Wenn das so weitergeht
Ausgerechnet Wolfgang Rosam, der PR-Profi und mediale Zeremonienmeister der Episode Sebastian Kurz, hat der ÖVP den politischen Super-GAU an die Wand gemalt. Wenn das so weitergeht, droht ein Democrazia Cristiana Schicksal, hat Rosam auf Twitter geschrieben. Womit er der Volkspartei nicht mehr und nicht weniger als das nahende Ende prophezeite. Die DC hat es 1994 nach Korruptionsfällen in höchsten Parteikreisen zerbröselt. Mani pulite nannte sich die Offensive der Mailänder Staatsanwaltschaft dahinter. Saubere Hände. Ähnliches läuft auch bei uns – WKStA, Rechnungshof und Parlament arbeiten eine Ära auf, in der die Checks & Balances außer Kraft waren.
Das jüngste Beispiel kommt aus dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, wo die frühere Landwirtschaftsministerin und Bauernbündlerin Elisabeth Köstinger nicht erklären konnte, warum ihr damaliger Pressesprecher und heutige Kanzler-Sprecher an der zuständigen Fachabteilung vorbei einen Rahmenvertrag über Inserate mit der Bauernbund-Zeitung abgeschlossen hatte. Und warum im Jahr 2017 um so viel mehr inseriert wurde, dass der Mehrbetrag jenem Betrag entsprach, mit dem die Partei gerade beim Bauernbund in der Kreide stand. Die Teilorganisation hat der Partei diese Schulden dann erlassen – und so ergibt sich der Eindruck einer weiteren Variante dreister Inseratenkorruption.
Das Agrarressort & der Bauernbund
Die Einschläge lassen nicht nach. Nicht am Ballhausplatz, wo Kurzens immer nervöserer Nachlassverwalter Karl Nehammer in den Umfragen einfach nicht vom Fleck kommt und sein Sprecher von den Inseratengeschäften mit dem ÖVP-Bauernbund eingeholt wird. Und auch nicht im St. Pöltner Regierungsviertel, wo man zur Kenntnis nehmen musste, dass der Rechnungshof von Inseraten-Umgehungskonstruktionen nichts hält, und mit wachsender Verzweiflung auf die im Frühjahr anstehende Landtagswahl blickt. Landesparteisekretär Bernhard Ebner hat im ORF-Report schon einmal klargemacht, dass die ÖVP Niederösterreich praktisch nichts mit der Bundes-ÖVP zu tun hat.
Der Ballkleider-Fail von Mikl-Leitner
Als gelb-blaue Niederösterreich-Partei suchen Ebner und seine Chefin Johanna Mikl-Leitner ihr Heil im abgedroschenen Werbeslogan Miteinander, der jetzt vielleicht nicht mehr so viel helfen wird. Und die jederzeit auf Distanz zum Bund bedachte Mikl-Leitner, die gern im Hintergrund die Fäden zum Nutzen ihrer Landesorganisation zieht und für die Bundesmedien mehr so eine Fata Morgana ist, macht schon markante und unverzeihliche Fehler: Auf einer Klima-Konferenz hat die Landeshauptfrau Spartipps gegeben und gesagt: Jede und jeder kann bei sich selber anfangen. Das beginnt bei der Kleidung, dass man nicht zehn Ballkleider haben muss, sondern drei Ballkleider. Den Garderoben-Fail gibt’s im Originalton, und der pickt.
Der Fluch der flüchtigen Impfpflicht
Die Bundesregierung hat jedenfalls noch schnell die Corona-Impfpflicht abgeschafft, bevor die zuständige Kommission im Herbst auf die Idee kommen hätte können, das Ding doch noch scharfzustellen. Ob die Impfgegner-Partei MFG damit aus den Landtagen von Tirol und Niederösterreich draußengehalten werden kann, wird sich zeigen. Günther Platter im Westen hat vorsorglich die Flucht ergriffen, Umfragen haben seiner Tiroler ÖVP zweistellige Verluste bei der Landtagswahl vorausgesagt, die jetzt am 25. September stattfindet. Ähnliche Werte haben sie in Vorarlberg, Markus Wallner ist im Krankenstand. Die Belastung durch die von ihm sträflich unterschätzte Inseraten- und Steueraffäre wird ins Treffen geführt. Johanna Mikl-Leitner kann nicht flüchten, sie muss eine Absolute verteidigen, und es wird hart werden.
Die Rechnung für unsägliche Machtpolitik
Die ÖVP bekommt also auch in den Ländern die Rechnung für unsägliche Machtpolitik präsentiert. Wobei das da wie dort nicht das Verdienst der Opposition ist: So schwach die Opposition auf Bundesebene manchmal daherkommt, in den Ländern ist diese Schwäche potenziert. In Vorarlberg wurde bis heute kein Untersuchungsausschuss eingesetzt, obwohl das ein Minderheitsrecht ist und Ungereimtheiten sonder Zahl auf Aufklärung warten. Man will es sich mit der Landeshauptmann-Partei offenbar nicht verscherzen. Auch in Niederösterreich verfängt die Miteinander-Tour der Landeshauptfrau. Und in Tirol, da scharren Rot und Blau in den Startlöchern, um die Grünen als Regierungspartner der ÖVP abzulösen – der neue Spitzenmann Anton Mattle kann mit allen. Die Frage ist mittlerweile nicht mehr nur dort, sondern auch im Bund, ob sich eine Zweierkoalition überhaupt noch ausgeht.
