseres Rechtsstaates! https://t.co/mhaYpjeZt2
— Cem Özdemir (@cem_oezdemir) January 7, 2019
#NazisRaus oder Das Kantholz vor dem Kopf
Der Hintergrund war – und da schließt sich der Kreis zur teilweise absurden politischen Debatte in Deutschland – der Angriff gegen den AfD-Politiker Frank Magnitz. Obwohl noch immer nach den Tätern gefahndet wird, die bei der Attacke gefilmt worden sind, haben die Rechten sofort einen linken politischen Hintergrund behauptet und im Netz entsprechend agitiert. Magnitz sei mit einem Kantholz halb totgeschlagen worden. Kein Kantholz, die schwere Verletzung am Kopf stammt vom ungebremsten Sturz durch die Attacke, zeigt das Video. Das macht es um nichts besser, aber es illustriert den Irrsinn der Debatte, in der sich Leute bemüßigt fühlen, sich von Gewalt zu distanzieren – man hat das Gefühl: obwohl es einen politisch Andersdenkenden getroffen hat.
Die hilflose Sehnsucht nach klaren Grenzen
Und dann ist da noch Nicole Diekmann, ZDF-Journalistin, die sich auf Twitter zu Neujahr Nazis raus gewünscht und das dann auch noch ironisch erklärt hat. Ein Shitstorm der Sonderklasse war die Folge, halb Twitter von Berlin bis Wien hat sich unter dem Hashtag #NazisRaus mit Diekmann solidarisiert. Manche wie Ingrid Brodnig auch sehr klug. Und doch bleibt ein schaler Beigeschmack, denn natürlich sind mit den Nazis die von der AfD gemeint. Aus #NazisRaus spricht die hilflose Sehnsucht nach klaren Grenzen und nach einem gesamtgesellschaftlichen Konsens, die seit ein paar Jahren verloren zu gehen drohen, schreibt die Süddeutsche. Besserer Neujahrswunsch: damit umgehen lernen.