Ein Sommer wie niemals
Frischer Wind bläst in der ersten Runde der ORF-Sommergespräche mit Beate Meinl-Reisinger – und fast die Karikatur vom Tisch. Sie zeigt die NEOS-Chefin, wie sie über den Zaun in den Garten der Macht lugt. Die Früchte aus diesem Garten, daraus macht Meinl-Reisinger kein Geheimnis, würde sie nur allzu gern kosten. Und so authentisch, wie sie zu aktuellen Fragen von Putin bis Hass im Netz Stellung nimmt, würde man sie gern davon kosten lassen. Die einzige im Grunde Unbelastete unter den Parteichefinnen und Parteichefs in einem Sommer wie niemals. Wo der wohl hinführen wird.
Es hat ja auch auf Puls 24 schon Sommergespräche gegeben, und die Botschaft der Kickl-Edition dieser Sendereihe war: Die FPÖ sei koalitionsfit. Ein interessantes Wording, das man vor dem Hintergrund von Ibiza und der großen Ernüchterung über die Qualität blauen Regierens sehen muss. Herbert Kickl hat denn auch nicht gesagt, mit wem er zu koalieren gedenke, wo doch explizit keiner mit ihm will. Kickl hat es umgedreht: Das schaue ich mir an, welcher Parteivorsitzende von SPÖ oder ÖVP das überlebt. Nämlich wenn sie oder er den Freiheitlichen, die in den Umfragen ja tatsächlich wieder viel Boden gutgemacht haben, den erneuten Zugang zur Macht verweigern wollen sollte. Notabene einer Partei, die für ihre Klientel laufend verkappte Putin-Sympathien transportiert – angesichts eines Angriffskriegs, aus dem laufend Gräueltaten und Kriegsverbrechen der Russen berichtet werden. Und das wahltaktisch hinter der heiligen Neutralität zu verstecken versucht.
Die FPÖ in extremen Turbulenzen
Wir reden von dem Parteiobmann, der als Innenminister verhaltensoriginell auch per Pferd unterwegs war und bleibende Schäden – Stichwort BVT-Affäre – hinterlassen hat. Auf dem Handy seines Hitzeschilds in dieser Frage, das war Hans-Jörg Jenewein, haben Ermittler den Entwurf einer anonymen Anzeige gegen maßgebliche Exponenten der Wiener FPÖ-Landesorganisation gefunden, mit der Kickl im Clinch ist. Der hat Jenewein fallengelassen, was den nunmehrigen Ex-Parteifreund in einen psychischen Ausnahmezustand gebracht hat. Die Zeichen in der FPÖ stehen auf Sturm, wenn auch nach außen hin die Medien gescholten werden und dem Parteichef in Aussendungen Loyalität versichert wird. Zu eng war das Verhältnis zwischen Kickl und Jenewein, als dass hier von den eigenständigeren Freiheitlichen etwa in Oberösterreich und Wien kein abgekartetes Spiel vermutet werden müsste.
Die Kronenzeitung in ihrem Element
Wobei die Freiheitlichen mit der Medienschelte schon einen Punkt haben. Die Kronenzeitung hat sich am Wochenende mit spekulativer Berichterstattung überschlagen, auch im Kurier wird Herbert Kickl fast schon ultimativ zum Rücktritt aufgefordert. Benjamin Weiser hat auf Zackzack seine eigenen Schlüsse daraus gezogen, die bemerkenswert, aber vielleicht doch etwas weit hergeholt sind: Der Verdacht liegt nahe, dass nach einer möglichen Entmachtung Herbert Kickls Anläufe in Richtung Neuauflage der Rechtskoalition unternommen werden sollen. Auch Krone-Chefredakteur Klaus Herrmann zieht in seinem Newsletter eigene Schlüsse, was die Berichterstattung über die Ereignisse in der FPÖ betrifft. Das sei geboten, weil schließlich hochpolitisch. Und Herrmann beruft sich auf die Süddeutsche Zeitung, die zum Fall Kellermayr geschrieben hat: Ein absoluter Ausnahmefall, darüber müsse man berichten. Die SZ schreibt natürlich nicht, dass man wie die Kronenzeitung aus Abschiedsbriefen zitieren soll. Was deren Chefredakteur damit rechtfertigt, dass die tote Ärztin es so gewollt hätte.
