Nicht involviert
Der Zustand ist kurios. Wir sind ein Rechtsstaat, der eine ausgebaute, feinziselierte Rechtsordnung hat, an die die Vollziehung vom Minister bis hin nach ganz unten durch die Bundesverfassung gebunden ist. An der Nahtstelle zwischen Politik und Verwaltung herrschen mit den Kabinetten aber schlampige Verhältnisse. Der Verwaltungsexperte Wolfgang Gratz hat in der Wiener Zeitung eine bemerkenswerte Analyse über die Banalisierung des Regierens geschrieben. Ein Gleichgewicht des Schreckens zwischen Beamtenschaft und Kabinetten sei mit der Einführung der Generalsekretäre (einige inzwischen traurig berühmt) zur Herrschaft durch Schrecken geworden. Und dann sagt eine Ex-Ministerin, sie sei in die Vorgänge in ihrem Kabinett nicht involviert gewesen. Welch Horror vacui.
Margarete Schramböck war Auskunftsperson im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss, die letzte vor der Sommerpause. Und sie konnte sich nicht nur an nichts erinnern, wie das sonst gern gemacht wird, sondern sie war einfach nicht dabei. Da war ich nicht involviert, hat Schramböck ungefähr so oft eingeworfen wie Bildungsminister Martin Polaschek in der ZIB2 gesagt hat: Das werden wir uns anschauen. Mit jeder Hervorbringung einer dieser zahlreichen Platitüden ist das Vertrauen in das politische Spitzenpersonal noch ein Stück weiter ins Minus gerutscht. Wie sich die frühere Wirtschaftsministerin da verantwortet hat, ist schlicht ein Skandal. Egal ob sie wirklich nicht involviert war, wie sie sagt, oder ob sie das nur behauptet. Die Ministerin ist die Behörde, sie ist verantwortlich für alles, was in ihrem Ressort passiert.
Das Debakel mit der Wettbewerbsbehörde
So war Schramböck ganz bestimmt involviert, als es darum gegangen ist, die Leitung der Bundeswettbewerbsbehörde mit einem ÖVP-Mann zu besetzen, der die Voraussetzungen für die Bestellung offenbar nicht erfüllt. Auch die Umstände seiner versuchten Bestellung werfen Fragen auf, Schramböck hat das Verfahren ihrem Nachfolger Martin Kocher überlassen. Und der sieht sich mit einem beispiellosen Veto des grünen Koalitionspartners gegen den ÖVP-Favoriten konfrontiert, das mit einem Gutachten untermauert ist. Die Postenvergabe liegt auf Eis, die kann nicht ein Generalsekretär nach Vorarbeit einer genehmen Kommission einfach so durchdrücken, weil diesfalls die gesamte Bundesregierung zuständig ist.
Die schrecklich praktischen Schreckensherrscher
Aber so ein Generalsekretär, der über sämtliche Köpfe im Ministerium hinweg entscheiden kann und einem so die Arbeit abnimmt, der ist schon sehr praktisch. In Schramböcks Fall etwa dann, als es um ein Leitbild samt lukrativem Auftrag für eine ÖVP-Ex-Ministerin ging, die mittlerweile als Beschuldigte in der Medienkorruptions-Affäre geführt wird. So wie der Ex-Kanzler, dessen Quasi-Staatssekretär für Medienfragen und Erfinder der Message Control vor dem Untersuchungsausschuss so destruktiv war, dass das sogar dem obstruktiven Vorsitzenden zu viel war, der bisweilen auch selbst als Auskunftsperson vor dem von ihm geleiteten Ausschuss auftreten muss. Der Ex-Kanzler war ja auch in nichts involviert, sagen sie immer noch in der Partei. Nur der neue steirische ÖVP-Landeshauptmann hat inzwischen eingeräumt, dass das doch die politische Verantwortung gewesen sein könnte, derentwegen sich der Ex-Kanzler als Mitarbeiter von Tech-Investor und Trump-Freund Peter Thiel jetzt im Family-Office von Großspender Alexander Schütz unternehmerisch verbreitert.
