Kanzleresk
Das ist ein klares Zeichen dafür, dass wir den von Sebastian Kurz eingeschlagenen Weg gemeinsam weitergehen wollen. Also sprach der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter als Vorsitzender des Wahlkomitees der ÖVP, das den amtierenden Parteiobmann einstimmig für weitere vier Jahre an der Spitze nominiert hat. Mit sämtlichen Vollmachten, aus der ÖVP-Umfärbung eine irreversible Entwicklung zur NVP zu machen, in der das V eher für Visegrád als für Volk steht. Der Parteitag am 28. August wird das jubelnd durchwinken, bis dahin geht der Kanzler im türkisen Eppinger-Setting wandern, als wäre nichts gewesen. Es ist einfach kanzleresk.
Es war natürlich was. Nämlich so viel, dass man bei der Aufzählung die Vollständigkeit nicht mehr garantieren kann. Herausragend die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft gegen den Kanzler wegen Falschaussage und gegen den Finanzminister wegen Bestechung und Bestechlichkeit. Die massiven Angriffe gegen die ermittelnde Justiz, die zu einem Volksbegehren für den Rechtsstaat und gegen Korruption geführt haben, das von einer Gruppe integerster Persönlichkeiten aus allen Lagern initiert worden ist. Sebastian Kurz und seine Getreuen haben versucht, dieses Volksbegehren zu kapern, wie der Verfassungsjurist Heinz Mayer als einer der Proponenten es genannt hat – wohlgemerkt eine Initiative, die sich gegen Entwicklungen richtet, die höchste ÖVP-Vertreter maßgeblich befeuert haben.
Flood the zone with shit als neuer Maßstab
Der Ibiza-Untersuchungsausschuss, den die Kanzlerpartei jetzt mit Hilfe der Grünen abdreht, hat das Wesen der umgefärbten ÖVP für alle sichtbar gemacht und demokatiepolitisch sauber seziert. Die Art und Weise, wie versucht worden ist, diesen Ausschuss zu diskreditieren, spottet jeder Beschreibung und ist einer staatstragenden Partei nicht würdig. Allein was die ÖVP an sogenannten Reformvorschlägen für Untersuchungsausschüsse in die politische Arena gekippt hat, spricht Bände. Stichwort: Wahrheitspflicht für Fragensteller. Man kann nur den bösen Geist des skrupellosen Donald Trump zitieren, nämlich Steve Bannon: Flood the zone with shit. Ein Grundsatz, den die Herren Hanger, Wöginger und Sobotka – zwei davon höchstrangige Parlamentarier – in einer atemberaubenden Selbstverständlichkeit beherzigen.
Mit Wasser kochen und im Trüben fischen
Zuletzt dann auch noch Sebastian Kurz, der seine zweite Befragung im Ibiza-Untersuchungsausschuss zu einer Farce der besonderen Art gemacht hat. Auf Fragen der ÖVP-Fraktion gab der Kanzler dermaßen ausschweifende Antworten, dass aufgrund der Bestimmungen über die Befragungszeit NEOS und Grüne gar nicht mehr zum Fragen kamen. Er habe den Fehler von seiner ersten Befragung nicht wiederholen wollen, zu schnell und zu flapsig zu antworten. Mehr sei das nicht gewesen, wollte Kurz damit sagen, denn: Was hätte ich von einer Falschaussage? Dass er ein falsches Bild aufrechterhalten wollte, nämlich dass er auch nur mit Wasser kocht und zuweilen politisch im Trüben fischt und mitnichten einen neuen, nämlich besseren Stil pflegt – das könnte der Grund für die fatale Flapsigkeit gewesen sein, aber das werden Staatsanwaltschaft und – Kurz rechnet ja mit einer Anklage – Gerichte klären.
Meisterschaft im Erzeugen falscher Bilder
Apropos falsches Bild. Wie der ÖVP-Obmann tickt, das hat er in diesen vier Stunden auch durch seine inhaltliche Argumentation sehr schön dargelegt. Als es um Parteispenden ging, sagte Kurz, die Masse der ÖVP-Spender seien immer Kleinstspender gewesen. Die machen das, weil es ihnen nicht egal ist, was in diesem Land passiert. Wir erinnern uns an einen Brief der Tiroler Adlerrunde an die Regierung in Wien, kurz vor der Übernahme der ÖVP durch Sebastian Kurz. Diesem einflussreichen Unternehmerzirkel war auch nicht egal, was in diesem Land passiert. Mitglieder der Adlerrunde haben der ÖVP insgesamt mehr als eine Million Euro überwiesen, den Löwenanteil davon der Bauunternehmer Klaus Ortner. Kleinstspender halt. Oder wenn Kurz seine Attacken gegen die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft damit rechtfertigen will, dass er eh nur eine von siebzehn Staatsanwaltschaften angegriffen habe.
