Sagahaft frugal
Die gute Nachricht: Felix Mitterer will – inspiriert von Ischgl – einen fünften Teil seiner legendären Piefke-Saga schreiben. Ich arbeite bereits an einem Exposé, sagt der Schriftsteller, den der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter 2018 zum Tiroler des Jahres gekürt hat – übrigens gemeinsam mit Martha Schultz, Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer und Liftkaiserin im Zillertal. Im Jahr davor waren es Tobias Moretti, als Joe ein Piefke-Saga-Darsteller der ersten Stunde – und: Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck. Guter Stoff also auch behind the scenes. Die schlechte Nachricht: Die Realität schreibt schneller als Mitterer.
Also sprach Johann Gudenus, einer der Hauptdarsteller im Korruptionsvideo, das vor einem Jahr die Republik erschüttert hat, hier bei 21.00 im Fellner-TV: Ich hab mich in Ibiza ja auch nur verplaudert. Es war eine Anspielung auf den Bundespräsidenten, der bis weit nach der COVID-Sperrstunde 23 Uhr beim Nobel-Italiener im Gastgarten gesessen ist, und der Niki Fellner als Interviewer hat sehr lachen müssen. Dabei muss Alexander Van der Bellen eh schon ertragen, mit Boris Johnsons Chefberater in einen Topf geworfen zu werden. Dominic Cummings hat wissentlich von ihm entworfene Containment-Regeln gebrochen und versucht, den zahlreichen Rücktrittsaufforderungen durch abenteuerliche Erklärungen zu entkommen. Van der Bellen hat seinen Fehler eingestanden.
Der Bundespräsident zu heutigen Medienmeldungen: „Ich bin erstmals seit dem Lockdown mit zwei Freunden & meiner Frau essen gegangen. Wir haben uns dann verplaudert und leider die Zeit übersehen. Das tut mir aufrichtig leid. Es war ein Fehler“ (1/2)
— A. Van der Bellen (@vanderbellen) May 24, 2020
So weit wie der gefallene Politiker Gudenus wollte niemand gehen. Die Kronenzeitung schrieb von einem Sperrstunden-Wirbel. Im Kurier wiederum konnte man lesen, die Krone hätte Skandal geschrieben. Ein namhafter Journalist rang sich schlussendlich auf Twitter zum Vorwurf eines Miniskandals und Kleinwalsertal-Moments des Bundespräsidenten durch – in Anspielung auf das stupende Versagen der Message-Control-Profis um Bundeskanzler Sebastian Kurz. Das sind zwei Paar Schuhe, aber selbstverständlich muss sich auch der Bundespräsident an die vorgeschriebenen Regeln halten. Fest steht allerdings nicht minder, dass Kurz seinerseits keinen Fehler eingestanden hat.
Eine Enklave der Wiederaufbau-Politik
Kurz hat sein Kleinwalsertal längst überwunden, er errichtete mit The Frugal Four eine Enklave der europäischen Wiederaufbau-Politik. Die sparsamen Vier, wie sich Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark in der Übersetzung selbst framen, haben etwas dagegen, dass da im Windschatten von Angela Merkel und Emmanuel Macron vielleicht große europäische Politik gemacht werden könnte. Für manche gar der Hamilton-Moment für Europa – benannt nach Alexander Hamilton, dem ersten Finanzminister der USA, der durch die Übernahme der Schulden der Bundesstaaten die Basis für die Vereinigten Staaten von Amerika gelegt hat. Gott bewahre. Kurz und die anderen Frugalen betonen in ihrem Papier, keine Schuldenunion durch die Hintertür zu wollen. Zu Hause gilt freilich der Leitspruch: Whatever it takes. Und der Finanzminister legt dem Nationalrat ein Budget vor, das bei den Ausgaben eine Schwankungsbreite von plus 30 Milliarden Euro hat.
In Ibiza halt ein bisschen verplaudert
Whatever it takes, das hat ja auch für den anderen gefallenen FPÖ-Politiker gegolten, der jetzt mit Hilfe von Medienauftritten im Vorfeld des Wiener Gemeinderatswahlkampfs wieder aufzustehen versucht. Heinz-Christian Strache hat sich auch auf Ibiza verplaudert, doch politisch das Genick gebrochen haben ihm dann Spesen und Mietzuschüsse, die er von der Partei kassiert hat. Das Bekanntwerden des Spesen-Unwesens hat auch der Partei nicht gut getan. Jetzt holt Strache mit seiner Kandidatur in Wien zum Todesstoß für die bisher starke FPÖ-Landesorganisation aus. Und im Volk scheint die Bereitschaft zu bestehen, den Mann wieder mit einem Mandat zu betrauen. Keine Sorge, sagt Strache. Das Geld für das Mandat werde er ausnahmsweise nicht nehmen, sondern an Sportvereine spenden. Eine frugale One-Man-Show sozusagen.
