Die liebe Familie
Ob er unter diesen Umständen das noch ausfüllen kann, die Frage ist berechtigt. Die muss gestellt werden. Die stelle ich ihm auch. Grünen-Chef Vizekanzler Werner Kogler auf Puls24 zum Rücktritt von ÖBAG-Vorstand Thomas Schmid, dem er nicht abgeneigt zu sein scheint. Die ÖVP kämpft noch mit Leuten aus der zweiten Reihe dagegen an, der ÖVP-Obmann und Bundeskanzler – Sebastian Kurz ist ja selbst prominent in den Schmid-Chats vertreten – hat sich noch nicht geäußert. Kriegst eh alles, was Du willst. Die Verteidigung von einem, der der Mann fürs Grobe war und so viel weiß, die muss gut vorbereitet werden. Wohl auch deshalb liebt Schmid seinen Kanzler.
Josef Votzi schreibt über Schmid und seine 300.000 Chat-Nachrichten, die die Ermittler in Zusammenhang mit der Affäre um Casinos & Novomatic rekonstruieren konnten, nachdem der frühere Generalsekretär im Finanzministerium sein Handy auf Werkseinstellung zurückgesetzt hatte – und die jetzt nach und nach bekannt werden: Damit droht der oberste Manager der Staatsholding und türkise Schlüsselspieler endgültig zur politischen Zeitbombe für das Machtsystem Kurz zu werden. Formell zuständig, was den Verbleib von Schmid an der Spitze der ÖBAG betrifft, ist ja der Aufsichtsrat. Darauf weist die ÖVP jetzt immer wieder hin. Und der Aufsichtsrat hält dem Vorstand die Stange: Daher ist aktuell auch kein wie immer gearteter Handlungsbedarf für den Aufsichtsrat der ÖBAG gegeben. Das ist der Schlüsselsatz in einer Aussendung, die von ÖBAG-Kommunikationschefin Melanie Laure verschickt worden ist.
Der lange Arm der Jungen Volkspartei
Laure war Mitarbeiterin von Schmid im Finanzministerium, sie ist mit ihm die Karriereleiter hinaufgestiegen. Dass sie aus der Bundesleitung der Jungen ÖVP kommt, die die Machtbasis von Sebastian Kurz darstellt, war dabei sicher kein Hindernis. Chatprotokolle zwischen Schmid und Laure dokumentieren, wie die beiden in die Formulierung der Ausschreibung des ÖBAG-Jobs eingegriffen haben. Schmid habe sich die Ausschreibung selber geschrieben, heißt es – und das ist nicht weit hergeholt. Und auch bei der Zusammenstellung des Aufsichtsrats, der ihn dann wie offenbar lange geplant bestellen sollte, war Schmid hochaktiv. Steuerbare Leute hatte er auf seiner Wunschliste. Damit muss dieser Aufsichtsrat, in dem auch die Tochter eines Kurz-Großspenders sitzt, jetzt leben. Dass Schmid einen anderen Kurz-Großspender – nämlich KTM-Chef Stefan Pierer – als Aufsichtsratschef cool gefunden hätte, sagt alles.
Kommunikatives Niveau zum Genieren
Und es ist natürlich eine hochpolitische Angelegenheit, was durch die Chats alles offenbar geworden ist. Diese Arroganz der Macht auf allerhöchster Ebene, in Schlüsselpositionen des Staates – auf einem kommunikativen Niveau, das nur noch zum Genieren ist. Mag schon sein, dass das alles nicht für fremde Augen und Ohren bestimmt war. Aber das Politische ist nie privat, und eine unabhängige Korruptionsbekämpfung ohne Ansehen der Akteure sollte uns heilig sein. Das geht besonders an die Adresse der Grünen, die drauf und dran sind, bei den geplanten verschärften Regelungen für Beschlagnahmung von Unterlagen und Datenträgern bei Behörden das Kind mit dem Bade auszuschütten. Das soll mit der BVT-Reform kommen, und auch die Pläne der ÖVP, Journalisten das Zitieren aus Ermittlungsakten zu verbieten, sind noch nicht ad acta gelegt. Wenn es um den Machterhalt geht, ist bald nichts mehr heilig.
