In Covidäne
“Man macht halt, und dann wird es zu viel, aber man macht weiter, weil man glaubt, es geht nicht anders”, sagt der Minister. In seinem Kabinett wird betont, dass zwei der besten Juristen im Haus auf Urlaub waren, als der Schlamassel passierte. Und jetzt ist schon wieder so was Blödes passiert, wie es Katharina Mittelstaedt in einer hinreißenden Reportage über Rudolf Anschober beschrieben hat. Diesmal: Pfusch mit der Einreiseverordnung. Megastau von Kroatien-Rückkehrern in den Karawanken. Zoff zwischen Bund und Land. Anschobers beste Juristen dürften immer noch auf Urlaub sein. Oder in Covidäne. So wie wir alle.
Der Bezirkshauptmann von Leibnitz hat im Ö1-Mittagsjournal darauf hingewiesen, dass die Einreiseverordnung vom Wochenende in sich widersprüchlich sei und er deshalb für den Grenzübergang Spielfeld keine lückenlosen Kontrollen wie in Kärnten angeordnet habe. Dort gab es dann auch kein Chaos. Und tatsächlich – in Paragraph 5 Absatz 1 der Verordnung steht: Diese Verordnung gilt nicht für die Durchreise durch Österreich ohne Zwischenstopp. Mit der neuen Einreiseverordnung wird dem Absatz 1 der Satz angefügt: Zur Bestätigung der Durchreise ohne Zwischenstopp sind die Durchreisenden verpflichtet, eine Erklärung gemäß dem Muster der Anlage F oder G vollständig und wahrheitsgemäß auszufüllen und zu unterschreiben. Ausbaden mussten den Verordnungsmurks und die Folgen die Familien auf dem Heimweg aus dem Urlaub. Straf-Stau auf der Autobahn.
Menschen, die auf Dashboards starren
Die haben jetzt am eigenen Leib erfahren: Österreich ist ein Land in Covidäne. Eine neben dem Gurgelat weitere unbezahlbare Wortschöpfung, die wir diesmal Franz Allerberger von der AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) zu verdanken haben. Er hat sie in einem ZIB2-Interview unabsichtlich geprägt, wollte Quarantäne sagen – und schon war im Eifer der Antwort das neue Wort geboren. Covidäne beschreibt jenen Zustand, in dem die Menschen jeden Tag gebannt auf die diversen Dashboards starren und jegliche Gelassenheit verloren haben. Wenn sie dann einer einfordert wie der streitbare Public-Health-Experte Martin Sprenger von der Medizinischen Universität Graz, dann spricht der zwar vielen aus der Seele. Aber die Politik gibt den Ton an, und der ist ein anderer.
Die immer gleichen Botschaften der Player
Das Virus kommt mit dem Auto, sagt der Bundeskanzler. Das Virus ist mit im Gepäck, sagt der Innenminister. (Der fliegt heute übrigens nach Griechenland und fährt dort an die Grenze zur Türkei. Markenpflege. Auch während Corona dürfen wir die Migrationssituation nicht unterschätzen, sagt Karl Nehammer.) Reißt Euch zusammen und übernehmt auch Verantwortung!! Das hat der Gesundheitsminister – der die Zustände in den griechischen Lagern wie viele unerträglich findet – aber nicht Sebastian Kurz und dem Innenminister zugerufen, sondern das hat Rudolf Anschober getwittert. Und er hat die jungen Leute gemeint, die im Infektionsgeschehen jetzt eine größere Rolle spielen. Strandpartys sind pfui, war seine Botschaft, die er mittlerweile mehrfach abgeschwächt hat. Martin Sprenger sagt dazu: Man müsse die Entwicklung positiv sehen, es gelinge uns offenbar sehr gut, die Risikogruppen zu schützen. Aber in der Covidäne ist nichts positiv.
