Kurz spielt auswärts
Es sind die Zwischentöne, auf die man achten muss, wenn Sebastian Kurz einmal Interviews gibt. Gegenüber der ZIB hat der ÖVP-Chef auf die Frage, wie lange es dauern werde, das gesagt: Weihnachten würde mir doch sehr zeitlich ambitioniert klingen, also ich glaube, wir werden da etwas mehr Zeit brauchen – insbesondere wenn es mit den Grünen nicht klappen sollte. Denn dann müssen wir mit den anderen Parteien die Gespräche de facto bei Null beginnen. Insbesondere wenn. Kurz denkt schon an das Rückspiel zu Hause für den Fall, dass er dieses Auswärts-Match gegen die Grünen nicht gewinnen sollte.
Es kann kein Zufall sein, dass der ÖFB seine neuen Auswärtsdressen ausgerechnet an dem Tag vorstellt, an dem die Spitzen von ÖVP und Grünen den offiziellen Startschuss für die Koalitionsverhandlungen geben. Arnautovic & Co. werden am 16. November gegen Nordmazedonien erstmals in den Farben Schwarz und Türkis aufs Feld laufen. Dass Sebastian Kurz bis dahin schon ein Ergebnis mit den Grünen sehen will, weil er sonst einfach Schwarz-Türkis macht, ist natürlich nur ein übles Gerücht, das von den üblichen Verdächtigen im Netz verbreitet wird. Aber der Wink mit dem Zaunpfahl kann nicht schaden. Ich werde natürlich versuchen, aufs Tempo zu drücken, da sich die Österreicher schon bald eine stabile und handlungsfähige Regierung wünschen. Hat der präsumtive Kanzler schließlich im Standard-Interview gesagt.
Schwarz-Türkis. Wenn es mit den Grünen doch nichts wird. https://t.co/0RjcvKh50n
— Oliver Pink (@OliverPink1) November 12, 2019
Der entsetzte Blick in die grüne Schlucht
Dass das mit den Grünen für die Kurz-ÖVP ein Auswärtsspiel ist, das hat der Tiroler Lift-Unternehmer und Seilbahn-Lobbyist Franz Hörl aus dem Zillertal mit einem Satz wunderbar auf den Punkt gebracht: Wir stehen am Abgrund und blicken in eine grüne Schlucht, wird Hörl in der Tiroler Tageszeitung zitiert. Der Tiroler Wirtschaftsbundchef ist ideologisch so viel näher bei Kurz und Harald “ein grüner Wirtschaftsminister ist undenkbar” Mahrer, der für die ÖVP federführend Wirtschaft und Finanzen verhandeln wird, als zum Beispiel sein Tiroler Parteichef und Landeshauptmann Günther Platter. Der ist zwar auch dafür, dass Berggipfel abgetragen und Skigebiete auf schmelzenden Gletschern dick aufgetragen werden, Platter ist aber auch für kreatives Spiel zu haben, er spricht es nur selten so offen aus wie seine Bildungslandesrätin Beate Palfrader.
Ein Heimspiel ist es nur im Westen
Den Ländern sollte es ermöglicht werden, Modellregionen für eine gemeinsame Schule auch in Ballungszentren zu schaffen, so Palfrader in der TT. Eine Position der Grünen, die von der ÖVP im ebenfalls schwarz-grünen Vorarlberg noch deutlicher vertreten und sogar in der Praxis erprobt wird. Ursprünglich war die gemeinsame Schule übrigens eine sozialdemokratische Idee. Doch die politischen Erben eines Otto Glöckel sind sehr mit sich selbst beschäftigt, mögen Schulreformen anderswo gedeihen. Für Vorarlberg und Tirol ist Schwarz-Grün also nicht unbedingt ein Auswärtsspiel. Aber das Sagen haben in der ÖVP andere Länder – zum Beispiel die mit viel Geld, zumal sagenhafte Großspenden für Sebastian Kurz heute ja keine Einnahmenquelle mehr darstellen.
Also Niederösterreich. Und die dort mit absoluter Mehrheit regierende Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner von der ÖVP hat zuletzt im Ö1-Interview tief blicken lassen. Zur vom Flughafen Wien geplanten Dritten Piste, ein Horror für Klimaschützer, sagt sie: Es fliegt kein einziges Flugzeug weniger, wenn diese in Zukunft von Bratislava oder Prag abfliegen. Das ist ein Projekt, das im Staatsinteresse liegt.
Es fliegt, es fliegt die Johanna Mikl-Leitner
Kurzer Sprung zurück nach Tirol. Der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi von den Grünen bremst bei den Sanierungskosten für den Flughafen seiner Landeshauptstadt und hat gesagt: Die Frage ist, ob es vielleicht nur wieder ein Zubringer-Flughafen wird, oder vielleicht gibt es ihn in 50 oder 80 Jahren gar nicht mehr. Mit dieser ketzerischen Aussage im Interview konfrontiert, huschte ein ungläubiges Lächeln über Mikl-Leitners Gesicht. Ihre Antwort darauf: Ich glaube, da muss man schon realistisch sein und die Zahlen, Daten und Fakten kennen. Österreich ist ein exportorientiertes Land und somit hängen auch tausende Arbeitsplätze ab vom zukünftigen Export. Der Blick in die grüne Schlucht tut auch im an sich schluchtenfreien Niederösterreich seine Wirkung.
