Bücke dich, Heer
So macht man das. Die Verteidigungsministerin ist gar nicht dabei, als ihr Stabschef – ein erfahrener Generalmajor – im Hinterzimmer eines Studentenlokals ein neues Heereskonzept präsentiert. Das Lokal ist unter dem Namen Bücke dich bekannt, und das Konzept entsorgt de facto die militärische Landesverteidigung. Bezeichnender geht es nicht. Große Aufregung, als die Meldung dann raus ist, vom endgültigen Todesstoß für das ausgehungerte Heer ist die Rede. Nicht einmal den Bundespräsidenten als Oberbefehlshaber hat man informiert. Und dann tut Klaudia Tanner, als würde sie zurückrudern. Die Dinge nehmen ihren Lauf.
Man kann der Meinung sein, dass die Konzentration des Bundesheers auf Aufgaben mit einer gewissen Einsatzwahrscheinlichkeit sinnvoll ist. Katastrophen wie Hochwasser und Lawinen, aber auch Pandemien oder Blackouts – wer will dafür nicht Spezialisten beim Bundesheer. Auch die Abwehr von Cyber-Angriffen ist extrem ausbaufähig, das haben reale Attacken der jüngeren Vergangenheit wieder eindrücklich gezeigt. Und für Hilfs- und Assistenzeinsätze aller Arten wird das Bundesheer schon seit Jahrzehnten immer wieder gern angefordert, ob zum Pisten-Präparieren in Kitzbühel oder zum Amazon-Packerl-Schupfen für die Post, der die Leiharbeiter wegen Corona ausgefallen sind. Gar nicht zu reden vom unvermeidlichen Dauer-Grenzeinsatz, der Grundwehrdiener die Ausbildung kostet und für den jetzt wieder Kickl-mäßig gemeinsam mit der Polizei geübt wird.
Andocken des Heeres an regionale Politik
Es ist auch wenig gegen die Überlegung zu sagen, dass man Zonen-Kommanden in den Bezirken definiert. Das läuft unter dem Titel stärkere Integration in die Gesellschaft, ist aber letztlich nur das endgültige Andocken des Heeres an die regionale Politik. Bezirks- und Landeshauptleute sollen wissen, dass ihre Hilfstruppen bereitstehen und wo sie sie unkompliziert abrufen können. Die Brigadekommanden werden mit den Militärkommanden der Länder verschmolzen, auch das passt da hinein. Panzer und schwere Waffen werden auf ein Minimum reduziert, weil kein Geld für solche Verbände mit moderner Ausrüstung und Gerät da ist. Personal wird weiter reduziert, indem anstehende Pensionierungen in großer Zahl nicht nachbesetzt werden. Die dringend notwendige Wiedereinführung der Übungspflicht für eine funktionierende Miliz ist einfach kein Thema.
Warnung vor einem Technischen Hilfswerk
Das alles kann man machen und gut finden, aber dann soll man auch den Mut haben und sagen was ist: Das ist kein Heer mit dem Anspruch, die Republik notfalls mit militärischen Mitteln zu verteidigen. Das ist, wie es der Verteidigungsminister des zweiten Halbjahres 2019, Thomas Starlinger, genannt hat, ein leicht bewaffnetes Technisches Hilfswerk. So wie es in Deutschland neben der Bundeswehr existiert – mit dem Unterschied, dass es bei uns dann nicht neben der Armee existiert, sondern dass es die Armee ist. Eine lange Reihe von SPÖ- und ÖVP-Verteidigungsministern hat das Bundesheer in diese Richtung getrieben, die Mängelverwaltung ist immer skurriler geworden, nie wurde Klartext geredet. Klaudia Tanner setzt jetzt mit Bauernbund-Schläue zum größten Bluff aller Zeiten an.
