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Zu den in diesen Tagen relevanten Austriazismen, die hier sehr schön beschrieben und vom Kanzler brieflich um die fehlerhaften Fakten ergänzt worden sind, hat sich am Wochenende die Vorkriminalisierung gesellt. Das Zitieren aus Ermittlungsakten leiste dieser Vorschub, hat der Chefredakteur der Kleinen Zeitung in seinem Leitartikel festgehalten. Vor dem Hintergrund der ÖVP-Pläne, neben den Staatsanwälten auch die Medien in diesem Punkt an die Kandare zu nehmen, hat das was. Denn Vorkriminalisierung umfasst im Gegensatz zur Vorverurteilung praktisch alles. Sebastian Kurz, der das Feuer mit seiner Justiz-Anklage entfacht hat, kann zufrieden zu seinem Freund Bibi Netanjahu fahren.
Hubert Patterer hat es in einem Newsletter anklingen lassen: Er meint es ernst und ganz und gar nicht ironisch. So schreibt er von giftigen Frontstellungen Regierung gegen Anklagebehörde, Politik gegen Justiz – obwohl es immer nur die Kanzlerpartei ÖVP war, die die Frontstellungen aufgebaut hat. Die Grüne Regierungspartei steht hinter der Justiz, die Opposition sowieso. Die Anklagebehörde vermittle den Eindruck einer obsessiven Verengung, schreibt Patterer, der dem Kanzler immerhin noch vorhält, als Bedrängter Maß, Balance und Mitte verloren zu haben. Aber klar ist, wer in der Sache die Bösen sind: Die Justiz als Starmania und Elektrofachhandel mit konfiszierter Software der halben Republik, und davor das Publikum, das fiebrig nach den nächsten Folgen giert.
Vorkriminalisierung und kuschelige Interviews
In der Kronenzeitung schreibt der Chefredakteur in seinem Newsletter gar von einer Justiz-Inszenierung, und auch dieses Kleinformat macht die beispiellosen Angriffe der Kanzlerpartei ÖVP auf die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft zu einem Kräftemessen. Was es per definitionem der Gewaltenteilung ja nicht sein kann. In der Sonntagskrone dann auch noch ein verständnisvolles Interview mit Wolfgang Brandstetter, wie Conny Bischofberger das immer wieder großartig macht. Den Ex-ÖVP-Justizminister und Verfassungsrichter, der von der Staatsanwaltschaft Wien als Beschuldigter wegen Bestimmung zum Amtsmissbrauch geführt wird, ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt auf diese Bühne zu bitten, ist auch eine interessante Entscheidung. Brandstetter ist ein mit allen Wassern gewaschener Strafverteidiger und bedankt sich für die Einladung.
Es läuft gut für die ÖVP mit der Ablenkung
Es läuft im Sinne der ÖVP, die Ablenkung gut brauchen kann. Der Finanzminister ist Beschuldigter wegen Bestechungsverdachts, der frühere ÖVP-Justizminister, den die erste Regierung Kurz nur drei Monate nach dem Ausscheiden aus dem Ministeramt zum Verfassungsrichter gemacht hat (was jetzt zur Einführung einer Cooling-off-Phase für VfGH-Kandidaten aus der Politik führt), bekommt Besuch von einer Staatsanwältin – während laufender Session am Sitz des Höchstgerichts. Mittlerweile hat VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter der Staatsanwaltschaft Wien Amtshilfe geleistet, sehr heikel das alles. Vor allem wenn man die Sicherstellungs-Anordnung betreffend Brandstetter und Christian Pilnacek liest, der Leiter der Legistik-Sektion ist überdies vorläufig suspendiert. Was die ÖVP Justizskandal nennt, kommt für die anderen einer Sternstunde nahe.
Aufmerksamkeits-Management im Ausland
Der ÖVP-Chef betreibt indessen Aufmerksamkeits-Management im benachbarten Ausland und hat mit Auftritten in der ARD-Talk-Sendung Maischberger und bei der Bild-Zeitung aufhorchen lassen. Der Anker war das Thema Impfpass nach israelischem Vorbild, den Sebastian Kurz zuvor schon im Europäischen Rat eingebracht hat. First Mover. Da ist der Kanzler wieder in seinem Element. Bei Sandra Maischberger hat sich Kurz damit aber geschnitten: Wenn es keine europäische Lösung für einen einheitlichen Impfpass gebe, dann werde man das national umsetzen und bilaterale Vereinbarungen schließen, so Kurz. Replik der Moderatorin: Die Nachricht ist angekommen. Wenn wir Deutsche bis Sommer keinen grünen Pass haben, ist der Urlaub für uns in Österreich nicht möglich. Beste Tourismus-Werbung Marke Ischgl. Zurückrudern war vergeblich.