Nicht einmal der Messias ist sakrosankt
Um das Bild komplett auf den Kopf zu stellen, hat der ÖVP-Obmann dann auch noch einen Zusammenhang zwischen seinen Angriffen auf die WKStA und der Kritik an der katholischen Kirche wegen Fällen sexuellen Missbrauchs hergestellt, um zu folgern: Kein Bereich sei sakrosankt, was man als hochheilig übersetzen kann. Ja nicht einmal er selbst (der oft als Messias Bezeichnete) ist das. Denn die Chat-Protokolle des Thomas Schmid, die das System Kurz bloßgestellt haben, die hätten nichts mit ihm und seinen engsten Mitarbeitern zu tun, so Kurz. Schließlich habe Schmid ja auch unschöne Dinge über ihn geschrieben, zum Beispiel voll arg: Kurz scheißt sich an. Und damit müsse er auch leben. Das wirklich Bedenkliche ist: Der um sein politisches Leben Kämpfende – wie es Erhard Busek ausgedrückt hat – kommt damit bei so vielen durch.
Medien machen mit oder sind überfordert
Bei seinen Fans und seinen Jüngern sowieso, aber auch bei einem Gutteil der Medien. Der Boulevard wird gefüttert wie nie zuvor, das ist mit Studien nachgewiesen und mit Belegen aus der Praxis gut untermauert. Aber auch in seriösen Blättern verfängt der absurde Spin. Bei einer Veranstaltung der Vorarlberger Nachrichten mit ÖVP-Landeschef Landeshauptmann Markus Wallner ist der zur Lage der Bundespartei gefragt worden. Wallners Antwort sinngemäß, hier nachzuhören: Die Chats seien nicht gut, das sei eine Frage des Stils, wichtige Entscheidungen bespreche man nicht über solche Kanäle. Die Angriffe auf die Justiz, da hätten die ÖVP-Landeschefs den Kanzler gebeten, etwas zurückhaltender zu sein, weil – Zitat: Das bringt in dem Zusammenhang gar nichts. Aber man müsse schon die Kirche im Dorf lassen, denn hier werde eine Person intensiv gejagt. Wallner Ende. Kein Wort darüber, dass wesentliche Repräsentanten seiner Partei dem Rechtsstaat im Geist den Stinkefinger zeigen.
Direkt gewählt und absolutistisch angehaucht
Im Gegenteil: die Landeschefs haben ein klares Zeichen dafür gesetzt, dass wir den von Sebastian Kurz eingeschlagenen Weg gemeinsam weitergehen wollen. Sie lassen ihn so weitermachen wie bisher, weil er ihnen Stimmengewinne bei Landtagswahlen gebracht hat, auf die aktuell auch Thomas Stelzer in Oberösterreich hofft, der aber nicht ganz überzeugt ist, ob ihm die Chat-Performance wirklich helfen wird, wieder über 40 Prozent zu kommen. Sie lassen ihn so weitermachen, weil er im Parlament sagt, dass er zweimal direkt gewählt worden sei, um seine vorwitzige Forderung nach Reform des Untersuchungsausschusses zu rechtfertigen. Das ist ihm natürlich sofort als autoritär-absolutistische Attitüde ausgelegt worden. Stichwort Kanzlerdemokratur. Das steckt wohl in ihm drin, aber das hat die wahre Chuzpe seines Umgangs mit dem Vorzugsstimmen-Mandat vernebelt.
Über allem der gnadenlose Rechtspopulismus
Und die im Grunde immer noch mächtigen Landeschefs lassen Kurz so weitermachen, obwohl und weil er so hemmungs- wie gnadenlos populistisch ist. In der von der SPÖ zur Unzeit ausgelösten Einbürgerungsdebatte wurde so mit falschen Zahlen operiert, dass sich in der Statistik Austria die Rechenschieber gebogen haben. Nach dem furchtbaren Mord an einem 13-jährigen Mädchen in Wien waren die Tatverdächtigen – zum Teil vorbestrafte afghanische Asylwerber – der geballten Führungsriege der Kanzlerpartei ein willkommener Anlass, das Thema Femizide zu einer brachialen Sündenbockpolitik am Rande der Hetze gegen Ausländer umzufunktioneren. Die Grünen als Koalitionspartner haben dem wenig entgegenzusetzen wie bei Moria und den Kinder-Abschiebungen. Sie freuen sich, dass Leonore Gewessler das 1-2-3-Ticket voranbringt und die Wiener und Niederösterreicher mit dem Lobau-Tunnelprojekt ärgert. Alles schön und gut.
Unten drunter die neben sich stehende SPÖ
Sie lassen Kurz aber vor allem auch deshalb weitermachen, weil die SPÖ kein Konzept hat und es ihm dadurch als größte Oppositionspartei geradezu lachhaft leicht macht. Die SPÖ hat an dem Tag, als das ermordete Mädchen auf dem Grünstreifen neben der Straße in der Donaustadt gefunden worden ist, ihren Parteitag abgehalten und dort einen Antrag (Antragsheft Seite 171) beschlossen, der fordert: Dass Österreich keine Abschiebungen in Krisenregionen oder Länder, in denen der Aufenthalt vom österreichischen Außenministerium als Risiko eingestuft wird, durchführt (wie z.B. Afghanistan). Das ist nichts Unehrenhaftes, aber auch ein gefundenes Fressen für einen August Wöginger. Dass SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch sich da dann irgendwie herauszuwinden versucht hat, mit dem Verweis auf eine SPÖ-Positionierung, die keiner kennt, ist schlimmer als die 75 Prozent für Pamela Rendi-Wagner am gleichen Parteitag.
