Ibizarr
Rasch vergessen die alten besten Buddies von der FPÖ, deren Politik von „Ausreisezentren“ und Co. der Kanzler mittrug und schönschwieg. Tschüss Harmonie, auf zu einer neuen Variante des Systems Kurz! Treffender als Eva Linsinger im profil kann man kaum beschreiben, wo Sebastian Kurz heute steht – eine gute Woche nach der Veröffentlichung der Ausschnitte aus dem Ibiza-Video, das alles neu gemacht hat in der Innenpolitik. Nicht nur den Veränderer Kurz, der plötzlich auf Stabilität setzt. Auch die FPÖ-Spitze, wo jetzt Norbert Hofer thront, in dessen politischem Werkzeugkasten Kreide immer schon ganz oben lag. Und warum nur denkt man in dem Zusammenhang sofort an die Kronenzeitung.
Der tief gefallene Vizekanzler für eineinhalb Jahre hat in seinen Gedankenspielen, wie er die Skandalaussagen auf Ibiza vermeintlich verharmlosend, tatsächlich aber sehr entlarvend genannt hat, auch die Krone bedacht. Wie man das Blatt instrumentalisieren könnte für die Partei, wenn man denn Zugriff darauf hätte. Darüber hat Heinz-Christian Strache sinniert, und das tut seiner Partei gar nicht gut. Unsere Beziehung zur FPÖ ist natürlich in den Grundfesten erschüttert. Zur Vergangenheit: Ja, wir haben tendenziell freundlicher als viele andere Medien berichtet. Wir haben aber auch immer wieder sehr kritisch über die FPÖ geschrieben. Das sagt Krone-Chefredakteur Klaus Herrmann, im Interview mit der deutschen Tageszeitung Die Welt. Das hat etwas Bizarres.
Die tendenziell freundliche Kronenzeitung
Tendenziell freundlicher berichtet – das ist natürlich die Untertreibung des Jahres. Die Krone ist der gescheiterten Koalition zu Füßen gelegen, hat Kurz und Strache hofiert, online wurde die FPÖ in der Hoffnung auf viele Klicks regelrecht gepusht – da war die Realität dem Strache-Geschwafel schon voraus. Der Krone-Chefredakteur erklärt sich, was das Kritische betrifft, so: Vor vier Wochen erst haben wir einen Kommentar im Blatt gehabt, dessen Botschaft lautete: „Diese Partei ist nicht regierungsfähig“. Der sehr gute Kommentar war von Claus Pandi, mittlerweile Chefredakteur der Salzburg-Ausgabe, die er – von wilden Gerüchten begleitet – übernommen hat. Pandi sei wegen seiner klaren regierungskritischen Linie in die Provinz abgeschoben worden, wurde gemunkelt.
Norbert Hofer will später gemessen werden
Es ist natürlich uneingeschränkt zu begrüßen, wenn die Kronenzeitung aus welchen Gründen immer auf kritische Distanz zu den Mächtigen geht. Schließlich werden die Herausforderungen an die Berichterstattung nach Ibiza nicht kleiner, eher noch größer. So ist die FPÖ unter Norbert Hofer dabei, die Spuren nach Ibiza zu verwischen. Ich habe die Verantwortung, dass ich als Obmann der Partei meinen Stempel aufdrücke. Man soll mich bitte daran messen, wie die FPÖ in zwei Jahren aussieht, so Hofer in der Presse am Sonntag. An den Taten messen, das war auch ein beliebter Stehsatz in den eineinhalb Jahren der schwarz-blauen Koalition, der Hofer von Anfang an angehört hat. Die Politik der Freiheitlichen nach dem Motto: Hätten wir die absolute Mehrheit, naja – dann könnten wir’s wie der Orbán machen – die hat Hofer mitgeprägt und mitgetragen.
Sebastian Kurz schluckt auch auf Englisch
So wie es Sebastian Kurz war, der sich für die Regierung mit den Freiheitlichen entschieden und geglaubt hat, dass das gutgehen wird. Auf bis zu zehn Jahre war das angelegt, wie Kurz auch jetzt nach dem Scheitern dieser Koalition noch betont hat. Und das, obwohl ihn angeblich die Sozialdemokraten in ihrer Verweigerungshaltung in das Bündnis hineingetrieben haben. Das hat der Kanzler auf eine Journalistenfrage – warum um alles in der Welt er denn mit dieser Partei koaliert habe – sogar auf Englisch gesagt. Damit auch die ganze Welt versteht, dass er quasi ein Opfer ist. Schließlich hat er ja auch so viele Einzelfälle schlucken müssen, so der Kanzler im Originalton.
Das Signalwort & die Nerven aus Stahl
Dass er das geschluckt hat – und nicht das Ibiza-Video – könnte Sebastian Kurz zumindest vorübergehend den Kanzlerposten kosten. Der Misstrauensantrag am Montag wird wohl durchgehen, wenn die FPÖ nicht doch noch eine Volte schlägt. Man müsse in solchen Situationen Nerven aus Stahl haben, sagt Norbert Hofer und lässt die FPÖ-Entscheidung offen. Es gebe gute Gründe, die Regierung bestehen zu lassen, richtet Hofer seiner vor Rachegefühlen bebenden Partei aus. Stabilität zum Beispiel. Womit ausgerechnet der designierte FPÖ-Obmann ein Signalwort des ÖVP-Chefs verwendet, der seine Partei gerade aus der Regierung geschmissen hat. Es ist bizarr, und es wird in den kommenden Monaten wohl so bleiben. Ibizarr.