Blasmusik-Politik
Herr Wolf, vielleicht können wir uns in einigen Jahren, da ist dann Corona vorbei, auch persönlich im Studio wieder begegnen und uns die Frage stellen, wer von diesen Personen wurde verurteilt und wem hat man einen falschen Vorwurf gemacht. Und ich würde mal sagen, ich traue mich zu behaupten, dass das zu Null ausgehen wird. Das hat Sebastian Kurz am Ende des ZIB2-Interviews an jenemTag gesagt, als die Ermittlungen gegen ihn wegen Falschaussage bekannt geworden waren. Armin Wolf hatte ihm die lange Liste von aktiven und ehemaligen ÖVP-Leuten vorgehalten, gegen die Ermittlungen laufen. Eben erst ist es tatsächlich zu Null ausgegangen, aber für die Grünen. Das ist freilich nur ein Zwischenstand.
Drei grüne Regierungsmitglieder – Leonore Gewessler, Wolfgang Mückstein und Vizekanzler Werner Kogler – haben am 16. Mai an der diesjährigen Befreiungsfeier im ehemaligen NS-Konzentrationslager Mauthausen teilgenommen. Von der Volkspartei waren Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Bundeskanzler Sebastian Kurz, Bildungsminister Heinz Faßmann, die Staatssekretärin im Innenministerium, Karoline Edtstadler, und Landeshauptmann Thomas Stelzer vertreten – allerdings 2019. Diesmal (die Befreiungsfeier 2020 fand nur virtuell statt) ist von der ÖVP genau niemand gekommen. Was der Abgeordnete Martin Engelberg zunächst mit einer schlichten Falschinformation begründet hatte, für die er sich bis jetzt nícht entschuldigt hat. So wie auch der ÖVP-Nationalratspräsident nicht, der ja tatsachenwidrig behauptet hat, es gebe in Deutschland in Untersuchungsausschüssen keine Wahrheitspflicht.
Der Geist der Lagerstraße hat für die ÖVP ausgedient
Was die ÖVP-Wahrheit in puncto Befreiungsfeier ist, das hat dann ausgerechnet der für die Gedenkstätte zuständige Innenminister Karl Nehammer dokumentiert. Bei einer Pressekonferenz über eine geplante Antisemitismus-Schulung für die Polizei hat Nehammer von neuen Formaten für das Gedenken gesprochen und damit de facto den Grundkonsens der Parteien, der auf den Geist der Lagerstraße zurückgeht, aufgekündigt. Er habe bei den Befreiungsfeiern des Mauthausen Komitees der vergangenen Jahre den Eindruck gehabt, dass bei dieser Form der Feier zu wenig darauf geachtet wird, dass es eben nicht parteipolitisch motiviert ist und dominiert wird, sondern dass es tatsächlich um das Gedenken an die Opfer geht, so der ÖVP-Innenminister. Europa-Abgeordneter Lukas Mandl von der ÖVP ist Mitglied des Mauthausen-Komitees, er sieht das komplett anders. Und die Befreier ganz offensichtlich auch.
Ein besorgniserregendes Verhältnis zum Rechtsstaat
Am Montag nach dem Boykott der Befreiungsfeier stand die Kanzlerpartei dann im Parlament im Kreuzfeuer der Kritik. Ein Misstrauensantrag der FPÖ gegen den Bundeskanzler, ein gemeinsamer Antrag der Opposition für eine Ministeranklage gegen den Finanzminister, der ja – wohl auch auf Anraten der Kurz’schen Spindoktoren, wie man hört – Aktenlieferungen an den Ibiza-Untersuchungsausschuss zurückgehalten und damit eine Anordnung des Verfassungsgerichtshofs ignoriert hat. Das Höchstgericht hat beim Bundespräsidenten die Exekution seiner Anordnung beantragt, das kann man nicht oft genug in Erinnerung rufen. Die ÖVP und der Rechtsstaat, das ist ein besorgniserregendes Verhältnis, wie es zuletzt auch die Präsidentin der RichterInnen-Vereinigung, Sabine Matejka, mit sehr deutlichen Worten zum Ausdruck gebracht hat.
