Fünf Kubricks
Die Gratis-Impfung gegen das Corona-Virus werde den Migrationsdruck heuer verschärfen, sagt uns Michael Spindelegger. Der Mann war einmal Außenminister, Finanzminister und ÖVP-Obmann. Und er war auch Mentor von Bundeskanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel. Spindelegger hat die beiden erfunden und damit den Grundstein für die heutige Übermacht der ÖVP gelegt. Jetzt läuft es nicht so rund für Kurz & Blümel, ein bisschen Markenkern-Input vom Spindelegger-Think-Tank schadet da nicht. Es ist die seltsamste Nebelgranate seit dem Virus im Kofferraum. Aber nicht das einzig Strange in diesen Tagen.
Migrationsexperten wie Gerald Knaus – der Erfinder des Deals zwischen der EU und der Türkei, der Sebastian Kurz seine Selbstdarstellung als Schließer der Balkanroute erst ermöglicht hat – halten dagegen, wenn Spindelegger als Chef des ICMPD (Zentrum für Migrationspolitik) neuerliche Flüchtlingsströme an die Wand malt. Aber was heißt das schon. Knaus ist auch ein unermüdlicher Verfechter der Evakuierung der unzureichenden Lager auf den griechischen Inseln, was die Kurz-Regierung als Symbolpolitik bezeichnet, während sie selber Symbolpolitik betreibt. Tonnenweise Hilfsgüter, gestrandet irgendwo in Griechenland, während vor Ort in Kara Tepe weiter alle im Schlamm versinken. Man könne ja nicht in Griechenland einmarschieren, sagt Innenminister Karl Nehammer dazu. Und dass er verstehe, wenn die Griechen den Moria-Effekt fürchten.
Das Spiel mit dem Feuer von Moria
Ein Spiel mit dem Feuer, das der Innenminister da treibt. Während der Außenminister gleich eine Atombomben-Explosion auf die Bundeshauptstadt Wien projiziert, um die den Lockdown ewig wähnenden, nervlich merklich strapazierten Landsleute auf die wahren Gefahren in dieser Pandemie zu stoßen. Motto: Es könnte schlimmer sein als Corona, es könnte eine Atombombe auf dem Stephansplatz explodieren. Bis Wien-Hütteldorf alle Fensterscheiben kaputt und ganz viele Menschen tot, bis Graz und Linz alles komplett radioaktiv verseucht. Alexander Schallenberg hat auch unter Michael Spindelegger gedient, Sebastian Kurz hat ihn dann groß gemacht – als einen Parteifreien, der sich demonstrativ als dem Team Kurz zugehörig deklariert und die Kritik an den unmenschlichen Zuständen in den Lagern auf den griechischen Inseln als Geschrei abgetan hat.
Als der Pammesberger lernte Dr. Seltsam zu lieben. Via @KURIERat pic.twitter.com/hz0h6DTpbH
— Stefan Kappacher (@KappacherS) January 26, 2021
Im innersten Zirkel der Seltsamkeiten
Stanley Kubrick hat in seiner Atomkriegs-Satire einen der Protagonisten Dr. Strangelove genannt. In der deutschen Übersetzung ist Dr. Seltsam daraus geworden. Der Ausdruck trifft nicht nur auf manch einen Spindelegger-Schützling und den Mentor selber zu. Franz Hörl, Ober-Seilbahner und immer ungeschützt bei allen politischen Diskussionen dabei, hat sich mit dem Virus angesteckt, obwohl – wie er versichert – virologisch immer komplett vorschriftsmäßig geschützt. Hörl war, bevor er sich im hinteren Zillertal, genauer daheim in Gerlos, in Quarantäne begeben hat, im innersten Zirkel der Tiroler ÖVP zugegen – sprich im Nervenzentrum des Landes. Der Landeshauptmann war natürlich mit im Raum, aber zehn Meter entfernt. Das entspricht fünf Faßmanns und sollte also einem fortgesetzten Walten seines Amtes durch Günther Platter keinen Abbruch tun.
