Der schwarze Block
Karl Nehammer sei doch der netteste Innenminister aller Zeiten, hat ein Spitzen-Grüner im Off gesagt. Es war die Zeit des martialischen Auftritts im Rahmen des virologischen Quartetts, wo Nehammer jene Flex ausgepackt hat, mit der seine Polizisten Infektionsketten durchtrennen sollten. Das mit nett war einmal. Jetzt hat er zugelassen, dass die Spezialeinheit Wega in kalter, dunkler Nacht die 12-jährige Tina mit der Flex von ihren Schulfreundinnen getrennt und geholfen hat, Kinder abzuschieben. Am Sonntag durften dafür Rechtsextreme in Wien von der Polizei begleitet spazierengehen. Und die Grünen prallen auf den schwarzen Block.
Beim Spaziergang waren auch rechtsextreme Identitäre und der Alt-Neonazi Gottfried Küssel mit jungen Neonazi-Freunden dabei. Es war eine nicht angemeldete Kundgebung, die eskaliert ist. Kein Wunder. Zuvor hatte die Wiener Polizei verfügt, dass von siebzehn angemeldeten Demonstrationen am Wochenende gleich fünfzehn untersagt werden. Aus Gründen des Gesundheitsschutzes, wie es in der Verlautbarung dazu hieß. Jetzt ist es durchaus nachvollziehbar, wenn man Massenaufmärsche, die noch dazu von extremen Gruppierungen unterwandert werden, in Zeiten der Pandemie für schwierig hält. War ja alles schon da: Maskenverweigerung, kein Abstandhalten. Der Wiener Polizeipräsident hatte gemeint, man solle ein Demo-Verbot gleich in die COVID-Maßnahmenverordnung aufnehmen, der Innenminister wollte mit dem zuständigen Gesundheitsminister reden. Doch es kam ein Verbot durch die Hintertür, und es ist schiefgegangen.
Mit der Demo-Flex durch die Hintertür
Der Innenminister hatte offenbar nichts dagegen. In Interviews beschwört Karl Nehammer gern das hohe demokratische Gut der Versammlungsfreiheit, das sorgfältig abgewogen werden müsse gegen allenfalls zu treffende Einschränkungen. Nehammer sprach von neuen, intelligenten Einsatztaktiken der Polizei, und als es dann ernst wurde, billigte er die einfachste Lösung. Kundgebungen verbieten. Mit der Flex durch die Hintertür. Auch eine von der FPÖ angemeldete Demo wurde dann noch verboten. Und die Kickls reiben sich die Hände: Der Staat zeige endgültig seine diktatorische Fratze, schreien sie unter Beifall von Verschwörungstheoretikern, Corona-Leugnern oder auch nur mit den Maßnahmen der Regierung nicht einverstandenen Wut-Bürgern. In dieser Ecke will die Volkspartei jenen Herbert Kickl einkesseln, den sie vor drei Jahren zum Innenminister gemacht hat.
Kickl eingekesselt, um seine Politik zu machen
Der schwarze Block in der Bundesregierung will das lukrative Geschäft von Kickl selber erledigen. Die ÖVP will die von der FPÖ gewonnenen Wähler durch demonstrative Härte in Fremdenrechts- und Asylfragen bei der Stange halten. Mit diesem Modell hat Sebastian Kurz zwei Wahlen gewonnen, Nehammer ist einer seiner wichtigsten Gehilfen in der Frage. Beispiel Lesbos: weil die Kanzlerpartei keine Kinder aus dem Schlamm des Lagers Kara Tepe nach Österreich holen will, um ihren Markenkern nicht zu beschädigen, gaukelt die ÖVP Hilfe vor Ort vor. Nehammer fliegt mit einer Riesen-Antonov und Tonnen von Hilfsgütern nach Athen, und man kann ihn hinter der sich langsam öffnenden Laderampe sehen, wie er ungeduldig wartet, dass endlich die Kameras klicken.