Das Problem ist, dass uns das niemand glaubt
Die in geheimer Abstimmung schwer abgestrafte SPÖ-Chefin hat in einem langen Interview mit Rudi Fußi in lockerer Weingarten-Atmosphäre selber gesagt, dass ihre Partei zwar seit drei Jahren ein tolles Konzept zur Ausländerpolitik habe. Das Problem ist, dass uns das niemand glaubt, sagt Rendi-Wagner hier ernsthaft. Man meint, seinen Ohren nicht trauen zu können. Die Begründung ist quasi eine Kapitulation vor den Nehammers und Edtstadlers mit ihrer vollkommen schmerzbefreiten Rhetorik: Die ÖVP sei so stark in ihrer Regierungskommunikation, dass sie es schaffe, die SPÖ in die Ecke zu stellen, dass wir sagen würden: alle rein,egal wie. Dass sie als Parteivorsitzende da etwas falsch gemacht haben könnte, kommt Rendi-Wagner genauso wenig in den Sinn wie die Frage, ob ihr Debakel am Parteitag vielleicht genau mit solchen blinden Flecken – inhaltlich wie personell – zu tun haben könnte.
Doskozil redet einmal erstaunlich Klartext
Stadtrat Peter Hacker hat die Situation für seinen Bürgermeister, den Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig, schöngeredet. Der will immer noch keine Wellen in der Bundespartei, obwohl sie schon überschwappen, der will Rendi-Wagner die Last weiter tragen lassen, weil sie im Moment kein anderer tragen will, wie es ein Parteigrande aus den Ländern im Off ausgedrückt hat. Die Parteichefin sieht das nicht. Und was der Kollege Hans Peter Doskozil sagt, das hört sie nicht, weil sie nicht mehr viel miteinander reden. Ein nüchtern normales Verhältnis nennt Doskozil das in einem Kurier-Interview, das sie hoffentlich lesen wird. Der Burgenländer sagt da nämlich erstaunlich kluge Sachen über den Zustand der SPÖ, ohne die Vorsitzende anzupatzen. Nämlich das: Die Fragestellung ist komplett falsch. Man muss sich fragen: Warum wurde ich nicht gewählt? Das ist ja in Wahrheit ein Witz, wie eine Partei funktioniert.
Und Rendi-Wagner tötet Political Animals
Doskozil erzählt von Leuten in der zweiten Reihe, die schon Christian Kern bekämpft hätten und immer noch da sind. Jetzt mokieren sie sich: “Das ist ein Witz, da haben uns 25 Prozent nicht gewählt.” Anstatt eine Ursachenanalyse zu machen, wird nur weiter ein neuer Spin hineingebracht, neue Gerüchte lanciert. Dieses machtpolitische und pharisäerhafte Denken im Hintergrund schadet der SPÖ am meisten. Davon müsste man sich endlich befreien. Pamela Rendi-Wagner ist nach dem Parteitagsvotum mehr in ihrer Rolle gefangen denn je. Lassen Sie mich durch, ich bin Ärztin, hat sie bei Bussi Fussi selbstironisch gescherzt. Heilung ist dennoch nicht in Sicht.
In Richtung Sebastian Kurz hat die SPÖ-Chefin gemeint, die Zeit der Political Animals sei bald vorbei, dann sei fade Sachpolitik angesagt. Und das könne sie gut. Das ist auf eine faszinierend andere Weise auch kanzleresk.
3 Gedanken zu „Kanzleresk“
Die bittere Wahrheit über die österreichische Politik. Erstere ist zumutbar, letztere bereits eine Zumutung.
Der Kanzler mit dem unschuldigen Bubengesicht und seine ihm treu ergebene türkise Familia haben die Reise nach Visegrad bereits angetreten. Bleibt nur die Hoffnung, dass ihm dabei nicht allzu viele folgen. Andernfalls droht das Ende der 2. Republik und mit ihr der liberalen Demokratie, wie unsere Generation sie von Kindheit an leben durfte.
„Wehret den Anfängen“ gilt in diesen Tagen ganz besonders.
In diesem Sinne sei daher dem Autor für seine Hellsichtigkeit und den Mut zur Wahrheit ausdrücklich gedankt.
Herzlichen Dank einmal mehr für ihre klaren Zusammenfassungen. Für mich wirken ihre Texte wie Kondensate, die politischen Ereignisse werden eingedampft auf das Wesentliche. Ohne Hinzufügungen oder Einfärbungen. Ziemlich erschreckend einmal mehr, welch bedenkliche Entwicklungen abgebildet werden.
Die wiederholte Abarbeitung an Kurz ist jetzt nicht wirklich eine Überraschung, erstaunlich ist allerdings der hier kommunizierte Frust über eine SPÖ, die seit Jahren nicht in die Gänge kommt, trotzdem sich Kappacher und Co die Finger wund schreiben. Es ist einfach zum aus der Haut Fahren … 😉