Bemerkenswerte Rede der grünen Klubobfrau
Das Bemerkenswerteste in dieser Sondersitzung des Nationalrats war die Rede der grünen Klubchefin Sigrid Maurer, die Kurz, Blümel und den Consultern im Kanzleramt in leicht verständlichen, aber umso wuchtigeren Sätzen erläutert hat, was Parlamentarismus ist: Manchmal gewinnt man den Eindruck, dass wir mit unseren demokratischen Errungenschaften schleißig, ja geradezu fahrlässig umgehen. Wenn die Gewaltenteilung nicht respektiert wird. Wenn das Parlament und auch der Verfassungsgerichtshof an der Nase herumgeführt werden. Und dann noch dieser Satz: Die Regierenden sind hier zu Gast, um Auskunft zu erteilen, um zu informieren, um Rede und Antwort zu stehen. So etwas hat man von einer Regierungsfraktion, an den Koalitionspartner gerichtet, noch nie gehört. Und es war mutiger als die Rede des Bundespräsidenten, aus der jeder die jeweils genehme Kritik herauslesen konnte, was den Äpfel-mit-Birnen-Vergleich möglich macht: Strafrechtliche Vorwürfe werden gegen Chips-Essen im U-Ausschuss abgewogen.
Alexander Van der Bellen und die Füße am Tisch
Es ist schon klar, dass der Bundespräsident dem Bundeskanzler und/oder dem Finanzminister nicht öffentlich etwas ausrichten kann, er muss diplomatisch formulieren – und so gesehen war er in seinem Statement wohl deutlich. Aber niemand zwingt Alexander Van der Bellen, vom mangelnden Respekt vor den Institutionen zu sprechen und im nächsten Atemzug zu betonen, dass man nicht die Füße auf den Tisch legen soll, weil das keine Manieren sind. Für viele hat die Grüne Klubchefin nach ihrer Brandrede für den Parlamentarismus genau das gemacht: die Füße auf den Tisch gelegt und sich unmanierlich wieder auf die Seite des Koalitionspartners geschlagen. Der Anlass war das Nein der Grünen zum Antrag auf Verlängerung des Ibiza-Ausschusses um weitere drei Monate, was einem Abdrehen des Untersuchungsausschusses vor der Sommerpause des Parlaments gleichkommt. Für viele Sympathisanten ist das ein weiterer Sündenfall.
Der eigentliche Sündenfall beim U-Ausschuss
Der eigentliche Sündenfall ist, und darauf hat der frühere Klubobmann der Grünen, Albert Steinhauser, hingewiesen: dass es zwar einen koalitionsfreien Raum für die ÖVP gibt, allfällige Migrationskrisen notfalls auch mit den Freiheitlichen im Parlament entsprechend zu lösen, dass die Grünen sich bei den Kontrollrechten aber keinen Spielraum gesichert haben. Deshalb wäre die Zustimmung zum Oppositionsantrag auf Verlängerung des Ibiza-Ausschusses durch die Grünen ein Bruch des Regierungsübereinkommens mit der ÖVP. Wer glaube, dass die ÖVP das einfach so hinnehmen würde, der täusche sich gewaltig, hat Sigrid Maurer gesagt. Es gibt einen handfesten Grund dafür: die Landtagswahl in Oberösterreich Ende September. Der weiterlaufende Untersuchungsausschuss wäre die perfekte Bühne, die Chat-Protokolle mit allen enthaltenen Peinlichkeiten bis hin zur Verächtlichmachung der Kirche noch einmal durchzuspielen. Und ÖVP-Landeschef Thomas Stelzer ist jetzt schon unrund.