Symbolpolitik auf der Antonov-Laderampe
Die Hilfsgüter sind nie auf der Insel angekommen, die Zustände dort sind erbärmlich. Doch Nehammer betet bei jeder Gelegenheit die Ladeliste der Antonov herunter, um auch noch hinzuzufügen, er könne in Griechenland ja nicht einmarschieren. Überdies verstehe er die Sorge Athens, dass der Moria-Effekt um sich greifen könnte und weitere Lager brennen, wenn das Signal gegeben werden sollte, dass man so rauskommt. Also nicht evakuieren. Die Menschen im Dreck lassen. Nehammer billigt dieses Kalkül. So wie der Innenminister billigt, dass Kinder, die in Österreich aufgewachsen sind und hier zur Schule gehen, mitten in der Pandemie abgeschoben werden. Auch hier eine Art Moria-Effekt, den es für Karl Nehammer zu verhindern gilt: Kinder sollen nicht ein Hebel sein, um das, wie es die ÖVP ernsthaft nennt, bewährte Asyl- und Fremdenrecht zu durchlöchern.
Gestern in Innsbruck bei Protest gegen Abschiebungen: Mehrere Demonstranten verletzt, Pfefferspray-Einsatz, Festnahmen.
Heute in Wien: „Spaziergang“ gegen CoV-Maßnahmen mit über 5.000 Teilnehmer, nicht angemeldet. Polizei vereinzelt im Einsatz. #w3101 https://t.co/6tAv33nZdh
— Amra Durić (@amra_duric) January 31, 2021
Moria-Effekt im eigenen Haus verhindern
Kenner der Materie sagen ja vielmehr, dass diese Gesetze nicht nur sehr restriktiv, sondern auch unübersichtlich und bürokratisch sind. Gerade Kinder kommen da leicht unter die Räder. Doch wo Bundespräsident, Grüne, vereinzelte ÖVP-Landespolitiker, die Opposition mit Ausnahme der FPÖ und Repräsentanten aus allen Bereichen der Kirchen einen Härtefall sehen, dort sieht Nehammer ein Exempel, das statuiert werden muss. Seine Argumente sind entlarvend. Zum Thema Kindeswohl hat der Innenminister in der ZIB2 sinngemäß gesagt, dass sich die Kinder bei ihrer Mutter bedanken könnten, weil sie das Asylrecht missbraucht und ihre Kinder dadurch in diese Lage gebracht habe.
Die gestörte Allmachts-Routine der ÖVP
Die Lage der Kinder: das ist die Abschiebung im Stil eines Antiterror-Einsatzes. Ich kann und will nicht glauben, dass wir in einem Land leben, wo dies in dieser Form wirklich notwendig ist. Die Worte von Alexander Van der Bellen sind spät gekommen – zu spät, um etwas zu verhindern. Aber sie haben die ÖVP in ihrer Allmachts-Routine gestört und zum Widerspruch gereizt. Klubobmann August Wöginger herrschte das Staatsoberhaupt an, er möge die Unabhängigkeit der Gerichte respektieren. Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer forderte ihr sonst liebevoll Gust genanntes Gegenüber auf, sich bei Van der Bellen zu entschuldigen. Hier spitzt sich etwas zu, das über abgesprochenes Wording hinausgeht. Die Grünen wollen außerdem noch mehr: die abgeschobenen Kinder zurückholen, Kommissionen für Asyl-Härtefälle einsetzen, gegebenfalls Gesetze ändern.
Das Leiden der Max-Weber-Fans um Kogler
Die ÖVP sieht weder für das eine, noch für das andere eine Notwendigkeit. Ein schwarzer Block, unbeweglich und ungerührt, der den Juniorpartner anrennen lässt. Das Beste aus beiden Welten haben sich Werner Kogler und seine Verantwortungsethiker gewiss anders vorgestellt. Der Vorarlberger Grünen-Chef Johannes Rauch, auf Landesebene selber mit der ÖVP in einer Koalition, ist immer wieder mit kritischen Zwischentönen Richtung ÖVP aufgefallen, schon während der Koalitionsverhandlungen, bei denen Rauch mit am Tisch gesessen ist. In seinem Blog bemüht jetzt auch er wieder Max Weber und schreibt über das Bohren von harten Brettern. Da ist vieles richtig und ernüchternd, aber der Text enthält auch eine verzweifelte Botschaft. Die staatspolitische Verantwortung der ÖVP (so noch vorhanden) liegt darin, uns nicht dazu (Koalitionsbruch, Anm.) zu zwingen, indem sie die wenigen tragenden Fundamente dieser fragilen Koalition gezielt und absichtlich demoliert.