Der Lockdown, das Scheitern & die Bild-Zeitung
Im Video-Talk mit Paul Ronzheimer von der Bild-Zeitung, der eine Biografie über seinen Interviewpartner geschrieben hat, verscherzte es sich Sebastian Kurz dann mit seinen österreichischen Landsleuten, denen er via deutsches Boulevardblatt ausrichtete: Ich behaupte, würden die Zahlen explosionsartig steigen, dann wäre in der Bevölkerung wieder mehr Bereitschaft und mehr Kraft da, einen Lockdown mitzutragen. Zumindest ist das bei uns so der Fall. Sprich: nicht die Politik hat versagt, weil sie den Bürgern ihr Anliegen nicht vermitteln kann, sondern das Volk ist unfähig, den Ratschlüssen der Politik zu folgen.
Es braucht eine Schocktherapie, wenn man Kurz folgt. Auf den Punkt gebracht hat das nicht der Kurz-Biograf von der Bild, sondern Sandra Maischberger – mit der Feststellung: Wenn Sie sagen, ein Lockdown macht keinen Sinn, wenn die Bevölkerung nicht mitmacht, dann könnte man auch sagen, das ist das Eingeständnis eines politischen Scheiterns. Sie können die Menschen nicht mehr überzeugen, Sie haben kapituliert.
Das Ziehharmonika-Verhältnis zu Netanjahu
Kurz hat ausweichend geantwortet und ist nicht das einzige Mal bei diesen Auftritten in deutschen Medien nach Israel abgedriftet, um seinen Freund, den Premier, zu zitieren, mit dessen Corona-Kurs sich der Kanzler ja immer wieder zu schmücken versucht. Wenn er gerade passt. Bibi Netanjahu vergleiche die Pandemie gern mit einer Ziehharmonika, so Kurz. Und weil der israelische Premier die gerade virtuoser spielt als der österreichische Kanzler – Israel ist Impf-Weltmeister dank des Deals mit Pfizer, der das Land zum World’s Lab für den Pharma-Konzern mit direktem Transfer der Gesundheitsdaten gemacht hat – deshalb also fliegt Kurz am Donnerstag nach Tel Aviv. Dort will er gemeinsam mit der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen über Zusammenarbeit mit Israel bei der Entwicklung und Produktion von Impfstoffen und Medikamenten reden.
Test-Weltmeister besucht den Impf-Champion
Impf-Weltmeister trifft Test-Weltmeister. So ein Besuch muss gut vorbereitet sein, auch was die PR für den ÖVP-Chef betrifft. In der Financial Times darf Sebastian Kurz aktuell sagen: We are on the way to becoming the testing world champion. Und die FT berichtet auch davon, dass Österreich – sprich Kurz – besonders frustriert sei, dass das Impfen in der EU so langsam vorangehe. Denn Kurz habe aus europäischer Solidarität im Mai 2020 das Angebot von Netanjahu ausgeschlagen, sich am Pfizer-Deal – Dosen gegen Daten – zu beteiligen: Kurz turned down a tentative offer from Benjamin Netanyahu to partner with Israel in its vaccination drive with Pfizer, two Austrian officials told the Financial Times. Was ein Official, nämlich der für außenpolitische Fragen zuständige Kanzlersprecher, dann auch gleich bestätigt hat. Ob Pfizer mit Österreich eine Freude gehabt hätte?
IKEA Israel is offering coronavirus vaccines to every customer today until Tuesday. Assembly not required. pic.twitter.com/CZvE1Y3zaK
— Arieh Kovler (@ariehkovler) February 21, 2021
Das Bad im Glanz der vergebenen Chance
Sollte es das Angebot so tatsächlich gegeben haben, dann ist die EU-Solidarität ein billiger Punkt. Kurz müsste in dem Fall auch klar gewesen sein, dass er so einen Deal – der auch in Israel nach Bekanntwerden viele Fragen aufgeworfen hat – in Österreich nie und nimmer durchgebracht hätte. Auch wenn jetzt alle sehnsuchtsvoll auf das Land schauen, wo man sich zum Drink in der Bar oder beim Ikea gleich auch impfen lassen kann. Umso größer der Glanz der vergebenen Chance, in dem sich der Kanzler jetzt sonnen mag. Benjamin Netanjahu zieht solche Deals durch, so wie ein Viktor Orbán – über den Kurz noch nie ein böses Wort verloren hat – den Sputnik-Impfstoff von den Russen kauft. Beide Premiers haben übrigens Korruptions-Erfahrung, gegen Netanjahu läuft ein großer Prozess – er soll unter anderem Medien Vorteile verschafft haben, damit sie gefällig über ihn berichten. In Österreich würde das möglicherweise unter Vorkriminalisierung laufen.