Das Schauspiel nach der Tragödie
Lisa-Maria Kellermayr hat etwas anderes gewollt. Unterstützung, Schutz und Betroffenheit der Mächtigen – die sich jetzt mit einem schweigsamen Innenminister und einer skurrilen Debatte über die Schaffung einer eigenen Staatsanwaltschaft gegen Hass im Netz aus der tragischen Affäre ziehen wollen. Schon vor fünf Jahren, als noch Rot und Schwarz miteinander regierten, ist über spezialisierte Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gesprochen worden. Die Posten wurden jahrelang nicht geschaffen. Es müssten jetzt einfach welche ausgeschrieben werden, aber die ÖVP-Generalsekretärin ruft lieber nach einer neuen Staatsanwaltschaft und dass die Justiz zukunftsfit gemacht werden müsse – und meint damit die grüne Justizministerin, die säumig sei. So wie die grüne Klimaschutzministerin mit den Gasreserven säumig sei, wie Laura Sachslehner vor wenigen Wochen noch laut kritisierte. Beim Sommer-Ministerrat in Mauerbach erklärte dann ÖVP-Chef Bundeskanzler Karl Nehammer leise, dass man erfolgreich heimlich schon einiges an Gas gebunkert habe, weil laut gehe in der Frage gar nichts.
Das Versteckspiel des Anton Mattle
Besser kommunizieren hätte die Regierung das alles aber schon können, das hat sie auch zugegeben. Nehammer versucht das jetzt auf einer Sommertour mit angeblich mehr als 200 Veranstaltungen. Der Kanzler, der in den Umfragen bei 20 Prozent Zustimmung grundelt, will zumindest bei den Funktionärinnen und Funktionären für ein bisschen Motivation sorgen. In Tirol, wo am 25. September vorzeitig gewählt wird und der amtierende Landeshauptmann – Günther Platter wie immer mit dem Gespür für den richtigen Zeitpunkt – nicht mehr antritt, sind sie angeblich nicht sonderlich scharf auf Wahlkampf-Auftritte von Nehammer. Das passt zur Kurzbezeichnung, die der neue Spitzenmann in Tirol, Anton Mattle, sich ausgesucht hat: Statt VP TIROL wie 2018 steht diesmal MATTLE auf dem Stimmzettel – und präziser kann man es eigentlich nicht auf den Punkt bringen, wie es um die Kanzlerpartei steht, die ja auch kein Korruptionsproblem hat, weil sie es mit dem Kopf im Sand nicht sieht.
Das Eingeständnis von Edtstadler
Wobei Europaministerin Karoline Edtstadler im Ö1-Interview am Samstag leise neue Töne angeschlagen hat. Die gelernte Richterin aus Salzburg stimmte ihrem Landeshauptmann Wilfried Haslauer zu, der in einem Interview gesagt hat: Das eine ist: Was ist legal und was ist illegal? Das Zweite ist: Was ist legal und was tut man trotzdem nicht? Da glaube ich, ist es nicht schlecht, wenn wir unsere Positionen einmal überdenken. In der Frage ging es um die Skandale, die zum Rücktritt von Sebastian Kurz geführt haben. Haslauer und mit ihm Edtstadler haben damit das Mantra der ÖVP, dass die rote Linie das Strafrecht sei, hinter sich gelassen. Die bestens dokumentierte Medienkorruptions-Affäre, die durch den Kronzeuginnen-Status für Sabine Beinschab noch einmal an Brisanz gewonnen hat, zeigt also auch in der bröckelnden Wagenburg Wirkung. Von Parteichef Nehammer würde man sich auch eine Neujustierung der Position dazu wünschen, solange das noch von Belang ist.
Die ÖVP in ihrer abgrundtiefen Krise
Der Kanzler hat die Diskussion darüber, wie fest er angesichts der Umfragewerte noch im Sattel sitzt, als Sommerloch-Debatte abgetan. Landeschef Haslauer beschreibt die Lage nüchtern: Wir sind in einer Situation, die wir vor Kurz hatten, auf diese sind wir jetzt wieder zurückgeworfen worden. Das ist nicht erfreulich. Ich gehe aber davon aus, dass man noch Terrain gutmachen kann. Karl Nehammer hat mein volles Vertrauen, ich sehe keine Obmanndebatte. Das sagen sie immer, und doch passiert es. Gern im Sommerloch. Karoline Edtstadler wäre eine logische Kandidatin, ein neuerlicher Kanzlerin-Wechsel ohne Neuwahl wäre freilich alles andere als logisch. Das müssten dann wohl auch die Grünen einsehen, die so gern bis 2024 durchtauchen würden. Und das müsste auch der Bundespräsident so sehen, der in zwei Monaten wiedergewählt werden will. Ermattet Mattle in Tirol, wo ihm Umfragen einen Absturz auf knapp unter 30 Prozent verheißen, dann wird im anderen Kernland, wo die Fallhöhe von der Absoluten auch beträchtlich ist, die Alarmstufe ausgelöst werden.
