Potemkinsches Land
So merken wir doch immer wieder, dass das auch im Bildungsbereich zu einer wirklich potemkinschem Forderung zu verkommen droht. Hier wird vielleicht angekündigt, hier wird vielleicht versprochen und hier findet garantiert nichts statt. Das waren die Worte von Daniel Landau, der Bildungsaktivist hat sich auf die Losung der Regierung Koste es, was es wolle bezogen – und dass das bei besonders unbeachteten gesellschaftlichen Gruppen wie Pflegenden und Kindergärtnerinnen nicht ankomme. Potemkin regiert das Land. Auch in Sachen Transparenz und Konsequenzen nach aufgeflogenen Affären.
Eva Marek, Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshof, ist von ihren Führungsaufgaben entbunden worden, nachdem das Online-Medium Zackzack mit veröffentlichten Chat-Nachrichten einen Posten-Deal der Sonderklasse dokumentiert hatte. Im Mittelpunkt stand Marek, weitere Mitwirkende waren zwei ÖVP-Minister, ein Kabinettschef mehrerer ÖVP-InnenministerInnen sowie eine von ihnen, die längst ÖVP-Landeshauptfrau ist. Das Ziel war die Verhinderung von unberechenbaren, sprich nicht ÖVP-getreuen Bewerberinnen für den Posten der Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft Wien. Der Deal wurde durchgezogen, Marek fiel um ihre versprochene Belohnung um, ihre Chat-Mitteilungen dazu sprechen Bände.
Eine Degradierung ins Ungewisse
Der OGH hat die Konsequenz gezogen und Marek sozusagen degradiert, für sich schon einmal ein beispielloser Vorgang. Begründung: die Chats seien geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Rechtsprechung zu gefährden. Und dieses Vertrauen sei unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren des Rechtsstaats. Es war eine sehr österreichischen Vertrauens-Wiederherstellung. Marek wird weiterhin Vizepräsidentin des OGH sein und das Gehalt einer Vizepräsidentin beziehen, aber nicht als Vizepräsidentin arbeiten, wie der Politikwissenschafter Gerd Valchars auf Twitter schreibt. Und sie wird vor allem das weiter tun, für das die Unabhängigkeit der Justiz entscheidend ist: Sie wird Recht sprechen.
Die Parteifreunde & die Arschlöcher
Potemkinsche Qualitäten hat auch ein weiteres Kapitel der BMI-Chats, die Zackzack veröffentlicht hat. Zunächst einmal wird darin ein Sittenbild der parteipolitischen Umfärbung fortgeschrieben, das wir aus der Zeit von ÖVP-Innenminister Ernst Strasser kennen, der später wegen Bestechlichkeit in seiner Zeit als EU-Abgeordneter eine Strafe verbüßt hat. Strassers damaliger Kabinettschef Michael Kloibmüller blieb noch Jahre im Innenministerium und brachte Parteifreunde unter. Als sich einer bei ihm beschwerte, dass er seine politischen Tätigkeiten für die ÖVP aufgeben müsse, weil die Sozialdemokraten Druck gemacht hätten, schrieb ihm Kloibmüller: Merk dir die Arschlöcher und wir knöpfen sie uns einzeln vor.
Dann machen wir das in Wien
Ein Besetzungswunsch für die Steiermark, den der damalige ÖVP-Sicherheitssprecher und heutige Volksanwalt Werner Amon an Kloibmüller herangetragen hatte, wurde ebenfalls erfüllt. Und zwar mit einer Hintergründigkeit, die nachwirkt: Es ging um einen ÖVP-Kandidaten, der von einer Kommission aus Dienstgeber- und Dienstnehmervertretern bestimmt werden musste. Die Botschaft Kloibmüllers an Amon: Wenn Rot und Blau nicht schon in der Steiermark ja sagen, dann machen wir das in Wien. Sprich: das ÖVP-geführte Ministerium wird es für den Parteifreund schon richten. Vor diesem Hintergrund sollte man die Aussage von Innenminister Gerhard Karner von der ÖVP sehen, der das Ressort gerade umstrukturiert, weshalb es wieder viele Posten zu besetzen geben wird.
Die Umfärbung & die Kommissionen
Von Martin Thür in der ZIB2 an die Umfärbungs-Mails aus der Ministerzeit von Ernst Strasser erinnert, dem der heutige Innenminister als Pressesprecher gedient hat, und befragt, ob das jetzt wieder bevorstehe, sagte Karner zunächst: Herr Thür, das ist 20 Jahre her. Faktum ist, dass sich die Anforderungen an das Haus, aber insgesamt an die Exekutive verändert haben. Wenn ich nur denke, an den Bereich der Cyberkriminalität und das ist ein wesentlicher Punkt in der Änderung der Aufgaben. Thür insistierte auf einer Antwort zum Thema Umfärbung: Die Frage ist ja, wie wollen Sie sicherstellen, dass die Öffentlichkeit Ihnen glaubt, dass nicht einfach Parteifreunde zum Zug kommen, sondern der Bestgeeignete? Karner: Weil es hier klare Kommissionen gibt, die die Entscheidungen treffen, damit hier auch… Zitat Ende.