Wenn ihnen die Kirche nicht mehr heilig ist
Nicht einmal die katholische Kirche. Die Auszüge aus den Schmid-Kurz-Chats, wo es um die Streichung von steuerlichen Privilegien für die Kirche geht, bei einem Termin in zeitlicher Nähe zu massiver Kritik der Kirchenoberen am Asylkurs der Kanzlerpartei – die sind in ihrer Brutalität erschütternd. Und dabei geht es nicht um falsches Mitleid mit der Kirche, die sich finanziell immer noch zu helfen gewusst hat. Heute ist die Kirche bei uns. Wir werden ihnen ordentliches Package mitgeben, schreibt Schmid. Ja super. Bitte Vollgas geben, antwortet der Kanzler und Chef der christlichen Volkspartei. Vollzugsmeldung Schmid: Also Schipka (Generalsekretär der Bischofskonferenz, Anm.) war fertig! Er war zunächst rot dann blass dann zittrig. Er bot mir Schnaps an, den ich in der Fastenzeit ablehnte, weil Fastenzeit. Waren aber freundlich und sachlich. Mehr Zynismus geht kaum. Und er zeigt die völlige Abwesenheit von Werten.
Täuschungsversuche und Propaganda
Sebastian Kurz hat die ÖVP im Jahr 2017 übernommen und sofort Neuwahlen ausgerufen. Er wollte die SPÖ unter Christian Kern nicht womöglich wieder groß werden lassen und ist dabei generalstabsmäßig vorgegangen. Mit einem enormen Mitteleinsatz und einer kommunikativen Strategie, die sich immer mehr zur Propaganda entwickelt, je unbequemer die politische Lage für Kurz und sein Umfeld wird. Die Täuschungsversuche in Zusammenhang mit dem Lager Karatepe auf Lesbos und das Festhalten an der Nichtaufnahme einiger weniger Familien mit Kindern von dort in Österreich sind ein gutes Beispiel dafür. Mittlerweile sind sogar freiheitliche Bürgermeister in Vorarlberg dabei, die Kurz-ÖVP in der Frage links zu überholen.
Wie Axel Melchior einen Pyrrhussieg feiert
Und der links stehende Falter darf gerichtlich bestätigt weiterhin behaupten, dass die ÖVP bewusst geplant habe, die Wahlkampfkosten-Obergrenze 2019 zu überschreiten, und dass die ÖVP bewusst die Öffentlichkeit über ihre Wahlkampf-Ausgaben täusche. Für Generalsekretär Axel Melchior ist das dennoch ein Sieg, weil der Falter gleichzeitig widerrufen muss, dass die Volkspartei die Überschreitung der Wahlkampfkosten-Obergrenze vor dem Rechnungshof verbergen wollte. So etwas nennt man einen Pyrrhussieg. Axel Melchior gehört ja schon viel länger zur Familie als Thomas Schmid, den Gernot Blümel mit einem Du bist Familie der Zugehörigkeit zum innersten Kreis versichert haben soll.
Schieflage schlecht für Pandemie-Bekämpfung
Es gibt ein Bild, das Melchior und Sebastian Kurz in der Zeit vor der Machtübernahme zeigt, wie sie in einem Wiener Kaffeehaus über Unterlagen brüten. Den Strategen von damals fällt heute ihre auf reinem Machtkalkül basierende Forschheit auf den Kopf. Das System Kurz ist in einer Schieflage, auch wenn der Kanzler selbst immer noch gute Umfragewerte hat. Bezahlen könnten dafür die Grünen, weil sie die Reißleine nicht ziehen wollen. Für die Bekämpfung der Pandemie und das Krisenmanagement könnte es kaum schlechtere Rahmenbedingungen geben. Das zeigen die widersprüchlichen politischen Signale, die viele nicht mehr verstehen. Und für die sie auch ihren Kanzler nicht lieben.