Die Hintertür zuhalten
Vor allem hat er angekündigt, dass er in Zukunft zur Identitären Bewegung keine personellen, funktionellen und aktionistischen Überschneidungen duldet. Das war ein wichtiger und notwendiger Schritt. Das teilte ÖVP-Chef Bundeskanzler Sebastian Kurz in einer knappen Aussendung mit. Ein Zeitdokument, man kann ihn immer wieder daran erinnern. Denn es steht auch drin, dass Kurz damit die Distanzierung seines Koalitionspartners FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache von jenen Rechtsextremen akzeptiere, die der als Oppositionschef noch als Aktivisten einer nicht-linken Zivilgesellschaft begrüßt hat. Wie sie hineingekommen ist bei den Identitären, so schleicht die FPÖ also wieder hinaus: durch die Hintertür.
Allzu freundliche Postings von Strache zu den Identitären auf seiner Facebook-Seite (wo er gerade die 800.000-Fans-Marke überschritten hat) sind still und heimlich gelöscht worden. Die Ober-Identitären, denen er bis in der Vorwoche noch auf Twitter gefolgt ist, hat Strache plötzlich geblockt. Eine Retourkutsche in Zusammenhang mit den Bildern, die Strache mit einem führenden Identitären am Wirtshaustisch in Spielfeld zeigen, ist im Anrollen. Der Vizekanzler hat ja zunächst in einem Gerichtsverfahren behauptet, die Bilder seien gefälscht, was er dann freilich zurückziehen hat müssen.
Da kündigt jemand 1 Geschichte zu einem berühmten Foto von einem Wirtshaustisch in Spielfeld an. #RacheanStrache pic.twitter.com/JDuD5x37lc
— Stefan Kappacher (@KappacherS) April 6, 2019
FPÖ und ihre Medien Lobby für Identitäre
Warum die Enttäuschung über die FPÖ bei den hippen Rechtsextremen so groß ist, das erklärt auch ein jetzt bekannt gewordenes Detail aus dem Grazer Gerichtsverfahren gegen führende Identitäre, das mit Freisprüchen geendet hat: In einem sogenannten Kampagnenplan wird die FPÖ als Lobby für die Identitären bezeichnet, FPÖ-nahe Medien wie unzensuriert.at und FPÖ-TV seien für die Öffentlichkeitsarbeit mit Wordings zu füttern, als Kommunikationsmittel wurden Facebook, Twitter, YouTube, die eigene IB-Homepage und auch FPÖ-Verteiler aufgezählt. Das Papier ist aus 2016, die FPÖ war noch in Opposition, wenig später holte sie Kurz dann in die Regierung.
Nach dem Nazi-Liederbuch in Zugzwang
Im Jänner 2018, nur wenige Tage nach dem Antritt der schwarz-blauen Regierung, deckte der Falter die Affäre um das Nazi-Liederbuch der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt auf, was den Spitzenkandidaten der FPÖ für die Landtagswahl in Niederösterreich ins Straucheln brachte und ihn den Landesratsposten kostete. Auch damals war übrigens widerwärtig und widerlich das Wording der Koalition, heute wird es wieder verwendet – für die Identitären. Aber bisher nur von Seiten der ÖVP, so weit geht die Distanzierung der Freiheitlichen noch nicht, dass man die Identitäre Bewegung oder vielmehr ihr extremes Gedankengut beschimpft. Der berühmte Beschluss der FPÖ zu den Identitären ist kurz nach dem Liederbuch gefallen, am 12. Februar 2018.
Der berühmte Beschluss in drei dürren Zeilen
Genau genommen sind es nur drei Zeilen aus dem Beschlussprotokoll des an diesem Tag in einem Hotel in Wien-Josefstadt abgehaltenen Bundesparteivorstands der FPÖ: Im Zuge der Diskussion wird weiters über die Position der FPÖ gegenüber der IB gesprochen, wobei Einhelligkeit darüber herrscht, dass es nicht möglich ist, gleichzeitig aktives Mitglied der IB und Funktionär der FPÖ zu sein. Der Beschluss, auf den die FPÖ-Spitzen seit Tagen immer wieder Bezug nehmen, ist freilich alles andere als glasklar, wie etwa Manfred Haimbuchner, Landesrat und Landesparteiobmann in Oberösterreich und einer der einflussreichen Männer in der FPÖ, zuletzt betont hat.
Mitgliedschaft ist das falsche Kriterium
Der Beschluss stellt auf eine Mitgliedschaft bei den Identitären ab, die ganz anders funktionieren und eben keine Mitgliederorganisation sind. Und es hat – Stichwort: einhellig – offenbar nicht einmal eine Abstimmung über die Passage gegeben. Der Beschluss ist deshalb eher lasch gehandhabt und vor allem nicht kommuniziert worden, bis dann die Spende des Christchurch-Attentäters auf dem Konto des Identitären-Chefs gelandet ist und der sich mit dem Spender auch noch via Mail ausgetauscht hat. Dann war Feuer am Dach. Kanzler Kurz hat ungewohnt klar Stellung bezogen und seinen Vizekanzler Strache öffentlich unter Druck gesetzt. Mehr Krise war noch nie.