Der Bankomat für die Operation Ballhausplatz
Und natürlich hat Kurz seinen Pressesprecher kaum gekannt, der für ihn mit dem Generalsekretär im Finanzministerium den Bankomaten für die Operation Ballhausplatz angeworfen hat. So weit wie wir bin ich echt noch nie gegangen, hat der gechattet – und die vergessene Zeitkapsel von Apple war richtig dick involviert und hat alles für die Nachwelt aufgehoben. Es ist bestens dokumentiert, dass jedes Mittel recht gewesen ist, um an die Macht zu kommen. Und wie die Macht dann ausgekostet worden ist. Der Justizminister nach dem Scheitern des Experiments Strache-Kurz, Clemens Jabloner, hat es bei einer öffentlichen Veranstaltung auf den Punkt gebracht: Die Art, wie unter Kurz I regiert wurde, war ein erster Weg in eine andere Staatsform. Klarerweise hat Jabloner damit eine autoritäre, illiberale Staatsform gemeint. Hält man das einem der Neuen in der ÖVP-Führungsriege wie Christopher Drexler vor, fällt dem nicht mehr ein als die Replik: Unerhörte Zuspitzung!
Die parteipolitische Kaperung der Verwaltung
Dabei hat Clemens Jabloner sehr klar gesagt, was er damit meint. Er schließt direkt beim eingangs zitierten Wolfgang Gratz und auch beim langjährigen Spitzenbeamten Thomas Wieser an, der hier und hier mit der parteipolitischen Kaperung der Verwaltung abgerechnet hat. Jabloner sagte über die schwarz-blaue Regierung: Höhepunkt war die Installierung von Generalsekretären, die von der Politik gegen den Beamtenapparat in Stellung gebracht wurden. Ein Mitglied der Bundesregierung hat mir einmal gesagt, dass damit der Minister im Schmutz herumwühlen und die parteipolitischen Agenden durchkriegen kann. Eine solche Vermischung ist gefährlich, weil sie problematische Charaktere anlockt, und wenn sie das vorher noch nicht sind, werden sie dadurch verdorben. Der laufende ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss, den die adressierte Partei so gern diskreditieren möchte und sich dabei immer wieder nur selbst anpatzt, unterfüttert diesen Befund mit Fakten.
Die Gefahr der verdorbenen Charaktere
Stichwort verdorbene Charaktere. Im sauberen Vorarlberg hat ein Polit-Sekretär, der als Direktor des ÖVP-Wirtschaftsbundes für die Zeitung der Teilorganisation verantwortlich war, eine Herrschaft durch Schrecken perfektioniert, die sein Vorgänger aufgezogen hat. Inserate in Millionenhöhe wurden innerhalb der an sich nur den Mitglieder-Unternehmen verpflichteten Kammerorganisation und bei den Unternehmen selbst lukriert. Standort-PR sei das, haben sie alle gesagt – und alle haben was anderes gemeint. Inserate gegen gefälliges Verhalten der Behörden, so lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Und nicht einmal ordentlich versteuert haben sie das Geld, mit dem auch im Ländle ein Bankomat gefüllt worden ist. Den Code hatte die Landeshauptmann-Partei. Auch der Landeshauptmann sagt, dass er nicht involviert gewesen sei. Doch er wusste, was läuft. Das passt nicht zusammen. Er hat zu lange zugeschaut und viel berechtigte Kritik dafür bekommen. Das hat er gesundheitlich nicht verkraftet, was an seiner politischen Verantwortung nichts ändert.
Nehammers Schatten der Vergangenheit
Auch Karl Nehammer war nicht involviert. Keine politische Verantwortung für die schweren Fehler im Vorfeld des Attentats von Wien, als Nehammer Innenminister war. Keine Verantwortung in der #CobraLibre Affäre um die betrunkenen Personenschützer seiner Familie, die Polizisten müssen die Sache allein ausbaden, denn sie sind ja keine Jugendlichen, sondern Anti-Terrorspezialisten, wie der Kanzler wissen ließ. Keine Verantwortung auch für die vom Falter aufgedeckte und vom Obersten Gerichtshof bestätigte bewusste Manipulation der Wahlkampfkosten vor der Nationalratswahl 2019, als Nehammer Generalsekretär der Volkspartei und für den Wahlkampf verantwortlich war. Im Fall des Falles wird der ÖVP-Chef seinen damaligen Bundesgeschäftsführer Axel Melchior vorschieben, der mittlerweile als Lobbyist für den Kurz-Großspender Klaus Ortner im Nationalrat gut versorgt ist.