Schmäh-Wohnsitze und Stadel-Après-Ski
Und das ist gut so, denn das schwer Ischgl-geschädigte Land Tirol ist drauf und dran, sich einen bleibenden Image-Schaden einzuhandeln. Zuerst in Jochberg bei Kitzbühel die von britischen Forschern entdeckte Virus-Mutation, dann die in Südafrika sequenzierte Variante – und der bisher nicht bestätigte Verdacht, es könnten Zillertaler Hoteliers mit dem Faible für Südafrika nach einem Golf-Urlaub am Kap die Quarantäne-Bestimmungen bei der Rückkehr nach Österreich nicht beachtet haben. In St. Anton am Arlberg wiederum sind Freunde des Skisports aus halb Europa mit dem Zweitwohnsitzer-Schmäh gut durch den Lockdown gekommen. Plus impf-provisiertes Après-Ski mit Dosenbier vom Spar im Heustadel auf der Piste. Der Bürgermeister ist damit an die Öffentlichkeit gegangen.
Keine Impfung gegen Image-Zerstörung
Gegen Image-Zerstörung gibt es nämlich keine Impfung, nicht einmal so eine wackelige wie die von Astra-Zeneca gegen das Corona-Virus. Wobei andere Bürgermeister als Helmut Mall aus St. Anton durchaus dazu beigetragen haben, das Image der Ortschefs durch frühzeitige Impfung zu zerstören. Wolfgang Matt aus Feldkirch hat sich in die ZIB2 gewagt und ist zur Negativ-Ikone der Impf-Vordrängler geworden, mit Schlagzeilen von Wien bis Birmingham. Kein geringeres Blatt als der Guardian hat von den Impf-Kaisern österreichischer Provenienz berichtet. Der ÖVP-Kanzler hat die Bürgermeister durch Sonne und Mond geschossen, ein wichtiger ÖVP-Landeshauptmann in Salzburg hat sich hinter die Bürgermeister gestellt, das Volk lässt man einigermaßen ratlos zurück.
Der Gamechanger auf tönernen Füßen
Vom allgemeinen Impf-Chaos gar nicht zu reden. Als Gamechanger angekündigt, sollte die Impfung bis zum Sommer 2021 das Licht am Ende des Tunnels bringen. Wording des Kanzlers, das längst auch Vizekanzler und Gesundheitsminister, beide von den Grünen, übernommen haben. Jetzt stellt sich heraus, dass das alles auf Annahmen fußt, die viel zu optimistisch waren. Lieferengpässe, schlecht verhandelt, Anpassung des Impfstoffs an die Mutationen – wie auch immer: Die Fokussierung auf die Impfstrategie allein ist ziemlich danebengegangen. Dafür sind alle Versäumnisse schonungslos offengelegt worden. Und die waren so groß, dass sich der Kanzler – wo er doch am liebsten allein regieren würde – auch noch zu einem Schulterschluss mit der SPÖ gezwungen sah. Und das will bei der geeichten Sozi-Phobie des Sebsastian Kurz etwas heißen.
Wenn Ludwig den Dr. Strangelove macht
Der Wiener Bürgermeister wirkte beim gemeinsamen Verkünden der Lockdown-Verlängerung mit Kurz dann auch mehr wie ein Dr. Strangelove, der auf einer Rakete reitet, die eine Bahn ins Ungewisse zieht. Immerhin hat sich Michael Ludwig später das Video mit der Atombomben-Explosion über Wien verbeten. Es war eine Nebelgranate, so wie die Gratis-Impfung, die zwar nur schleppend läuft, aber sehr attraktiv für Migranten sein soll. Ein Pull-Faktor, der die Hände seiner Erfinder in Unschuld waschen soll, aber nur ein dicker Eintrag auf der Skala der Seltsamkeiten ist. Messgröße locker fünf Kubricks.
2 Gedanken zu „Fünf Kubricks“
Und kein Wort zum über 70 Fälle umfassenden Schilehrer-Cluster im Salzburger Pongau, das nennt dann man wohl journalistische Sorgfalt …
Erbsenzähler