Konkretisierungen, aber ohne neuen Beschluss
Eine Konkretisierung des FPÖ-Beschlusses zu den Identitären etwa durch einen neuen Vorstandsbeschluss, der dann wirklich glasklar sein könnte, findet nicht statt. Manfred Haimbuchner hat das im Ö1-Interview abgelehnt, weil nicht notwendig – wie er sagt. Aber gleichzeitig hat der oberösterreichische FPÖ-Chef in zwei Punkten klar Stellung genommen: Haimbuchner stellte in den Raum, dass man die Identitären aus der Villa Hagen werfen sollte, wo sie mit einer Burschenschaft unter einem Dach logieren, der praktisch die gesamte Führung der FPÖ-Linz angehört. Und der Landesparteichef hat einem Parteimitarbeiter nahegelegt, seinen 30-Prozent-Anteil am rechtsextremen Magazin Info-direkt abzugeben – das Haimbuchner zuletzt mit Strache und Kurz, in einem Boot mit dem Identitären-Chef sitzend, karikiert hat.
Bitte keine Überschneidungen – in Zukunft
Das muss man anerkennen. Und auch die Feststellungen von Strache, auf die sich der Bundeskanzler in seiner Aussendung bezogen hat, sind ein Fortschritt: Auf Facebook und in einer Aussendung schreibt der FPÖ-Chef: Da wir weder organisatorisch, noch finanziell, noch strukturell mit der Identitären Bewegung etwas zu tun haben, ist es nur konsequent, dass es auch keine personellen, funktionellen oder aktionistischen Überschneidungen in Zukunft geben kann. Betonung auf Zukunft, das fällt auf. Und auch der oberösterreichische FPÖ-Chef Haimbuchner hat Sanktionen angekündigt, sollte wieder einmal ein FPÖ-Politiker bei der Identitären mitmarschieren, Fahnen tragen oder Reden halten. Derartiges Engagement ist unerwünscht.
Jetzt fehlen nur noch ein paar Konsequenzen
Damit wäre alles gesagt, es müssten nur noch die Konsequenzen folgen. Etwa für den Grazer Vizebürgermeister Mario Eustacchio, der in unverbrüchlicher Treue an den Identitären festhält und mit der Meinungsfreiheit kommt, wenn man die rechtsextreme Bewegung kritisiert. Und für jene Linzer Spitzenfunktionäre, die es in der Hand haben, in der Villa Hagen und in ihrer dort einquartierten Burschenschaft klar Schiff zu machen. Schließlich unterhält die eine Volksküche, in der es sich Identitäre auch gemütlich gemacht haben. Und nicht nur in der Küche. Und gewiss nicht nur bei dieser einen Burschenschaft. Bei dieser Gelegenheit fragt man sich: Wann wird denn der Bericht der FPÖ-internen Historikerkommission veröffentlicht? Und was wird da über die oft sehr im Geheimen agierenden Burschenschaften drinnen stehen?
Die Enthüllungen über d Chef d Identitären sind widerlich. Als österreichischer Bundeskanzler werde ich keine neonazistischen Umtriebe dulden. Wir müssen alle Formen von Extremismus entschieden bekämpfen, um d freien & liberalen Rechtsstaat zu schützen. https://t.co/hjuYrt9oYw
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) April 4, 2019
Der junge Kanzler und der widerliche Influencer
Das Kalkül von Sebastian Kurz ist vorerst aufgegangen, und es war kein reines Wahlkampf-Kalkül. Man nimmt dem Kanzler die Bestimmtheit ab, mit der er gegen die Identitären auftritt – sogar mittels einer dreizehn Jahre zurückliegenden Causa ohne echten Neuigkeitswert. Ich glaube, wie man die Identitären sieht, ist keine Altersfrage, die kann man widerlich finden, egal wie alt man ist. Das hat Kurz in einer Replik auf Strache gesagt. Mit dem Alter hat es möglicherweise in anderer Hinsicht zu tun. Die Identitären sind die Generation von Kurz, sie sind mit ihren Kommunikationsmitteln auf der Höhe der Zeit, der Identitären-Chef ist von der deutschen Wochenzeitung Die Zeit als einer der erfolgreichsten Influencer des neuen europäischen Rechtsradikalismus bezeichnet worden. Solche Leute hat der junge Kanzler am Radar.
Und Kurz wird sehen, ob die von ihm akzeptierte Distanzierung der FPÖ von diesen rechtsextremen Influencern auch gelebt wird, wie der Vizekanzler das gerne nennt. Denn die FPÖ hat nicht die Vordertür zugeschlagen, sondern versucht, die Hintertür zuzuhalten. Bei der immer noch blaue Gestalten aus und ein huschen.