Das Symptom ÖVP
Ich gehe davon aus, dass es nicht unüblich ist, dass jemand, der steuerpflichtig ist und glaubt, dass er zu seinem Nachteil behandelt wurde, bei den Finanzbehörden seinen Standpunkt darlegt. Das hat der ÖVP-Abgeordnete Christian Stocker als Mitglied des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses auf Ö1 gesagt. Er meinte damit den Millionen-Steuernachlass für Siegfried Wolf, den der über seinen Draht zu Thomas Schmid ins Finanzministerium erwirkt hat. Hunderte Chats und SMS auch von Ex-Finanzminister Hansjörg Schelling belegen das. Der Leiter der Steuersektion, Gunter Mayr, hat im U-Ausschuss angesichts der Machenschaften gesagt: Mir blutet das Herz. Und der ÖVP-Abgeordnete Stocker verkauft uns stellvertretend für seine Partei für dumm.
Die Episode ist symptomatisch dafür, wie die Volkspartei mit Korruptionsvorwürfen und handfesten Skandalen umgeht, die sie im vergangenen Jahr zwei Kanzler gekostet hat. Und selbst diese Kanzler-Rücktritte sind noch eine Symptom-Miniatur. Um nicht vom verglühten Stern der Partei zu sprechen, der jetzt auf der Payroll des Mannes steht, der gerade Millionen in den Wahlkampf vom Donald Trump ergebenen Kandidaten für die amerikanischen Midterm Elections steckt: Reden wir kurz über Alexander Schallenberg.
Der ehemalige Außenminister war als Kurzzeit-Kanzler überfordert und musste Karl Nehammer Platz machen. Schallenberg trat aber nicht zurück, um sein Scheitern einzugestehen, sondern er wurde wieder Außenminister. Seinen Platzhalter machte er zum Botschafter in Berlin, ohne dass sich dieser für den Posten beworben hätte. Als dies ruchbar wurde, zeigte sich Schallenberg reuig, sprach in der ZIB2 sogar von einem Fehler und ließ den Botschafterposten neu ausschreiben. Demnächst wird die Personalkommission tagen und Michael Linhart wohl formal und politisch korrekt bestellt werden.
Schallenbergs Augen und Ohren in Moskau
Zuletzt war Wieder-Außenminister Schallenberg erneut in der ZIB2 und auf wiederholtes Nachfragen von Armin Wolf, was denn noch passieren müsse (die Medien waren voll von den Bildern der praktisch hingerichteten ukrainischen Zivilisten in Bucha) bis das Außenministerium als sichtbaren Protest ein paar russische Diplomaten ausweise, drückte sich Schallenberg vor einer klaren Antwort. Er fürchtete offenbar die Retourkutsche Moskaus, das ja schon an unserer Neutralität gerüttelt hat: Wir haben weit weniger Diplomaten und ich glaube, es ist schon auch wichtig, dass wir Augen und Ohren in Moskau haben. Nur 36 Stunden später gab das Außenministerium die Ausweisung von vier russischen Diplomaten bekannt.
Emil Brix, Direktor der Diplomatischen Akademie, im Ö1-Mittagsjournal dazu: Man hätte das früher machen können und auch sollen, weil natürlich das Symbol und das Signal stärker ist, wenn man nicht den Eindruck erweckt, man humpelt hier anderen nach. Ein glattes Nichtgenügend für den Außenminister.
Die Luftnummern um das Gas-Embargo
Das österreichische Hinsichtl-Rücksichtl-Spiel vor der erschütternden Kulisse des Angriffskrieges hat schon mit dem völlig unnötigen und lachhaften Diskussionsverbot über die Neutralität begonnen, das der Bundeskanzler und designierte Parteichef der einst NATO-freundlichen Volkspartei ausgesprochen hat. Gefolgt von Schallenbergiaden, seltsamen Relativierungen unserer Abhängigkeit vom russischen Gas durch die Ministerinnen Margarete Schramböck und Karoline Edtstadler, einem peinlichen Auftritt von Karl Nehammer mit Wladimir Klitschko in Berlin und einem anderen Diskussionsverbot, an das sich in dem Fall die EU-Partner nicht halten – über ein mögliches Gas-Embargo der Union gegen Russland.
Dass die Regierung nicht einmal über gelindere Mittel wie Strafzölle und Zahlungen auf ein Treuhandkonto reden will, ist fast so fahrlässig wie die Unbestimmtheit in der Frage, wie genau ein Gas-Lieferstopp – der ja auch von Putin ausgehen kann – zu managen wäre. Die zuständige grüne Energieministerin Leonore Gewessler lässt hier auch aus und muss aufpassen, dass die ÖVP nicht am Ende sie die Gas-Rechnung politisch zahlen lässt.
