In Putins Badehose
Mehrfach hat Diekmann Putin besucht, auch auf seiner privaten Datscha in Sotschi. Er ging baden in der Hose des russischen Präsidenten. Eine wunderbare Stelle in Eva Konzetts lesenswertem Bericht im Falter über die Reisen des Karl Nehammer nach Kiew und Moskau, die es bis in die New York Times und auf CNN geschafft haben. Eine Woche lang hat das Thema auch die Innenpolitik beschäftigt, nicht zuletzt weil eben der frühere Chefredakteur der Bild-Zeitung, Kai Diekmann, als Putin-Tuchfühler an Nehammers Seite war. Die Kanzlerpartei in der Storymachine statt im Maschinenraum.
Selten hat ein innenpolitischer Coup – und das war zweifellos einer – im Ausland so viel Aufsehen erregt und im Inland so viel Rätselraten ausgelöst wie dieser Alleingang des ÖVP-Chefs. Vom Trip nach Moskau hat Nehammer nicht einmal die Grünen rechtzeitig informiert. Selten hat ein Kanzler so in Rätseln gesprochen wie Nehammer über jene 75 Minuten, die er – wie er immer wieder betont – Auge in Auge mit dem russischen Kriegsführer verbracht hat: Putin ist in seiner Argumentation vollständig in der Kriegslogik angekommen. Er ist sich dessen bewusst, dass die Sanktionen der Russischen Föderation schaden. Er ist sich dessen bewusst, dass der Krieg viel Leid und Schrecken verbreitet. Das war ganz klar. Aber er ist in seiner Kriegslogik alternativlos. Auch fünf Tage danach lässt einen so eine Aussage ratlos zurück.
Sub-Vermittler unter Erdogan?
Ähnlich geht es einem mit Nehammers Lobreden auf den türkischen Präsidenten Erdogan, der von Putin bekanntlich als Vermittler akzeptiert wird. Der Kanzler hat das nach seiner Unterredung mit dem russischen Präsidenten wie eine Neuigkeit verbreitet, weil er keine wirklichen Neuigkeiten hatte. Und Karl Nehammer hat das gesagt: Es bringt Österreich wieder stärker in Verbindung mit der türkischen Republik (…) Das ist für uns auch geostrategisch eine wichtige Entwicklung. Man fragt sich: Was um alles in der Welt ist Österreichs Anteil daran, dass der Despot in Moskau den autoritären Mann in Ankara als Vermittler anerkennt? Will sich Nehammer jetzt ernsthaft als Sub-Vermittler unter Erdogan andienen?
Am Ende war das Gas die Message
Irritierende Schlussfolgerungen nebst kafkaesken Betroffenheitsbotschaften werden wohl der Grund dafür gewesen sein, dass ein wichtiger Punkt aus österreichischer Sicht erst Tage später hinterfragt worden ist: Auch das russische Gas, von dem Österreich dank untersuchungs- und aufklärungswürdiger politischer Blindheit in den acht Jahren seit der Krim-Annexion immer noch zu 80 Prozent abhängig ist, war Thema. Putin selber habe es angesprochen, erzählte Nehammer vier Tage danach in einem Interview mit der Austria Presse Agentur und deren deutschem Pendant dpa. Die vertraglichen Mengen und die Zahlung in Euro seien gesichert, war die Message des Kanzlers – fast en passant. In die Bilderfalle ist er nicht getappt, es gibt offiziell keine Aufnahmen zur Verwertung für die russische Propaganda. Doch die inhaltliche Falle ist zugeschnappt: Ist es am Ende doch vor allem ums Gas gegangen?
Die Neutralität und die Kronenzeitung
Plötzlich war es dann auch nicht mehr so schwer, den Nehammer-Coup einzuordnen. Ein bisschen was geht in eigener Sache immer und umso besser, wenn es der Russe selber angesprochen hat. Wir müssen Nehammer das glauben, es war sonst niemand bei dem Gespräch dabei. Auch Neutralitätsrücksichten bzw. Rücksichten hinsichtlich der Neutralität auf die Kronenzeitung-Leitartikler und -Leserbriefschreiber könnten so gesehen tatsächlich ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Das Blatt hat Nehammer die Reise nach Kiew sehr übel genommen: Einseitige Parteinahme für die Ukraine! Wo wir doch neutral bleiben müssen! So schallte es dem ÖVP-Obmann vom Boulevard entgegen. Aber Nehammer hat ja neuerdings mit Kai Diekmann eine Geheimwaffe, der ist auf diesem Boulevard groß geworden. Als Bild-Chefredakteur war er gefürchtet, nah an den Mächtigen, großes Gespür für Geschichten.