Die grünen Schrammen der Macht
Mit möglicherweise drastischen Folgen für den Bund. Die Grünen müssten dann auch einmal Inventur machen und prüfen, welche Spuren die turbulenten Jahre des Regierens hinterlassen haben. Ob der Anstand richtig gewählt hat – und ob dazu etwa Auftragsvergaben von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler passen: Sie hat jetzt in einem Nachtrag zu einer Anfragebeantwortung aus dem Frühjahr offengelegt, dass weitere gut 300.000 Euro an die Beraterfirma des Grünen Lothar Lockl (gemeinsam mit der Firma von Monika Langthaler, eine Grüne der ersten Stunde) für ein Bewusstseinsbildungsprogramm gegangen sind. Rechtlich zweifellos einwandfrei und auch an der Kompetenz der Auftragnehmer besteht kein Zweifel, aber um es mit Wilfried Haslauer zu sagen: Was ist legal und was tut man trotzdem nicht? Lockl ist auch ORF-Stiftungsratsvorsitzender aufgrund eines Sideletters zwischen ÖVP und Grünen. Und er ist enger Vertrauter von Alexander Van der Bellen. Viele Angriffsflächen.
Der Amtsinhaber & die Spaßmacher
Der Bundespräsident ist derzeit vor allem selbst Kandidat. Am 9. Oktober will Van der Bellen gleich im ersten Wahlgang alles klar machen, und das sollte ihm doch gelingen. Zweckpessimismus aus dem eigenen Lager, der einen zweiten Wahlgang an die Wand malt, dient mehr der Mobilisierung für den Amtsinhaber. Ein altes Leiden beim Wiederantreten: Heinz Fischer, ein beliebter Bundespräsident, hatte 2010 mit 53,6 Prozent die schlechteste Wahlbeteiligung ever. Fischer hatte gegen die FPÖ-Kandidatin Barbara Rosenkranz mit ihren 15 Prozent leichtes Spiel. Angesichts der aktuellen für Wahlkampf eher ungünstigen Entwicklungen in der FPÖ hat ihr Namensvetter Walter Rosenkranz gute Chancen, auch irgendwo in dem Bereich zu landen. Und die Ansage von Herbert Kickl auf Puls24, wonach Rosenkranz gleich nach Amtsantritt in der Hofburg die Regierung entlassen könnte (Wer sagt denn, dass man das nicht diesmal anders machen kann?), macht es nicht unbedingt besser.
Denn Alexander Van der Bellen hat zwar den einen und anderen blinden Fleck während seiner Amtszeit gehabt, wie in einem bemerkenswerten ZIB2-Interview mit Martin Thür zu Tage getreten ist. Doch der Bundespräsident hat sich als absolut krisenfest und souverän im Umgang mit multiplen Vorstufen zu Verfassungskrisen gezeigt. Das muss ihm erst einmal einer nachmachen. Ob das der Liebling der enttäuschten Linken ist – Dominik Wlazny aka Marco Pogo – oder der clowneske Gerald Grosz mit Fellner-Mattscheibe oder eben der FPÖ-Kandidat Rosenkranz. Sie werden nicht in Verlegenheit kommen, hier etwas beweisen zu müssen.
Die Wirrungen der SPÖ-Kandidatin
Alexander Van der Bellen wird sich die Frage gefallen lassen müssen, ob er die Drehtür zur Kanzler-Angelobung noch einmal anwerfen würde, wenn es sich in der ÖVP tatsächlich zuspitzt. Und es wird Van der Bellen sein, der ein wichtiges Wort mitredet, wie es nach der nächsten Nationalratswahl weitergeht – ob sie nun schon 2023 stattfindet oder regulär 2024. Immer mehr SPÖ-Spitzenpolitiker sprechen sich für die Ampel, also Rot-Grün-Pink aus, nach Hans Peter Doskozil zuletzt auch Peter Kaiser. Und die Frage der Spitzenkandidatin scheinen die Sozialdemokraten auch geklärt zu haben. Es sei schwierig, an Pamela Rendi-Wagner zu rütteln, hat sogar Doskozil zuletzt indirekt, aber offen zugegeben. Möge eine allfällige Ampelkoalition, so sie sich überhaupt ausgeht, mehr vom Spirit der Beate Meinl-Reisinger im ORF-Sommergespräch haben als von den Irrungen und Wirrungen Rendi-Wagners in ihrem ZIB2-Auftritt Anfang August. Die SPÖ-Chefin lugt auch über den Zaun, der sie von der Macht trennt. Wenn man nur genauer wüsste, was sie im Falle des Falles damit machen will.
Ein Gedanke zu „Ein Sommer wie niemals“
Guten Tag
Nicht übersehen. dass die Neos nicht mehr sind als die ÖVP in rosa – einige sagen pink dazu. Staat soll nichts dreinreden und nur die Elite soll gefördert werden – deren viele I Net Parteiprogramme man zwischen den Zeilen lesen, schadet nicht und zeigt deren Kurs – nicht zum besten für Ö.