Nehammers symbolhafter Trip nach Kiew
Heute fährt Karl Nehammer ins Kriegsgebiet. Der mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski vereinbarte Trip nach Kiew ist symbolhaft, Nehammer ist der erst vierte europäische Regierungschef, der das macht. Es ist auch ein Canossa-Gang, mit dem der Kanzler für die Putin-Blindheit der Vergangenheit Abbitte leistet. Er wird Selenski treffen, der infolge einer kabarettistisch anmutenden Sitzung der Präsidiale des Nationalrats nicht im österreichischen Parlament sprechen durfte, und Vitali Klitschko, der als Bürgermeister der Metropole die Stellung hält. Nehammer wird hoffentlich die richtigen Worte finden. Nicht so wie in seinem Statement zur Personenschutz-Affäre im Umfeld der Kanzlerfamilie, wo sich Nehammer in eine emotionalisierte Opferrolle begeben hat, statt transparent aufzuklären.
Sobotka als Abbild eines kläglichen Zustands
Und auch anders als dort, wo er dem ÖVP-Nationalratspräsidenten, gegen den wegen Amtsmissbrauchs in seiner Zeit als Innenminister ermittelt wird, sein volles Vertrauen ausgesprochen hat. Wolfgang Sobotka wird die parteipolitisch motivierte Besetzung eines hohen Polizeipostens in Wien vorgehalten, und er denkt immer noch nicht daran, den Vorsitz im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss abzugeben. Mit seinem sturen Festhalten an der Vorsitzführung fügt Sobotka, mit Rückendeckung von Kanzler Karl Nehammer, dem zweithöchsten Amt im Staat und dem ganzen Parlament schweren Schaden zu. Das schreibt nicht der linke Falter, dessen Herausgeber Armin Thurnher Sobotka seit Jahr und Tag zum Rücktritt auffordert und jeden Tag ein bisschen mehr recht bekommt, sondern die konservative Kleine Zeitung (die gleich dazusagt, es werde nicht für eine Anklage reichen).
Ländle-Affäre erreichte den Landeshauptmann
Sobotka verhält sich symptomatisch, er bildet die ÖVP ab in ihrem eher beklagenswerten Zustand. Bereits die dritte Version des Rechenschaftsberichts für 2019 wurde an den Rechnungshof geschickt, weil in den Büchern der Partei und ihrer Untergliederungen offenbar alles drunter und drüber geht. In Vorarlberg, wo die ÖVP seit Monaten unter dem Eindruck der Inseratenaffäre steht, die das Ö1-Medienmagazin #doublecheck ins Rollen gebracht hat, dort lässt der Landesparteichef die Spitzen des Wirtschaftsbundes über die Klinge springen – nachdem er deren Treiben jahrelang zugeschaut hat und als Parteisekretär, Klubobmann und dann Parteiobmann wissen musste, wie seine Partei finanziert wird und wo das Geld herkommt. Landeshauptmann Markus Wallner hat erst reagiert, weil es ihn selber in die Affäre hineinzuziehen drohte. Und ganz ausgeschlossen ist das immer noch nicht, das Ergebnis der Steuerprüfung beim Wirtschaftsbund wird in der ÖVP angespannt erwartet.
Die nachhaltige Zerstörung des Vertrauens
Da passt einer dazu, der am Beginn der Entwicklung gestanden ist, die die ÖVP dorthin gebracht hat, wo sie jetzt liegt. Ich persönlich habe immer gute Kontakte zu ihnen gepflogen. Ich sehe auch, dass die menschlichen Qualitäten in Ordnung sind, sagte Michael Spindelegger im Ö1-Mittagsjournal. Er war ein glückloser ÖVP-Obmann und Mentor von Sebastian Kurz, Gernot Blümel und Thomas Schmid. Kein schlechtes Wort kommt ihm über die Lippen, auch nicht die Feststellung, dass seine junge Garde vielleicht Mist gebaut hat. Fest steht, dass sie die ÖVP als Ganzes zum Symptom eines Systems gemacht haben, in das immer weniger Menschen Vertrauen haben. Unter den Jungen sind es nach einer Umfrage von Ö3 nur noch erschreckende sechs Prozent, die sich von der Politik gut vertreten fühlen.
3 Gedanken zu „Das Symptom ÖVP“
Erneut von Stefan Kappacher eine ehrliche Diagnose der langsam unerträglichen Wirklichkeit.
Es wird gelogen was das Zeug hält. Kann ein Man datar wirklich damit rechnen, dass die Mehrheit der Bevölkerung verblödet sind? Wir sollten eine Entschuldigung fordern .Brauchen Hausverstand und Bekenntnis zu unleugbaren Fakten bereits Artenschutz und Minderheitsrechte? gehts noch Ärger?
Alles richtig. Und alles so lange völlig egal, so lange ein ausreichend großer Teil der Bevölkerung all das gar nicht wissen und zur Kenntnis nehmen will, sondern entgegen jeder Logik weiterhin stur daran festhält, bei Wahlen die ÖVP anzukreuzeln.
Leider haben Sie recht und solange sich der gemeine Österreicher nur aus Kurier, Kronenzeitung, OÖ Nachrichten, Tiroler Tageszeitung, Vorarlberger Nachrichten und den Fellner Medien informiert, solange wird sich nur wenig ändern. Die Hoffnung liegt – allerdings nur bedingt – bei den jüngeren Menschen.
Blogs wie dieser hier und die von Johannes Huber und Harry Bergmann sollten Pflichtlektüre sein. Es gäbe auch noch andere wie ZackZack und Armin Thurnher. Diese werden aber von den VP-Kreuzerlmachern ohnehin ignoriert.