Selbst Schwarz-Türkis hält an Blau fest
Im Land von Johanna Mikl-Leitner ist des Prinzip von Schwarz-Türkis ja Realität. Dort herrscht in der Landesregierung zwar noch der Proporz mit den anderen Parteien, das dient aber vor allem dazu, den Allmachts-Status der ÖVP zu kaschieren. Mit der FPÖ und deren Vertretern in Niederösterreich hat Mikl-Leitner hier und hier schon ihre liebe Not gehabt. Doch es wollte ihr im Interview nicht einmal der Ansatz einer Distanzierung gegenüber einer Neuauflage der Ibiza-Koalition entkommen. Und zwar deswegen, weil es natürlich auch darum geht, wie bringen wir unsere Inhalte unter, wie können wir uns inhaltlich auch durchsetzen, damit es mit dieser Republik auch gut weitergeht? Und das würde mit der FPÖ natürlich am einfachsten funktionieren.
Ein Blick in die Seele der Verdammten
Der Salzburger Verkehrslandesrat Stefan Schnöll, er ist Obmann der Jungen ÖVP und Vertrauter von Sebastian Kurz, hat im ORF-Talk Im Zentrum einen Einblick in die Seele der zum Grün-Sympathisieren verdammten Schwarzen gegeben. Schnöll beschwörend an den in der Sendung ebenfalls diskutierenden FPÖ-Parteiobmann: Aber Herr Hofer, dann versuchen Sie zumindest mitzuregieren. Ich finde, Sie machen es sich da relativ einfach. (…) Sie limitieren unsere Optionen. Antwort von Hofer: Die Aussage war doch immer dieselbe. Wenn die Verhandlungen scheitern, werden wir entscheiden über den Eintritt. Schnöll darauf: Ja aber sollen wir das jetzt mutwillig scheitern lassen? Mit das ist natürlich das Auswärtsspiel gegen die Grünen gemeint. Das Bedauern darüber ist nicht nur bei JVP-Chef Schnöll greifbar.
Die Freiheitlichen und der Leider-Faktor
Auch sein Mentor Kurz sagt bei jeder Gelegenheit, dass sich die Freiheitlichen leider aus dem Spiel genommen hätten. Und Kurz auf die Frage, ob sich die FPÖ nicht selbst disqualifiziert habe – durch Ibiza, Spesenaffäre und Liederbuchskandale: Ich habe vor der Wahl gesagt, dass jede demokratisch gewählte Partei für uns ein potenzieller Partner ist. Ich wüsste nicht, warum ich diese Meinung nach der Wahl ändern sollte. Weil ein FPÖ-Abgeordneter nach der Wahl schon wieder ein Nazi-Liederbuch verteidigt, der FPÖ-Chef trotz Durchgriffsrecht nichts gegen den Abgeordneten unternimmt und der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde deswegen offen und beharrlich den Rücktritt des FPÖ-Obmanns als Dritter Nationalratspräsident fordert vielleicht?
Die SPÖ ist komplett unberechenbar
Nein, ein Sebastian Kurz will sich nicht auch noch selber die Optionen limitieren. Immer wieder lässt er sich mit sichtlicher Genugtuung von Journalisten auch zum Thema einer ÖVP-Minderheitsregierung befragen, die Kurz natürlich nicht ausschließt. Es wäre die absurdeste Variante, wo er doch drei Möglichkeiten für Koalitionen und nach Jahren des auch von ihm selbst verschuldeten Wählens auch die Aufgabe hat, endlich eine stabile Regierung zu bilden. Kurz sagt im Kurier-Interview: Wenn ich eine stabile Regierung will, sind die Grünen politisch berechenbarer als die SPÖ. Das ist wohl wahr, will aber auch nur davon ablenken, dass es zur Zeit leider mit der FPÖ nicht geht.
Verhandeln mit angezogener Handbremse
Die FPÖ zündelt natürlich, wirft dem ÖVP-Chef vor, sich den Grünen auszuliefern und einen Linksruck in Österreich zuzulassen. Der größte Wählerbetrug der Zweiten Republik, tönt FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl. Eine Viertelmillion Stimmen für Kurz sind von der FPÖ gekommen, das war sein Heimspiel. Und um diese Fans macht sich der ÖVP-Obmann jetzt beim Auswärtsspiel Sorgen. Deshalb gibt es da keinen klaren Schnitt, da geht Kurz lieber mit angezogener Handbremse in das Match mit den Grünen. Die Grünen haben sehr klare Positionen im Klima- und Umweltschutz, dafür sind sie gewählt worden. Wir haben sehr klare Positionen in der Migrations-, Sicherheits-, aber auch der Standort- und Steuerpolitik. Das ist ein objektiver Blick auf die Realität, daran kann man sich orientieren, so Kurz im Standard-Interview.
Das Warten auf den Jo-Jo-Effekt
Gegenüber Corinna Milborn vom Info-Sender puls24 ist der ÖVP-Chef dann noch ein bisschen deutlicher geworden. Ich verhandle keine Mitte-links-Regierung. (…) Wir sind am Anfang eines Prozesses und nicht am Ende. Und dass wir in den zentralen Punkten ganz genau wissen, was wichtig für Österreich ist, aber auch wofür wir gewählt worden sind, darauf können Sie sich verlassen. Eine unmissverständliche Botschaft an den Verhandlungspartner, den Bogen nicht zu überspannen, sich auf grüne Kernbereiche zu konzentrieren und ansonsten die Kanzlerpartei machen zu lassen. Wo nach diesem intensiven Jahr, in dem die innenpolitische Geschichte neu geschrieben worden ist, eine Ernährungsumstellung angebracht wäre, glaubt die Kurz-ÖVP, dass ein fleischloser Tag reicht. Wir warten, um im Bild zu bleiben, auf den Jo-Jo-Effekt.
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