Hinterm Mond
Man müsste taub und blind sein sowie ein fensterloses Haus hinter dem Mond bewohnen, wenn man glaubte, es hätte bisher keine Einmischung der Politik in das operative Geschäft von staatseigenen Unternehmen gegeben. Moritz Moser in der Neuen Vorarlberger Tageszeitung schreibt, er habe sich schon lange nicht mehr für so dumm verkauft gefühlt wie von den Vertretern der ÖVP Vorarlberg, die nicht aufhören, die korruptive Inseratenaffäre in ihren Reihen kleinreden zu wollen. Hinterm Mond – das ist eine ziemlich präzise Ortung, wo sich nicht nur die Kanzlerpartei eine Woche vor dem Parteitag aufhält.
Der Ärger des Neue-Chefredakteurs hat sich auf die monatelangen Beteuerungen von Landeshauptmann Markus Wallner abwärts bezogen, wonach man Landesgesellschaften ja nicht anschaffen könne, wo sie inserieren – und dass Inseratengeld auch in Parteimedien nur nach unternehmerischen Gesichtspunkten geflossen sei. Jetzt ist bekanntlich alles anders, die ÖVP hat im Ländle die Notbremse gezogen. Ob es dem bedrängten Landeshauptmann noch hilft, der bereits ein Fall zur Prüfung durch die WKStA ist, wird sich zeigen.
Die ÖVP hat es nicht verstanden
Dass sie nichts verstanden haben, hat nicht nur Wilfried Hopfner bereits bewiesen, der für den nach Recherchen des Ö1-Medienmagazins #doublecheck und des Standard zurückgetretenen Hans Peter Metzler die Führung der Wirtschaftskammer Vorarlberg übernommen hat. In einem ORF-Interview zum jetzt plötzlich doch möglichen Inseratenverbot für Landesbetriebe in Parteimedien gefragt, sagt Hopfner: Das haben wir in den letzten Jahren an vielen Themen gelernt. Es entwickelt sich etwas, es eskaliert dann etwas, weil man es vielleicht auch etwas übertreibt. Und dann kommt sozusagen der Punkt, wo man sagt: Um Gottes willen, was ist da alles passiert? So weit wollten wir es eigentlich dann doch nicht.
Das richtige Verb fehlt im letzten Satz. Gemeint war wohl: kommen lassen. Richtigerweise müsste es aber heißen: So weit wollten wir es dann doch nicht treiben. Denn die ÖVP Vorarlberg ist in dieser Affäre, die sie in die bisher undenkbare schwerste Krise gestürzt hat, kein Opfer, sondern Täter. Alle haben es gewusst, die einen haben davon profitiert, die Parteispitze hat es geschehen lassen. Wenn der Wirtschaftskammer-Präsident sagt, das haben wir in den letzten Jahren an vielen Themen gelernt – dann meint er offensichtlich das System Kurz und bestätigt eindrucksvoll, dass die ÖVP ein Korruptionsproblem hat, das sie gleichzeitig aber nicht erkennen will. So wie der Ex-Obmann selbst, was die Kronenzeitung aber nicht daran hindert, ein inhaltsleeres Interview mit ihm auf drei Seiten auszuwalzen.
Das Ausgeistern der Episode Kurz
Es war wohl nur der Auftakt für weitere aufgeregte Fußnoten zur Episode Sebastian Kurz, die am Sonntag in Graz mit der Wahl von Karl Nehammer zum ÖVP-Parteiobmann auch formell zu Ende gehen wird. Und zwar zu hundert Prozent (wie wir schon vor Wochen erfahren durften) und für immer und dauerhaft, wie die Krone am Muttertag noch nachgereicht hat. Was für ein trauriger Auftakt für Nehammer, dem die erwartbaren Standing Ovations für Kurz am Parteitag wohl schon länger schlaflose Nächte bereitet haben. Vielleicht ist das auch eine Erklärung dafür, dass er sich nach seinem Stunt als ungelenker Diplomat in Moskau jetzt auch noch als ungelenker Linkspopulist versucht hat, wie es Rainer Nowak in der Presse ausdrückt.
Das Live-Experiment des Kanzlers
Der Kanzler hat nämlich das Märchen seiner Vorarlberger Parteifreunde, wonach es keine Einmischung der Politik ins operative Geschäft von Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung gebe, sozusagen mit einem Live-Experiment entlarvt. In einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung ließ Nehammer die Bombe platzen, dass die Regierung die Abschöpfung von Krisengewinnen von Energieunternehmen mit Staatsbeteiligung prüfen lasse. Es hat funktioniert: Der Börsenwert von Verbund und EVN sackte um fünf Milliarden Euro ab und erholte sich nicht über Nacht, das blanke Entsetzen bei Industriellenvereinigung & Co. war spürbar, die Leitartikler in sämtlichen bürgerlichen Blättern reihten sich hinter jenem der Presse ein, der titelte: So sicher nicht, Karl Nehammer!
Das saubere Learning by Zuschauen
Sicher ist er sich eh nicht, der Kanzler und bald gewählte ÖVP-Chef. Er sei ein Lernender, hat er schon oft über sich gesagt. Die Frage ist immer, was bleibt hängen. Es entwickelt sich etwas, es eskaliert dann etwas, weil man es vielleicht auch etwas übertreibt. Die Philosophie aus dem sauberen Ländle passt da hervorragend ins Bild. Learning by Zuschauen. Und wenn Kai Diekmann oder Katharina Nehammer wieder eine Idee haben, eskaliert es halt wieder. Verkaufen tut der gelernte Rhetorik-Trainer Nehammer das dann als: Ich kann mit dem alten Links-Rechts-Schema nichts anfangen. Nach der Ich-AG mit untertänigem Parteiapparat jetzt also ein ÖVP-Obmann, der mit den Börsenkursen Schlitten fährt.
Werner Kogler im fensterlosen Haus
In einem fensterlosen Haus sitzt unterdessen auch der eben erst wiedergewählte Grünen-Chef Werner Kogler und stellt sich taub und blind in der Hoffnung, dass die Misere des Koalitionspartners irgendwann an ihm vorübergehen und bitte, bitte nicht auf seine eigene Partei abfärben möge. Dass die ÖVP, allen voran die seinerzeit Wladimir Putin huldigende Wirtschaftskammer mit Präsident Harald Mahrer, die grüne Ministerin und neuerdings Vize-Parteichefin Leonore Gewessler übel anpatzt, übersieht er nobel. Jüngst beim 70-er von Steiermarks Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer musste Kogler neben seinem Ex Kurz sitzen, der ja für immer und dauerhaft weg ist, dafür aber doch ganz schön oft da in letzter Zeit. Das war bestimmt gruselig, aber Drachentöter kennen keinen Schmerz.
Gefährlich gefällige rote Umfrage-Lage
So wie die schmerzbefreite Sozialdemokratie im fensterlosen Nebenhaus, wo eben noch der Maiaufmarsch trügerisch farbenfroh über den Bildschirm flimmerte. Auch dort stellt man sich taub und blind angesichts einer Umfrage-Lage, die gefällig sein mag, aber für die Parteichefin alles andere als schmeichelhaft ist. Wenn ein in der Wolle gefärbter Schwarzer die SPÖ mit Getöse links überholt und sich über die erwartbare Schnappatmung der Wirtschaftsliberalen lustig macht, dann zeigt das auch, wie wenig inhaltlich relevant die Bundes-SPÖ derzeit ist. Dass ein früherer roter Parteichef und Kanzler gerade in der Energie-Frage viel Expertise hat und damit auch nicht hinterm Mond hält, ist ein Treppenwitz in diesem Setting.