Bundespräsident und Oberbefehlshaber Alexander Van der Bellen hat heute Verteidigungsministerin Klaudia Tanner zu sich gebeten, um sich umfassend von ihren Vorhaben berichten zu lassen. (1/2)
— A. Van der Bellen (@vanderbellen) June 24, 2020
Der ignorierte Bundespräsident & das B-VG
Der Bundespräsident hat Tanner zu sich zitiert, nachdem er von den Plänen aus den Medien erfahren musste. Was angesichts der Tragweite des vorgestellten Konzepts umso unglaublicher ist. Viele stellen sich die Frage, ob die Pläne der Ministerin der Verfassung entsprechen. Folgt man noch einmal Thomas Starlinger, der als Adjutant das Vertrauen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen genießt, dann könnte der Artikel 79 des Bundesverfassungs-Gesetzes berührt sein, wo es in Absatz 1 heißt: Dem Bundesheer obliegt die militärische Landesverteidigung. Das hat Starlinger in einem Atemzug mit der Aussage zum Technischen Hilfswerk erwähnt, und das wird jetzt schlagend.
Verteidigungsministerin an der Nebelmaschine
Die Verteidigungsministerin, die bei der Präsentation des Heereskonzepts ja nicht dabei war, hat längst die Nebelmaschine angeworfen: Es ist völlig klar, dass die militärische Landesverteidigung die ureigenste Aufgabe des Bundesheeres ist und bleibt, daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Der Schutz der Bevölkerung ist unsere Hauptaufgabe, der wir uns widmen. Zukünftig werden wir uns neben der klassischen Landesverteidigung aber auch der zukünftigen Landesverteidigung widmen. Das ist Framing vom Feinsten. Die alte, klassische Landesverteidigung wird der neuen, zukünftigen Landesverteidigung gegenübergestellt. Niemand hat die Absicht, die militärische Landesverteidigung in die Mottenkiste zu geben. Die Journalisten im Bücke dich haben sich offenbar alle verhört.
Umgehung der fehlenden Zweidrittelmehrheit
In Wahrheit läuft schon die nächste Phase. Nie und nimmer werden sich Klaudia Tanner und ihr Umfeld auf Klartext einlassen, der sie in eine Verfassungsänderung hineintheatern würde, für die es keine Zweidrittelmehrheit gibt – wobei man sich da bei der SPÖ nicht so sicher sein kann. Die hat bekanntlich schon einmal via Kronenzeitung eine Volksbefragung zur Wehrpflicht erzwungen, weil es dem damaligen Wiener Bürgermeister gerade in seine Wahlkampf-Pläne gepasst hatte. Aber die oppositionelle SPÖ wird da eher kein Risiko eingehen, und im Verteidigungsministerium ist standesgemäßes Tarnen und Täuschen angesagt. Mit Bekenntnissen wie oben wird Tanner den Nationalen Sicherheitsrat ebenso locker überstehen wie die nicht durch die Tapetentür gedrungene Rüge Van der Bellens.
Dann wird die Wehrpolitik by Umfrage umgesetzt
Im Herbst werden dann Fakten geschaffen, Kommanden zusammengelegt, Verbände mit schweren Waffen downgegradet, Kasernen zur Schließung freigegeben. Die gerade einmal neun Monate alte vernichtende Bestandsaufnahme von Starlinger ist Makulatur. Die Schimäre vom funktionierenden Bundesheer wird aufrechterhalten werden. Die Grünen, die sich als Regierungspartei schön bedeckt halten, werden daran nichts ändern. Soweit alles erwart- und absehbar. Die Verteidigungsministerin begründet den geplanten Umbau des Heeres in einer internen Mitteilung mit einer Umfrage, wonach nur ein Fünftel einen militärischen Angriff als Bedrohung sieht. Die Einschätzung der Bevölkerung bestätigt mich in meiner Absicht, das Bundesheer auf die einsatzwahrscheinlichsten Bedrohungen auszurichten. Nicht umsonst wird bereits im Regierungsprogramm klar darauf hingewiesen. Das werden wir konsequent umsetzen. Tanner macht hier also ganz offen Wehrpolitik by Umfrage. Das wiederum ist neu – und irgendwie auch erschreckend.