Der Potemkin hinter Plexiglas
Klare Kommissionen, die die Entscheidungen treffen. Wenn nicht schon in der Steiermark, dann eben in Wien. Michael Kloibmüller war auch unter Wolfgang Sobotka noch Kabinettschef – ehe ihn dessen Nachfolger Herbert Kickl, den bekanntlich die Kurz-ÖVP als Innenminister akzeptierte, nach Niederösterreich vertrieben hat. Sobotka ist heute Nationalratspräsident und als solcher laut Geschäftsordnung Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zu den Korruptionsvorwürfen gegen die ÖVP. So wie schon beim Ibiza-U-Ausschuss denkt Sobotka nicht daran, sich für befangen zu erklären und den Vorsitz abzugeben. Und das obwohl der Anlass – von BMI-Chats bis zur Bulldozer-Rolle von Sobotka bei der Machtübernahme von Sebastian Kurz in der ÖVP – potenziert ist. Ein Potemkin hinter Plexiglas steht ins Hohe Haus, aber vielleicht kann der ÖVP-Chef – wir wissen: ein Lernender – da noch was machen.
Gefangen in den Befangenheiten
Geneigt, die Hoffnung eher aufzugeben, ist man bei Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein von den Grünen. Nicht nur wegen des potemkinschen Lockdowns für Ungeimpfte, der jetzt nach Aufforderungen von allen Seiten und nicht etwa aus eigenem Antrieb und/oder Einsicht aufgehoben – und von 2G in praktisch allen Lebensbereichen außer in der Arbeit und im Supermarkt abgelöst wird. Potemkin trifft schräge Realität. Ein Kabinettstück in dieser Hinsicht ist aber die Verweigerung zeitgemäßer Transparenz, was Interessenkonflikte von ImpfexpertInnen wie Ursula Wiedermann-Schmidt und Herwig Kollaritsch betrifft. Die plädieren dafür, Befangenheiten so wie in Deutschland online zu stellen, das Gesundheitsministerium sagt ohne jede Begründung njet.
Ein Transparenzverständnis wie damals
Man soll also weiterhin, wenn man Einschau in die Liste der gemeldeten Interessenkonflikte der Mitglieder des Nationalen Impfgremiums mit Impfstoffherstellern nehmen will, im Gesundheitsministerium anrufen, einen Termin bei der Vorsitzenden des Gremiums erbitten und dann dort untertänigst erscheinen, um einen Blick in die von den Experten und Expertinnen ausgefüllten Selbstauskunfts-Formulare werfen zu dürfen. Das ist so im Paragraf 10 auf Seite 5 der Geschäftsordnung geregelt. Das erinnert frappant an eine Regelung über die Einsichtnahme in die gemeldeten Nebenbeschäftigungen von Abgeordneten, die 2007 von der damaligen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer nach einem entlarvenden ZIB2-Bericht gekippt worden ist. Das Robert-Koch-Institut mit der STIKO (Ständige Impfkommission) in Deutschland handhabt das hingegen so transparent.
Eine Dreiviertel-Milliarde Chaos
Geradezu Pate gestanden sein dürfte Grigori Alexandrowitsch Potjomkin freilich, als die staatliche Impflotterie aus der Taufe gehoben worden ist. Als Zugeständnis an die Vorsitzende der Sozialdemokratie, damit die ein Zuckerl für ihren Gewerkschaftsflügel hat und die eigene Fraktion auf Linie bringen kann – die Koalition war auf eine möglichst breite Mehrheit für die sehr umstrittene Impfpflicht erpicht. Zum Entsetzen der NEOS-Chefin, die einen Riss in ihrer Fraktion in Kauf genommen hat, weil sie aus Staatsverantwortung ebenfalls für die Impfpflicht stimmen wollte. Am Morgen der Abstimmung darüber im Nationalrat musste sie aus der Pressekonferenz von Bundes- und Vizekanzler mit SPÖ-Chefin erfahren, das jetzt auch noch eine Dreiviertel-Milliarde Euro Steuergeld verlost wird.
Hoffen, dass das Glück keinen Vogel hat
Wie genau das ablaufen wird, ist völlig offen. Die hohe Politik hat per parlamentarischer Entschließung dem ORF hier eine Schlüsselrolle zugewiesen, was ihr angesichts der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht zusteht und was ohne Änderung des ORF-Gesetzes auch gar nicht möglich wäre. Renommierte Rundfunkrechtler schlagen angesichts dieser Hinterzimmer-Kapriolen die Hände über dem Kopf zusammen, scharf analysierende Journalisten drücken die Hoffnung aus, dass das Glück keinen Vogel hat. Führende Koalitionspolitiker geben hinter vorgehaltener Hand zu, dass ihnen momentan einfach nichts Besseres eingefallen sei. Was es freilich nicht besser macht.
2 Gedanken zu „Potemkinsches Land“
Es ist gut, dass es in der digitalen Wüste einen Ort gibt, an dem Vorgänge der realen Welt anschaulich und nachvollziehbar geschildert werden.
Danke.
Danke das freut mich (und ist auch der Plan 😎)!