Karl Ohneland
Der eine Karl hat fast sein ganzes Leben auf den Thron warten müssen, der andere Karl musste den Thron von jetzt auf dann besteigen, weil die Landesfürsten schnell jemanden brauchten. Plötzlich Kanzler und bis heute keine Vision. So muss sich Karl Nehammer von seiner Ex-Generalsekretärin sagen lassen, dass die ÖVP ihre Werte für die Koalition mit den Grünen aufgebe. Der Klimabonus für Asylwerber ist nur der Anlass. Laura Sachslehner will unter Applaus von Teilen der Partei die Politik von Sebastian Kurz zurück, die mit dem australischen Modell für Asylwerber begonnen, in eine Koalition mit Strache & Kickl geführt und mit umfassenden Korruptionsermittlungen geendet hat.
Was Sachslehner unter Werten versteht, hat sie in einem Facebook-Posting klargemacht: Wenn ein Asylwerber gleich viel bekommen soll wie viele Österreicherinnen und Österreicher, die täglich aufstehen, arbeiten gehen und ihre Steuern zahlen, dann ist das nicht mehr meine Welt. Meine Welt sind die Werte der Volkspartei. Nämlich: Freiheit, Leistung und Sicherheit. Mit Maßnahmen wie der Auszahlung des Klimabonus für Asylwerber, nicht darüber nachzudenken, Asylwerber in Drittstaaten rückzuführen, oder in Zeiten von Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel darüber zu diskutieren, Sozialleistungen oder die Mindestsicherung zu erhöhen, verlassen wir den Weg, für den die Volkspartei steht. Wir geben unsere Werte auf.
Der Schmiedl macht wieder den Schmied
So denken auch: der amtierende Innenminister, der ÖVP-Spitzenkandidat in Tirol und die komplette Wiener ÖVP, in deren Schoß Sachslehner jetzt – gut mit einem Mandat gepolstert – zurückkehrt. Sie hat in ihrem Furor ausgesprochen, was auch viele, die sich bisher nicht geäußert haben, in der Volkspartei denken: Mit Kurz haben wir Wahlen gewonnen. Jetzt steht die Volkspartei in den Kernländern Tirol und Niederösterreich vor Wahlen und muss mit zweistelligen Verlusten rechnen. In Oberösterreich, einem weiteren schwarzen Kernland, sieht eine aktuelle Umfrage die ÖVP gar auf Platz zwei hinter den Freiheitlichen. Da muss man es doch wie seinerzeit Kurz machen, der FPÖ die Themen wegnehmen. Ein fataler Trugschluss, dem Laura Sachslehner, Anton Mattle und auch Thomas Stelzer da aufsitzen.
Blaue Renaissance in Oberösterreich
Zum Beispiel Oberösterreich: dort fällt der ÖVP-Landeshauptmann schon länger damit auf, dass er die Sanktionen der EU gegen Russland in Frage stellt, wie das die Freiheitlichen seit jeher tun. Der Meinungsforscher Peter Hajek, der die Umfrage für die Oberösterreich-Krone durchgeführt hat, sagt dazu trocken: Als ÖVP-Landeshauptmann dann auf den Zug aufzuspringen und dem stärksten Mitbewerber nach dem Mund zu reden, erachte ich als politisch taktischen Fehler. Es ist ein altbekannter Fehler, der die FPÖ unter Jörg Haider erst richtig groß gemacht und dafür gesorgt hat, dass diese Partei nach allen großen und mittleren Katastrophen von Knittelfeld bis Ibiza stets zurückgekommen ist.
Anton Mattle und der Dreier vorne
Jetzt ist es wieder so weit, auch dank Anton Mattle aus Tirol. Der Kommunikationsberater Heimo Lepuschitz hat es auf Twitter pointiert auf den Punkt gebracht: Das muss man Toni Mattle lassen: Mit seiner Attacke auf den Klimabonus ein FPÖ Thema groß hochgezogen, eine Mega-ÖVP-Parteikrise intern gestartet, perfekt von den Wien Energieproblemen der SPÖ abgelenkt und die Grünen als Steher positioniert. Eine Meisterleistung. Die Tiroler ÖVP hatte bei der Landtagswahl 2018 im Kurz-Fieber noch 44 Prozent eingefahren, jetzt werden sie es schon als Erfolg zu verkaufen versuchen, wenn ein Dreier vorne stehen bleibt und die schlimmsten Befürchtungen – es gibt mehrere Umfragen, die diese Partei mit der Kurzbezeichnung MATTLE auf dem Stimmzettel weit unter 30 Prozent sehen – nicht wahr werden.