Die Misere hinter der One-Woman-Show
Eine ziemlich frugale One-Woman-Show zieht indessen Verteidigungsministerin Klaudia Tanner ab. Seit die ÖVP-Niederösterreich wieder an der Spitze des Heeresressorts steht, weht PR-mäßig ein noch schärferer Wind als unter dem seinerzeitigen Großmeister Hans Peter Doskozil von der SPÖ. Die Pandemie hat Tanner dazu genutzt, Soldaten für alles und jedes aufzubieten, vom Waren-Verteilen für Handeskonzerne über Medikamente- Sortieren für Pharmakonzerne bis hin zum Amazon-Packerln-Schupfen für die Post. Alles systemrelevante Bereiche, meint die Ministerin. Und wenn jemand Zweifel haben sollte, dann gibt es immer noch eine Verordnung, wonach das Heer Unterstützungsleistungen erbringen darf, um wehrpolitische Erfahrungen zu sammeln, sagt Tanner. Wen interessiert es, dass die Erfüllung der militärischen Kernaufgaben wegen Kaputtsparens im Argen liegt und keinerlei Aussicht auf nachhaltige Besserung besteht.
Auf den Brenner kam nur kurz ein Blackhawk
Ein Eindruck, der sich auch angesichts der Teilmobilisierung der Miliz hartnäckig hält: Von ursprünglich genannten 3000 Mann sind 2300 einberufen worden, 1400 sind dann Anfang Mai tatsächlich eingerückt. Das ist eine Befreiungsquote von 30 Prozent, und die ersten Kompanien dürften schon bald wieder abrüsten. Der Vorarlberger Militärkommandant Gunther Hessel hat das für seinen Bereich jedenfalls in Aussicht gestellt. An der Brenner-Grenze in Tirol wiederum hat Tanner mit einem Truppenbesuch den frugalen Bogen, den Sebastian Kurz im Kleinwalsertal begonnen hat, vollendet. Per Blackhawk-Hubschrauber hat sie Milizsoldaten besucht, die an diesem historisch sensiblen Grenzübergang das Virus stoppen sollen. Der Tiroler NEOS-Chef Dominik Oberhofer sprach von verstörenden Bildern, die der Europaregion Tirol und dem europäischen Gedanken massiv schaden.
Die Freunde in der SVP in Schockstarre
In Verbindung mit der Aussage von Kanzler Kurz, wonach er keine Perspektive für eine Öffnung der Grenze zu Italien sehe, das seinerseits am 3. Juli aufmachen will, ist das besonders für Südtirol verstörend. Die Süddeutsche Zeitung hat diesem Aspekt unter dem Titel Gemeinheiten unter Freunden einen Artikel gewidmet, in dem es vor harten Worten Richtung Sebastian Kurz nur so wimmelt. Und der Journalist Christoph Franceschini von salto.bz schreibt: Sebastian Kurz hat die Öffnung der Brennergrenze mit einem Satz vom Tisch gewischt. Seine Busenfreunde in und außerhalb der SVP scheinen in Schockstarre gefallen zu sein. Knallharte nationale Interessen würden hier verfolgt, heißt es in Bozen – auch im Konzert der frugalen Vier, die bei der Corona-Hilfe für Italien bremsten.
Jede Menge Stoff und Laiendarsteller
Stoff ohne Ende jedenfalls für die Saga, die Felix Mitterer jetzt weiterschreiben will. In einem Interview zum 25-Jahr-Jubiläum der Piefke-Saga 2016 hat Mitterer noch Pläne für eine Russen-Saga gewälzt. Der Darsteller des Bürgermeisters von Lahnenberg, der legendäre Kurt Weinzierl, habe ihm kurz vor seinem Tod versprochen mitzumachen und gesagt, das spiele er ihm auch als ein Toter. So hat Mitterer erzählt. Bei dem was heute in Tirol und rundherum abgeht, würde sich Weinzierl als ein Toter wahrscheinlich in der einen oder anderen Szene schwertun. Dafür kann Mitterer auf ein Reservoir an Laiendarstellern aus dem richtigen politischen Leben zurückgreifen. Die können gut Texte einüben, wenn sie nicht zu lang sind. Und vor allem können die bitterböse Realsatire aus dem Stegreif.
Ein Gedanke zu „Sagahaft frugal“
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