Planlos unter Deck
Emanuel Macron ist wiedergewählt worden, von vielen Franzosen mit Wut im Bauch. Europa muss ihnen dankbar sein. In Slowenien ist Ministerpräsident Janez Janša abgewählt worden, ein Mann mit korruptiver Vergangenheit, Nähe zu Rechtsextremen und einem Hass auf unabhängige Medien, den er sich von seinem Freund Viktor Orbán abgeschaut hat. Aufmunternde Worte seines Freundes Sebastian Kurz zur Wahl auf Twitter halfen nicht. Vor dem Hintergrund der russischen Aggression sind das aber nur Verschnaufpausen. Hier in Österreich bleibt einem dennoch die Luft weg.
Der Faschismus ist zurück. Und er will eine Revanche. Noch weiß niemand, ob der kommende Krieg heiß oder kalt wird. Klar ist nur: Wir gewinnen, weil sonst nichts bleibt, was das Leben lebenswert macht. Oder eleganter gesagt: Russisches Kriegsschiff, fick dich! Unter diesem Titel hat Constantin Seibt einen aufrüttelnden Essay über den Stand der Dinge geschrieben. Was diese Zeitenwende, über die von Olaf Scholz bis Klaudia Tanner alle reden, wirklich ist: Es ist der Kampf um unsere Demokratie, den wir gewinnen müssen.
Die Zeitenwende, die manche meinen
Wenn dem deutschen Bundeskanzler zu Recht sein zögerliches Vorgehen bei der Unterstützung der ukrainische Armee mit schweren Waffen vorgeworfen wird, das er ohne Not mit der Angstparole vom herauf dräuenden Atomkrieg garniert, dann ist Österreichs Verteidigungsministerin um nichts besser, allerdings auf dem Niveau einer Karikatur: Tanner will, dass ihr Verteidigungsbudget auf letztlich fünf Milliarden Euro verdoppelt wird, und verspricht gleichzeitig, das Bundesheer werde nichts kaufen, was es nicht braucht. Allein dass sie auf die Idee kommt, es könnten unnötige Dinge beschafft werden, sagt alles.
Tanner hält am Heeres-Populismus fest
Noch mehr sagt freilich die jüngste Festlegung der Ministerin in der Tageszeitung Die Presse, wonach es weiterhin keine verpflichtenden Truppenübungen geben soll. Eine Verpflichtung würde bedeuten, dass man den Grundwehrdienst wieder von sechs auf acht Monate verlängern muss. Das sehe ich derzeit nicht. Natürlich würde das bedeuten, dass Tanner den populistischen Irrweg, den ihr Parteifreund Günther Platter als Verteidigungsminister eingeschlagen hat, verlassen müsste. Ihr Milizbeauftragter Erwin Hameseder hat das gefordert, jeder vernünftige Militär bestätigt einem: Dass nicht mehr verpflichtend geübt wird, ist Ressourcenverschwendung und de facto die Abwesenheit der Wehrpflicht.
Der maßgeschneiderte Schallenberg
Dabei hat die ÖVP-Ministerin im März im Interview mit der Kleinen Zeitung noch groß verkündet, sie wolle ein wehrhafteres Österreich und sich ein Beispiel an Schweden und Finnland nehmen, wo die Wehrbereitschaft dreimal so hoch ist wie bei uns: Nur das Budget zu erhöhen alleine wird nicht reichen. Die Worte sind Schall und Rauch, was uns gleich zum ÖVP-Außenminister führt, der es wie zuvor der ÖVP-Chef und Kanzler mit seiner bis heute schwer erklärbaren Putin-Reise in die internationalen Schlagzeilen gebracht hat: Einen raschen Status als EU-Beitrittskandidat für die Ukraine sehe er nicht, so Alexander Schallenberg, der für maßgeschneiderte Angebote zur engstmöglichen Anbindung der Ukraine plädiert. Und dafür auch in den gleichgeschalteten russischen Medien Aufmerksamkeit bekommen hat.
Kurz-Unterstützer auf der Bildfläche
Worte sind auch bei einer Buchpräsentation, an der Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und einer seiner Vorgänger, das ÖVP-Urgestein Andreas Khol, teilgenommen haben, sozusagen aus diesen beiden herausgepurzelt. Es ging um die Episode Sebastian Kurz, die ja bekanntermaßen unrühmlich geendet hat, was aber die ÖVP-Eminenzen und Kurz-Unterstützer Sobotka und Khol niemals zugeben würden. Sie fanden denn auch Qualitäten zum Nachruhm des Ruhmlosen: Seine klare Anti-Haltung zur Sozialdemokratie. Mehr ist Wolfgang Sobotka zu Kurz nicht eingefallen, aber das passt. Und Khol hat auf die Lücken verwiesen, die Kurz hinterlassen habe: Nehammer müsste wie die indische Göttin Kali sechs Arme haben, um gleichzeitig alle Löcher zu stopfen, die er ständig stopfen muss.