Wenn in Politik & Medien die Distanz fehlt
Für funktionierende Checks & Balances braucht es eine gesunde Distanz, und die ist in den Ländern offensichtlich viel zu wenig gegeben. Im Vorarlberger Landtag hat man live sehen können, wie unangenehm es manchen Oppositionellen war, den Landeshauptmann face to face zu kritisieren. Man ist miteinander per Du und will noch was voneinander. Auswüchse jahrzehntelanger Dominanz einer Partei gehen so nicht weg. Viel zu lange haben auch die regionalen Medien zugeschaut, wenn es überhaupt nennenswerte mit journalistischem Anspruch gibt. Selten gelingt es – wie im Fall der Vorarlberger Inseratenaffäre dem Ö1-Medienmagazin #doublecheck – durch Recherche von außen etwas zu bewirken. Wenn aber die vierte Gewalt schwächelt oder das System gar stützt, dann hat der Machtrausch kein Ende.
Doskozil und sein absolutes Pannonium
Gut zu beobachten ist das im SPÖ-dominierten Burgenland. Seit Jahrzehnten hat die Sozialdemokratie dort das Sagen, unter Landeshauptmann Hans Peter Doskozil wieder mit absoluter Mehrheit. Und mit der baut sich Doskozil konsequent eine Machtbasis auf, die Landesholding Burgenland heißt. Mehr als 70 Gesellschaften sind unter diesem Dach mittlerweile entstanden, die im Auftrag des Eigentümers – also des Landes – immer mehr auch auf den freien Markt drängen und den privaten Mitbewerbern die Luft abschnüren. Ob das Werbe-Dienstleistungen sind, Angebote mit vom Land während der Pandemie angeschafften Reisebussen oder Catering, das man bei der Küche Burgenland bestellen kann: Die Wirtschaftskammer wehrt sich öffentlich gegen diese Verstaatlichungsstrategie von Doskozil, der Aufsichtsratsvorsitzender der Landesholding ist.
Das Zementieren von Machtstrukturen
Die Kritik ist bemerkenswert, denn das Land bleibt trotz allem wichtiger Auftraggeber. Auf die Kritik antwortet nicht das Landeshauptmann-Büro, sondern der SPÖ-Landesparteisekretär. Das sagt alles über das Selbstverständnis von absolut Regierenden Marke Doskozil aus: Das Land sind wir, nämlich die Partei. Und wer uns deswegen kritisiert, der verschließt die Augen vor den Wohltaten, die unser Fürst den Menschen und ihren Betrieben angedeihen lässt. (Man hat es schon früh ahnen können, als der Landeschef seine mittlerweile Ehefrau bei sich im Büro anstellen wollte.) Man muss der SPÖ Burgenland fast dankbar sein, dass sie uns in ihrem anscheinend grenzenlosen Machtbewusstsein diesen Anschauungsunterricht gibt. Doskozil wandelt auf den Spuren seiner Wiener Genossen, die keine absoluten Mehrheiten mehr brauchen, weil sie die Machtstrukturen fest zementiert haben und immer einen kleinen Koalitionspartner an der Hand, der an dem Gefüge bestenfalls kratzen kann.
The same procedures seit 35 Jahren
Die Machtstrukturen haben sich auch in den ÖVP-Ressorts auf Bundesebene nach mehr als 35 Jahren Regierungsbeteiligung fest eingebrannt. So fest, dass nach den ganzen Diskussionen über die dubiose Vergabe von Posten anlässlich der Schmid-Chats weitergemacht wird, als wäre nichts gewesen. Wichtige Personalentscheidungen von der Wettbewerbsbehörde bis zum Rundfunk-Regulator laufen auf eine Weise intransparent ab, dass man nur den Kopf schütteln kann. Offiziell darf man nicht einmal wissen, wer in der jeweiligen Begutachtungs- und Auswahlkommission sitzt, inoffiziell stellt sich dann heraus, dass Wunschkandidaten der ressortführenden Partei zum Zug kommen sollen oder gekommen sind. Das war schon immer so und ist selbstverständlich nicht nur auf die ÖVP beschränkt. Aber wann, wenn nicht jetzt, sollte die Kanzlerpartei dazu ein Problembewusstsein entwickeln?
Mani pulite, das übersetzen sie bei uns noch immer falsch mit: Wir waschen unsere Hände in Unschuld. Der Rosam sagt – und er meint es gut: Wenn das so weitergeht, dann ist es mit der ÖVP bald einmal vorbei. Es deutet alles darauf hin, dass es so weitergeht.
Ein Gedanke zu „Wenn das so weitergeht“
Zu dem, was ich lese, kann ich nur sagen: Wie wahr! Die Zwangsumsiedlung von der Argentinierstraße auf den Kü’berg konnte offensichtlich die klaren Analysen nicht trüben.