Mit Elisabeth Köstinger bei Stelze und Bier
Das ist einerseits nachvollziehbar. Die Grünen sind natürlich mitgefangen, und wenn die ÖVP ihnen signalisiert, dass das ein No-Go ist, dann wird man im Sinne einer weiterhin gedeihlichen Zusammenarbeit darauf Rücksicht nehmen. Andererseits besteht das Gedeihliche momentan vor allem aus Marketing-Terminen im Schweizerhaus und sonstwo, um die Pandemiefreiheit zu feiern, wie das Armin Thurnher so unnachahmlich ausdrückt. Elisabeth Köstinger immer dabei, und dem Vizekanzler konnte man direkt ansehen, dass er lieber unter weniger Beobachtung woanders in Ruhe ein Bier trinken möchte. Für Kurzens Vertraute ist das nicht das Kriterium. Die selbsternannte Gastronomieministerin Köstinger hat an dem Tag im Ö1-Morgenjournal auf die Frage: Stelze und Bier? diesen Satz abgespult: Wir freuen uns alle schon unglaublich, dass es jetzt wieder losgeht, dass die Betriebe wieder öffnen.
Die Luftschlösser des neuen grünen Popstars
Im Überschwang der Freude hat der Kanzler gleich weitere Lockerungsschritte in Aussicht gestellt, nicht mit den Grünen abgesprochen, wie Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein festhielt. Luftschlösser bauen, nennt der populäre grüne Newcomer das, was Sebastian Kurz nicht erst seit heute macht. Und es war erneut Elisabeth Köstinger, die in Erinnerung rief, dass die No-Gos in der Koalition für die ÖVP nicht gelten. Die Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten ist kein Selbstzweck. Sagt die Vertreterin der Partei, die seit fünfzehn Monaten andauernd Pandemie-Maßnahmen propagandistisch instrumentalisiert, den Grünen, die das mit dem Selbstzweck nie behauptet haben.Und August Wöginger, der ÖVP-Klubobmann, legt noch eins drauf: Dass die Grund- und Freiheitsrechte niemals Luftschlösser sein dürfen, sollte jedem klar sein, insbesondere all jenen, die einen Eid auf die österreichische Verfassung geschworen haben.
Dahoam in Schärding und bei die Schitzn in Tirol
Man kann sich die diebische Freude vorstellen, die der Innviertler hatte, als er die Anspielung auf den Verfassungseid formuliert hat. Dieser Eid ist auch in der Rede von Sigrid Maurer, Wögingers direktes Gegenüber bei den Grünen, vorgekommen. Allerdings im rechtsstaatlichen Zusammenhang und nicht mit Klientel-Hintergrund. Warum die ÖVP so drängt, dass am besten auch die Masken jetzt gleich überall fallen, hat Wöginger bei seiner COVID-Impfung am Freitag daheim in Schärding gesagt: Nur so werden wir hoffentlich bald weitere Lockerungsschritte, zum Beispiel im Bereich der Blasmusik, setzen können. Und der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter liest das Buch auch von vorne: Es benötigt praktikable Anpassungen, damit auch das so wertvolle Kultur- und Traditionswesen in Tirol wieder aufleben kann. Der Hintergrund: Kanzler Kurz hat den Tiroler Schützenkommandanten getroffen, die Schützen drängen auf die Aufhebung der Maskenpflicht im Freien. Darüber werden wir reden können, sagt Mückstein dazu.
Die Grünen reflektieren, Kurz klappt die Ohren zu
Doch das ist einerlei. So wie Elisabeth Köstinger nicht einmal ein Ja oder Nein auf die Frage: Stelze und Bier? zusammenbringt, werden dem Gesundheitsminister, der in den Umfragen einen allzu guten Start hatte, Dinge vorgehalten, die er nicht gesagt hat. Damit war zu rechnen angesichts anderer Umfragen hier und hier und hier, welche die Glaubwürdigkeit das ÖVP-Obmanns einigermaßen erschüttert zeigen. Die Grünen erklären tapfer und mit einer erstaunlichen Offenheit – hier der Vorarlberger Landesrat Johannes Rauch und hier die Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe – wie schwierig der Spagat zwischen Regieren in einer unmöglichen Koalition und dem Einhalten von Grundwerten ist, und warum es sich trotzdem auszahlt.
Sebastian Kurz sagt einfach: Ich traue mich zu behaupten, dass das zu Null ausgehen wird. Dann klappt er die Ohren zu und taucht durch. Nur die blechernen Rhythmen der Blasmusik und die Salven der Schützen dringen manchmal noch zu ihm durch und zaubern ein pandemisches Lächeln ins Kanzlergesicht.