Demokratieverständnis des Alt-Präsidenten
Und der ehemalige Nationalratspräsident hat dann – angesichts der Medienkorruptions-Vorwürfe gegen Kurz und sein Umfeld – etwas Unglaubliches gesagt. Der verglühte ÖVP-Star hätte nicht zurücktreten, sondern in Neuwahlen gehen sollen: Dann wäre die ÖVP nicht auf 38 Prozent, aber auf 32 gekommen, was im Vergleich zu den heutigen Ziffern also ein Unterschied ist. Das wäre dann die dritte vorgezogene Wahl innerhalb von vier Jahren gewesen, einzig und allein um des Machterhalts der Kurz-Truppe willen. Getoppt wurde das bei der Veranstaltung noch von Wolfgang Sobotka, der in Niederösterreich lange, aber wenig ruhmreich Finanzlandesrat war, bevor ihn der damalige Landeschef Erwin Pröll in den Bund abschob.
Der Steuer-Freibrief des aktuellen Präsidenten
Und dieser Wolfgang Sobotka ist in einem Interview für die ZIB2 zur Steuer- und Inseratenaffäre der ÖVP Vorarlberg und von Landeshauptmann Markus Wallner befragt worden. Seine Antwort ist so kultig, dass sie im Netz als Freibrief für Steuerhinterziehung interpretiert wird, und gleichzeitig traurig, weil sie von einem Spitzenrepräsentanten der Republik kommt: Man kann und das ist glaube ich ein Gebot der Stunde für die Politik insgesamt nicht so quasi durchtauchen und etwas beiseiteschieben. Man muss offen auch zu Fehlern stehen und wenn es einen Fehler gegeben hat und wenn eine Steuer nachzuzahlen ist, dann ist sie nachzuzahlen. Aber man soll aufhören, das, glaube ich, zu kriminalisieren.
Kriminalisiert haben sich die Protagonisten des Abgesangs aufs saubere Ländle wenn, dann schon selber. Die vom Ö1-Medienmagazin #doublecheck und vom Standard ins Rollen gebrachte Affäre, von der in den Kreisen der ÖVP Vorarlberg jeder gewusst hat und die von der Monopolzeitung aus dem Hause Russmedia durch Nicht-Berichten gedeckt worden ist, scheint der Volkspartei jetzt den Rest zu geben. Die Planlosigkeit angesichts der unzähligen Korruptionsvorwürfe – im Übrigen wird auch gegen den Finanzstrafrechts-Experten Sobotka wegen Amtsmissbrauchs ermittelt – liegt offen, die Kapitäne sind unter Deck, und der Boulevard diktiert: Entweder er geht selbst. Oder er wird abgesetzt. Schreibt Krone-Chefredakteur Klaus Herrmann und meint den Vorarlberger Landeshauptmann. In der Sache hat er recht, das würdelose Herumlavieren wird diesem Skandal nicht gerecht.
Der Boulevard diktiert und schmeichelt
Gleichzeitig feiert die Krone in der bunten Sonntagsausgabe die Ehefrau von Kanzler Nehammer ab, die in erster Linie durch ihren promilleträchtigen Umtrunk mit den Bodyguards von der Spezialeinheit Cobra relevant geworden ist. Karl Nehammer hat sich in seiner berühmten Presseerklärung dazu (laut Krone bunt war das eine von der Gattin erdachte kontrollierte Sprengung, wie man dem Artikel entnehmen kann) verbeten, dass seine Familie thematisiert wird. Gegen die Homestory in der Zeitung, die den Kanzler auf der Rückfahrt vom Skiurlaub im Familienauto interviewt hat, hat sich bisher kein Protest erhoben. Der Kanzlersprecher postet stattdessen ein Ranking, wonach Österreich zu den friedlichsten Plätzen der Welt zählt. Nichts ist selbstverständlich, schreibt er. Geschenkt.
Vorarlberg zieht ÖVP noch weiter hinunter
Wolfgang Fellner hat auch was geschrieben. Wirft Nehammer frustriert hin? Kommt Kurz im Herbst zurück? Ein Titel mit zwei Fragezeichen, der das ganze Elend der ÖVP auf den Punkt bringt (vom Elend des schreibenden Verlegers mit seinen multiplen Kalamitäten gar nicht zu reden). Der neue Parteiobmann, der am 14. Mai in Graz gewählt werden soll, schafft es nicht, sich als Kanzler zu profilieren und als Parteichef zu emanzipieren. Er schaut zu, wie Vorarlberg die ÖVP noch tiefer in die Krise zieht, und er verlässt sich auf teure Berater, die nur Marketingpolitik können, mit der die ÖVP schon einmal krachend gescheitert ist. Und das alles in einer Krisenlage, in der Nehammer die Republik auch geistig führen sollte.
Und sie finden nicht zur Politik zurück
Russisches Kriegsschiff, fick dich! Das wird man – im Sinne von Constantin Seibt, dem es um die Rettung der Demokratie vor dem überhand nehmenden Faschismus ohne Haftung geht – von Nehammer nicht hören. Auch von seinem politischen Umfeld ist – wie oben beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit beschrieben – diesbezüglich nichts zu erwarten. Nicht wenige scheinen immer noch dem Vorgänger an der Parteispitze nachzutrauern, der beim Demokratie-Verächter und Trump-Financier Peter Thiel im Sold steht und Nehammer beim Parteitag möglicherweise die Show stehlen wird. Allein dass das denkbar ist, ist demokratiepolitisch eine Zumutung und für die ÖVP ein Armutszeugnis.
Ein Gedanke zu „Planlos unter Deck“
“Vorarlberg zieht ÖVP noch weiter hinunter”: im Auftrag der FPOe. Zuerst weg mit der OeVP, dann der SPOe, dann den Gruenen … Und Putin verteufelt man.