Der Aufstand von Krone und Landesfürstin
Nehammer hat Selenski in Kiew besucht, sich von Putin in Moskau Auge in Auge versichern lassen, dass die Gasversorgung für uns eh sicher sei, und er hat österreichische UNO-Truppen aufgemuntert. Aber in den Kampf gegen die Teuerung war er nach Ansicht der Kronenzeitung nicht genug involviert, wobei das Boulevardblatt da nur einen regelrechten Aufstand der Landesfürstin mit einigen Landesfürsten gegen die von Nehammer geführte Bundesregierung volley übernommen hat. Die in der unseligen Tradition der Impfstoff-Allianz stehende Gasliefer-Allianz mit Israel, von der Nehammer in den Hauptnachrichten schwärmte, ließ die Krone und die ÖVP-Granden kalt. Und das zu Recht, wollen die vor der israelischen Küste entdeckten Vorkommen doch zunächst einmal erschlossen und dann irgendwann vielleicht gefördert werden. Kurzens Geist weht immer noch und kräuselt die Wellen.
Die Befeuerung der Nutzung und die Festspiele
Die reale Allianz aus Kronenzeitung und ÖVP-Landeshauptleuten hat den Kanzler aber gut im Griff. Karl Nehammer hat mit einer Woche Verspätung den Vorschlag von Wifo-Chef Gabriel Felbermayr aufgenommen, die Stromrechnungen zu deckeln. Keiner weiß, wie der genau kommen soll, aber kommen soll er, verkündete der Kanzler. Keinen Tag zu früh, urteilte die Krone streng. Da musste der Kanzler noch schnell etwas nachlegen, die Festspiele boten sich an. Weder in Salzburg, noch in Bregenz wird er heuer involviert sein. Der Regierungschef werde sich ganz in den Kampf gegen die Teuerung involvieren, ließ ein Sprecher sinngemäß wissen. In der ZIB am Montag hat das dann so geklungen: Ich halte den Zugang für richtig, dass man noch ein Segment lässt, dass auch ein Nutzungsverhalten der Menschen befeuert wird, wie sie selbst damit umgehen und selbst auch Energiekosten sparen können. Habeck, schau rüber.
Am Boulevard scheinen die Verhältnisse jedenfalls wieder geordnet zu sein, man ist gespannt, was das dann bedeuten wird, wenn die Medienpolitik mit den vielen dringend zu lösenden Fragen vielleicht doch einmal in eine heiße Phase kommt. Neuerdings zeigen die Verfassungsrichter ja auch auf diesem Feld der Politik, wo es entlang geht.
Der ewige Horror vacui in der Medienpolitik
Mit der Kronenzeitung und dem Horror vacui in der Medienpolitik schließt sich auch der Kreis zu Margarete Schramböck. In den Akten für den ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss ist ein Mail aus ihrem Ministerbüro aufgetaucht, in dem es um nicht mehr und nicht weniger als um freundliche Berichterstattung gegen Inserate geht. Schramböck hatte dazu keine Wahrnehmung, war also wieder nicht involviert. Ausgerechnet das desaströse Kaufhaus Österreich sollte in der Krone abgefeiert werden, was dann auch passiert ist. Den monetären Background liefert das Mail, in dem auf den Chefredakteur und einen Redakteur Bezug genommen wird: Diese haben, ebenso wie Dichand himself, großes Interesse gezeigt, die Geschichte wenn möglich und passend als Titel am ersten Adventsonntag-Wochenende zu spielen – das heißt wir müssen aber natürlich vorher voll ready sein und dann auch gleich mit den Schaltungen nachgehen. Der Aufschrei deswegen wäre gewiss viel lauter, müssten wir uns nicht täglich mit dieser unerträglichen Banalität des Regierens herumschlagen.
3 Gedanken zu „Nicht involviert“
Nicht fuer jede/n gibt es den Rechtsstaat.
Danke fürs teilen Ihrer wortgewandt ausgedrückten Gedanken!
Zum Glück bereichern Sie damit schon lange den öffentlichen Diskurs.
Danke dass Sie den Radioblog lesen!