Wir können gut über den Winter kommen
Sprenger hat im Ö1-Interview vor Angstmacherei gewarnt. Er ist überzeugt, dass wir mit den erreichten Standards im Testen und im Tracing, beim Schutz von Risikogruppen und bei der Behandlung von COVID-Kranken gut über den Winter kommen werden. Er meint auch, dass mehr Gelassenheit zum Schulstart in zwei Wochen angebracht wäre, vor allem die Kindergartenkinder und die Volksschüler bräuchten dringend Normalbetrieb. So wie das jetzt angegangen werde, sei Chaos ab den ersten Verdachtsfällen programmiert. Man hätte über den Sommer in Kommunikation mit den Lehrern und Eltern investieren müssen, sagt Martin Sprenger. Das ist nicht passiert, dafür läuft jetzt eine Sommerschule mit Lehramtsstudenten, deren Wirkung nach Ansicht von Auskennern verpuffen wird.
Zwischen Heurigen ein paar Selfie-Forderungen
Sebastian Kurz nützt indessen den ausklingenden Sommer für Fototermine aller Art. Mit dem Bundespräsidenten beim noblen Heurigen, mit den Sozialpartner-Präsidenten auf ein Bier im Schweizerhaus im Wiener Prater. Wenn die Reblaus in der Luft liegt, kann man den harten Covidäne-Job auch einmal gut sein lassen. Schließlich war es der Kanzler, der am 15. August in der Gratiszeitung von Wolfgang Fellner strengere Kontrollen an den Grenzen gefordert hat. Der Regierungschef hat das von seiner Regierung gefordert. Und zwar mit den Worten: Hier muss strenger kontrolliert werden. Es ist dringend notwendig, dass die Gesundheitsbehörden sicherstellen, dass hier flächendeckender kontrolliert wird als bisher. Der Gesundheitsminister hat in seiner Ministerverantwortlichkeit angeordnet, dass flächendeckender kontrolliert wird. Das Ergebnis kennen wir.
Die SPÖ-Vorsitzende und das weit entfernte Ziel
Und Kurz ist fein heraußen. Seine via oe24 verbreitete Botschaft ist von allen wichtigen Medien des Landes aufgegriffen worden, tags darauf rief der Kanzler dann die Fernseh-Stationen zu sich und legte nach. Das Virus kommt mit dem Auto. Ein perfekter Sager aus Sicht des politischen Marketings – und weg war der ÖVP-Obmann wieder für eine gewisse Zeit. Es ist ja Sommer, und für das Grenz-Chaos in der Covidäne kann Sebastian Kurz doch nichts. Im ORF–Sommergespräch war am Montag Abend übrigens Pamela Rendi-Wagner zu Gast. Die SPÖ-Vorsitzende hat sich redlich bemüht zu versichern, dass sie alles im Griff hat und immer schon siebente Nachfolgerin von Bruno Kreisky werden wollte. Der Vorsitz in der Partei sei halt ein Marathon, so Rendi-Wagner.
Der Versuch von Simone Stribl, die SPÖ im #Sommergespräch bewusst schlecht aussehen zu lassen, ist dank souveräner @rendiwagner daneben gegangen. Sie gab die richtigen Antworten auf diese verwunderliche Art der Interviewführung mit ständigen Unterbrechungen.
— Christian Deutsch (@deutsch_ch) August 24, 2020
Von Pacemakern und Bremsschuhen
An den Labestationen dieses Marathons stehen Leute wie Christian Deutsch, den sich Rendi-Wagner von den Wiener Genossen als Bundesgeschäftsführer zur Seite stellen hat lassen. Deutsch hat – ganz uralte Schule – gleich einmal der ORF-Interviewerin Simone Stribl die Schuld umgehängt, sollte der eine oder die andere aus den eigenen Reihen mit der Performance der Chefin nicht so zufrieden gewesen sein. Die SPÖ bewusst schlecht aussehen lassen – das ist schon ein ziemlich heftiger Vorwurf. Das hat Deutsch nach der Sendung getwittert. Käme so etwas von der ÖVP, kann man sich die Empörung in der Löwelstraße ausmalen. Sebastian Kurz wird den Reigen der Sommergespräche ja am nächsten Montag beschließen. Er wird die Covidäne hochhalten, dem Corona-Minister Anschober mit dessen Verordnungschaos verständnisvoll zur Seite stehen und sich wahrscheinlich für jede einzelne Unterbrechung artig bedanken.