Die Untergewinnler
Der ehrgeizige Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke war schon als SPÖ-Kanzlerkandidat im Gespräch, auch den Bürgermeister-Job täte er sich zutrauen, heißt es. Nach dem Auftritt in der ZIB2 – als er am Ende des Interviews mit Armin Wolf trotz schönem Anzug ziemlich nackt da stand – war’s das wohl mit den höheren Weihen. Die Märkte funktionieren nicht. Die Wien Energie macht per definitionem keine Spekulation. Hanke hat mehr oder weniger zugegeben, dass dieses den ganzen Tag über – etwa vom Aufsichtsratschef der Wien Energie – verbreitete Credo des städtischen Energieversorgers so nicht stimmt.
Auf die Frage, wie es sein kann, dass ein Unternehmen mit drei Milliarden Euro Jahresumsatz über Nacht 1,7 Milliarden brauche und dann über Nacht noch einmal zwei Milliarden, sagte Hanke: Es geht nicht darum, dass wir es brauchen. Wir müssen in die Möglichkeit kommen, die Liquidität ansprechen zu können. Die zwei Milliarden Euro brauche man im Übrigen doch nicht, weil die kurzfristige Preisentwicklung am Dienstag einen Gewinn von 400 bis 700 Millionen ergebe. Vielleicht brauchen wir die zwei Milliarden aber in zwei Tagen, so der Finanzstadtrat, der von verrückten Märkten sprach. Bis der Interviewer Armin Wolf auf den entscheidenden Punkt kam: Die Wien Energie kaufe ja nicht nur Strom für ihre Kunden, sondern verkaufe dreimal so viel Strom auf der Terminbörse wie sie selber produziert – warum das?
Wir warten nur auf bessere Kurse
Die Antwort von Hanke: Es ist immer dieser Mix zwischen Kaufen und Verkaufen des Handels entscheidend dafür, das beste Produkt zu generieren. Das wurde mir in der Form zugesichert, dass auch unsere Teams der Wien Energie das entsprechend gemacht haben. Und so gesehen dürfen wir alle davon ausgehen, dass das ordnungsgemäß abgelaufen ist. Der Finanzstadtrat knüpfte dann in der Vertiefung dieser Aussage fast nahtlos an seine Vorgängerin Renate Brauner an, die in Zusammenhang mit den Franken-Krediten der Stadt Wien einmal gesagt hat: Wir spekulieren nicht, wir warten auf bessere Kurse. Hanke sagt so: Das Kaufen und Verkaufen ist ja ein Tagesmix, wo man immer versucht, das optimale Preis-Leistungs-Verhältnis für die Zukunft sicherzustellen. Man ist betroffen – und viele Fragen offen.
Die Dimensionen des Finanzbedarfs
Reinhard Göweil beschreibt die Hintergründe in diesem Artikel in den Finanznachrichten sehr gut und setzt sich kritisch mit der Rolle Hankes und von Aufsichtsratspräsident Peter Weinelt auseinander. Göweil weist darauf hin, dass schon 2021 bei Umsatzerlösen von knapp über drei Milliarden Euro mehr als vier Milliarden kurzfristige Schulden aufgenommen worden seien. Der signifikante Anstieg der kurzfristigen Verbindlichkeiten resultiert hauptsächlich aus der stichtags-bezogenen Bewertung von Strom- und Gasderivaten, steht als Erklärung dazu auf Seite 17 im Geschäftsbericht der Wien Energie.
Der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister weist auf Twitter darauf hin, dass auf solchen Märkten eben nicht echter Strom gekauft, sondern schlicht spekuliert werde. Und er nennt die Dimensionen des Finanzierungsbedarfs der Wien Energie – zehn Milliarden hieß es zunächst, also bis zum Dreifachen des Jahresumsatzes – unfassbar. Jetzt sollen laut Finanzministerium sechs Milliarden Euro via Bundesfinanzierungsagentur bereitgestellt werden. Nachdem der Wiener Bürgermeister schon 1,4 Milliarden in zwei Tranchen am Gemeinderat vorbei mittels seiner sogenannten Notkompetenz locker gemacht hat.
Das Desaster in der Kommunikation
Das alles vor dem Hintergrund einer geradezu desaströsen Kommunikationsleistung der Wien Energie ebenso wie des Eigentümers, der Stadt Wien. Obwohl die finanzielle Notlage seit Wochen und Monaten absehbar war, ist man erst an den Bund herangetreten, als der Hut schon gebrannt hat. Am Samstag wurden Finanzminister und Energieministerin kontaktiert, am Sonntag gab es dann einen zunächst als weiteres Energiepreis-Schaulaufen getarnten Krisengipfel. Der hat dann mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben. Der ÖVP-Finanzminister hat im TV von einer finanziellen Notlage des Unternehmens gesprochen und die Wiener Stadtpolitik kritisiert, weil die nur durch den höchsten Beamten – den Magistratsdirektor – vertreten war. Es gab keine klaren Angaben über den Finanzierungsbedarf, die hat Finanzstadtrat Hanke erst am Montag Nachmittag nachgeliefert.
Die Pleitegeier auf dem Boulevard
Da war der Schaden aber längst angerichtet. Boulevard-Zeitungen schrieben von einer drohenden Pleite der Wien Energie, die zwei Millionen Kunden hat, und die Verunsicherung konnte ihren Lauf nehmen. Bei einem komplexen Sachverhalt wie diesem umso mehr. Man stellte sich etwa auch die Frage, warum es in Österreich für solche Fälle nicht längst einen Rettungsschirm gibt – wie zum Beispiel in Deutschland. Die Antwort von Regierungsseite war: Es habe bisher niemand danach gefragt. Warum Wien erst reagierte, als dem Energieversorger das Wasser schon bis zum Hals stand, blieb ein Rätsel – bis Peter Hanke dann am Montag Abend auftrat und mit seiner Performance Anlass für Spekulationen gab. Deshalb wird es Bürgermeister Michael Ludwig nicht gelingen, sich in der Causa dauerhaft zu verstecken.
Die Ungnädigen und die Wasserkraft
Wer auch immer die Halbinformationen aus dem Krisengipfel an die Zeitungen gegeben hat, es ist ein weiterer Beweis dafür, wie zerrüttet das Verhältnis zwischen der schwarz-grünen Bundesregierung und der SPÖ-dominierten Wiener Stadtregierung ist. Normalerweise hält man gerade in Krisenzeiten und Notlagen zusammen, in Österreich ist nichts normal, sondern alles Lagerdenken. Der ÖVP-Wahlkämpfer Anton Mattle in Tirol richtet schon einmal gen Wien aus: Klar muss aber sein, dass nicht jene Bundesländer, deren Energieversorger umsichtig gewirtschaftet haben, für die Schwierigkeiten der Energieversorger im Osten aufkommen müssen. Das ist Marke Franz Hörl, der die Gnade der Wasserkraft für die Seilbahner reklamiert hat: Ich schau nicht zu, wie das Wasser an mir vorbeifließt und Strom für die Stadt produziert wird, und wir sitzen im Trockenen. Mögen andere Übergewinne abschöpfen, wir produzieren Untergewinne an politischer Glaubwürdigkeit.