Marketing mit Werten verwechselt
Der Denkfehler liegt auf der Hand: Weder Anton Mattle, noch Thomas Stelzer und schon gar nicht Laura Sachslehner sind ein Sebastian Kurz. Der hat Flüchtlingsrouten geschlossen, die es gar nicht gab oder die bis heute offen sind, er hat eine Patientenmilliarde versprochen, die bis heute eine Schimäre ist, und er hat in der heißesten Phase der Pandemie Impfstoff-Allianzen verkündet, die bloß heiße Luft waren. Seine Marketing-Politik mit Message Control und korruptiver Kulisse lief so geschmiert, dass Kurz auch genau die gegenteiligen Positionen verkaufen hätte können – und Fans wie Partei wären ihm gefolgt. Dass er mit der Masche zum Glück für das Land gescheitert ist, das ist das eine. Das andere ist, dass er die ÖVP im Nichts zurückgelassen hat – und die Partei von Karl Nehammer abwärts hat das nicht verstanden.
Realitätsverweigerung rächt sich jetzt
Wie sonst könnte die zurückgetretene Generalsekretärin die Inhalte einer Marketing-Politik – die laut Franz Fischler mit ihrem Erfinder wie eine Silvester-Rakete verglüht ist – als Werte der ÖVP bezeichnen? Wie sonst konnte Nehammer die Kurz-Adeptin Laura Sachslehner überhaupt zur Generalsekretärin machen? Wie sonst ist erklärbar, dass sich der ÖVP-Parteiobmann und Bundeskanzler dagegen wehrt, einen Schlussstrich unter die Episode Kurz zu ziehen, sich von ihm zu distanzieren und die Partei wirklich neu aufzustellen? Stattdessen: Die ÖVP hat kein Korruptionsproblem. Dieser Nehammer-Sager hat sich eingebrannt und bringt das ganze Elend der Volkspartei auf den Punkt. Strikte Realitätsverweigerung, wie sie lange auch in Vorarlberg betrieben worden ist. Dort kehrt Markus Wallner ins Amt des Landeshauptmanns zurück, man darf gespannt sein, wie er seine Krise ab jetzt managen wird.
Mikl-Leitner rudert, Wallner startet neu
Von seinem Bundesparteiobmann kann sich Wallner nichts abschauen, aber von Martina Rüscher vielleicht. Die Gesundheitslandesrätin hat ihn während seiner Aus-Zeit als Parteichefin vertreten und – was den Zustand der Partei betrifft – zumindest richtige Worte gefunden. Solche vermisst man auf anderen Ebenen. In Niederösterreich ist Johanna Mikl-Leitner auf größtmögliche Distanz zur ÖVP bedacht, um den Schaden für sich bei der Landtagswahl im ersten Quartal 2023 möglichst gering zu halten. Wenn es ihr sinnvoll erscheint, dann greift sie Karl Nehammer gnadenlos ins Ruder – wie in der Frühphase der Diskussion um einen Strompreis-Deckel geschehen. In der Frage der Sanktionen gegen Russland hingegen hat Mikl-Leitner dem Kanzler im Ö1-Interview gerade den Rücken gestärkt.
Es wird ungemütlich auf dem Thron
Das ist nicht wenig. Nach der Tiroler Landtagswahl und vor allem wenn es auch in Niederösterreich krachen sollte, kann es mit dem Backing dann aber ganz schnell vorbei sein. Der Sachslehner-Eklat hat offengelegt, wie sehr Nehammer in seiner eigenen Partei Passagier ist. Das hilft den Freiheitlichen, es gibt der SPÖ mit ihrem Kernthema Teuerung Raum, es gibt den NEOS Auftrieb, und es provoziert selbst beim nibelungentreuen Koalitionspartner Grüne ein neues Selbstbewusstsein. Nach Kurz und seinen MitstreiterInnen haben sie der ÖVP mit Sachslehner eine weitere personelle Entscheidung aufgezwungen. Um ins royale Bild zurückzukehren: Nehammer sitzt zwar noch auf dem Thron, aber es wird dort zunehmend ungemütlich. Und wenn er einen Beinamen hätte, dann den von John Lackland, Bruder von Richard Löwenherz und einer der Vorgänger von King Charles III. Unser Karl Ohneland.