Herr Diekmann und die Ratlosigkeit
Die geben der Agentur Storymachine den Namen, mit der Diekmann jetzt sein Geld verdient. Die deutsche Wochenzeitung Die Zeit hat einen Artikel über die Firma, die Diekmann gemeinsam mit dem früheren stern-Journalisten Philipp Jessen betreibt, mit dem Titel Die Scheinfluencer überschrieben: Auf Social Media kann heute jeder Satz, jeder Auftritt schnell zu Häme führen. Parteien und Unternehmen stehen ratlos vor dieser hypernervösen Öffentlichkeit, engagieren Kommunikationsberater und Marketingexperten und sagen dann doch im entscheidenden Moment das Falsche. Oder wenn es darauf ankommt, nichts. Storymachine verdient an dieser Ratlosigkeit. Und jetzt auch an der ÖVP. Die bestätigt, dass es Verträge mit dem Parlamentsklub für die U-Ausschuss-Kommunikation und mit der Bundespartei gebe. Details werden nicht genannt, Rückrufe der Generalsekretärin bleiben aus.
Die Generalsekretärin in ihrem Labyrinth
Laura Sachslehner, von Karl Nehammer überraschend in diesen Job gehievt, der für eine am Boden liegende Partei existenziell wichtig ist, hat anderes zu tun. Ganz im Sinne der beschriebenen Ratlosigkeit ist sie viel auf Social Media unterwegs, wo sie zuletzt versucht hat, Interventionen für Parteifreunde in Weiterleitung von Bürgeranliegen umzudeuten. Netter Versuch, und man wünscht ihr von Herzen, dass Storymachine seine Wirkung noch besser zu entfalten vermag. Das Kanzleramt legt übrigens Wert auf die Feststellung: Kai Diekmann steht in keinem Auftragsverhältnis zum BKA. Er hat beide Reisen ohne Honorar und darüber hinaus auf eigene Kosten mit begleitet. Seine Expertise in der Ukraine und auch für Russland war enorm wertvoll, u.a. hat er Putin in den letzten Jahren mehrfach persönlich getroffen.
Die Wiederherstellung des Scheins
Das passt alles zusammen. Die Zeit zitiert einen Insider, der bei Storymachine gearbeitet hat und über die Chefs sagt: Die wollen als Meinungsmacher wahrgenommen werden, die hinter den Kulissen mitbestimmen. Die Agentur gelte als geheimnisvoll, um den Einfluss der prominenten Gründer rankten sich Legenden. Die erwecken den Eindruck, überall mitzumischen, und machen zugleich ein Mysterium aus ihrem Geschäft, sprechen öffentlich nicht über Kunden. Es ist tatsächlich schwierig, an Kai Diekmann heranzukommen. Weder direkt, noch über das Berliner Storymachine-Büro. Und die Kanzlerpartei hat aus der fatalen Episode Sebastian Kurz offenbar wenig gelernt, wenn sie jetzt ihr Heil in einer Agentur sucht, die auf die Wiederherstellung des Scheins spezialisiert ist.
Was, wenn der Mann, der in Sotschi Putins Badehose trug, dem Kanzler die Reisen nach Kiew und Moskau eingeredet hat? Kai Diekmann mangelt es da nicht an Selbstüberzeugung, wie seine lockere Abqualifizierung des Russland-Experten Gerhard Mangott gezeigt hat. Es würde viel Irritierendes erklären, es wäre aber durchaus Anlass zu Sorge. Denn einen Kanzler, der sich der Marketing-Politik verschrieben hat und damit baden gegangen ist, den haben wir schon gehabt – mit dem feinen Unterschied, dass Kurz sein Modell eher exportieren hätte können, während Nehammer im Begriff ist, etwas Ähnliches zu importieren.
Wahlparteitag mit schwerem Gepäck
Der designierte ÖVP-Obmann, der am 14. Mai in Graz vom Parteitag bestätigt werden soll, hat den Ukraine-Krieg als das prägendste Ereignis seiner politischen Laufbahn bezeichnet. Gleich danach komme der Terroranschlag vom 2. November 2020 in Wien, hat Nehammer diese Woche gesagt – und er hat damit an etwas erinnert: Für die Versäumnisse im Vorfeld des Attentats hat bis heute niemand die politische Verantwortung übernommen, sieht man vom kläglichen Versuch der ÖVP damals ab, sie der grünen Justizministerin umzuhängen. So was kriegt man mit Schein-Politik nicht weg, auch nicht den unbedachten Auftritt Nehammers in der Affäre um die betrunkenen Personenschützer in seiner Wohnung. Der Kanzler sagt, er sei ein Lernender. Der Koalitionspartner sagt, er sei ein Netter. Führen müsste er halt auch.