Die Wut der Enttäuschten an der grünen Basis
Das muss man zweimal lesen: Der auf seine 30-jährige Politik-Erfahrung verweisende Landesrat legt das Schicksal seiner Partei in die staatspolitische Verantwortung einer von Umfragen und Marketing getriebenen ÖVP, die gerade der SPÖ schöne Augen macht, weil es ins Konzept passt. Eine Verantwortung, an die Rauch nicht einmal selber glauben mag (wie er in Klammer dazuschreibt). Eine gepfefferte Replik des Innsbrucker Gemeinderats Dejan Lukovic – er sieht die Koalition mit der Kurz-ÖVP sehr kritisch und hat 2020 auf dem Bundeskongress dagegen gestimmt – kam prompt. Lukovic an Rauch: Du und viele andere, ihr habt euch aber für den Weg des geringsten Widerstandes entschieden, für einen Weg, der absolute Schandtaten relativiert und verteidigt. Das empört mich. Ihr empört mich. Das tut dem Grün-Establishment weh. Und es wird nicht aufhören.
Das Dilemma der an sich freien Abgeordneten
Abgeordnete wie Sibylle Hamann und Georg Bürstmayr richten ihre Wut natürlich nicht gegen sich selber, sondern gegen den vormals nettesten Innenminister aller Zeiten. Im profil schreibt die frühere Journalistin und jetzt Bildungssprecherin der Grünen, Hamann: Während das BVT handlungsunfähig darniederliegt, braut sich am Rand der Gesellschaft eine reale Gefahr aus Verschwörungstheoretikern und bewaffneten Rechtsradikalen zusammen. Meiner Meinung nach wäre da genug zu tun für ein Innenministerium, ehe es gegen brave Teenager 150 Polizisten und Polizistinnen losschickt, dazu Wega-Beamte in ihren schwarzen Sturmhauben und eine Hundestaffel. Hamann war so wie der grüne Sicherheitssprecher Bürstmayr in der Nacht der Abschiebung vor Ort.
Bei allen unterschiedlichen taktischen Notwendigkeiten: eine #Polizei, die das Bild entstehen lässt, sie ginge je nach Anliegen und politischer Ausrichtung von Demonstranten *unterschiedlich* vor, bekommt ein schweres Legitimationsproblem.
— Georg Bürstmayr (@buerstmayr) January 31, 2021
Verantwortung für Anschlag als Gretchenfrage
Bürstmayr beklagt auf Twitter, dass die Polizei den fatalen Eindruck erwecke, ihr Vorgehen gegen Demonstranten nach Anliegen und politischer Ausrichtung auszurichten. Ein schwerwiegender Vorwurf, den Bürstmayr direkt gegen Karl Nehammer richtete: In der notwendigerweise strikt hierarchisch organisierten Polizei ist es Verantwortung ihrer Spitzen, dieses Bild zu vermeiden. Das wird dem schwarzen Block wieder nicht gefallen. Noch dazu, wo in diesen Tagen der Endbericht der Untersuchungskommission zu den Versäumnissen der Polizei im Vorfeld des Terroranschlags in Wien am 2. November 2020 veröffentlicht werden soll. Nehammer hat ja persönliche Konsequenzen zur Übernahme der politischen Verantwortung praktisch schon ausgeschlossen, der Bundeskanzler hat dem Innenminister bescheinigt, alles richtig gemacht zu haben. Und Kurz hat ernsthaft vor einer Täter-Opfer-Umkehr in diesem Zusammenhang gewarnt.
Die jüngsten Brüskierungen seitens der ÖVP machen es für die Grünen nicht einfacher, sich über diese Frage hinweg zu turnen. Womit man als gelernter Beobachter ja rechnen muss. Nur eines ist sicher: Max Weber wird ihnen dabei eher nicht helfen.