Seiten-Stechen
Am Sonntag wählt Österreich einen neuen Bundespräsidenten, und die Prognose ist nicht gewagt: Alexander Van der Bellen wird es im ersten Wahlgang schaffen und über den 26. Jänner – das ist der Tag der Angelobung – hinaus Staatsoberhaupt bleiben. Das einzige Stechen, das stattfindet, ist ein unangenehmes, vor allem rechts spürbares Seitenstechen – nach vielen Wochen teils seltsamen Wahlkampfs, den wir durchlaufen mussten. Dazu eine Tirol-Wahl mit Ergebnis-Vernebelung, die Nachahmer finden könnte. Und ein Bundeskanzler, der glaubt, den Leopold Figl nachahmen zu müssen.
Das spannendste Ergebnis der Bundespräsidenten-Wahl wird sein, wie FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz abschneidet. Wir erinnern uns, dass sich FPÖ-Parteiobmann Herbert Kickl einigermaßen schwergetan hat, einen Kandidaten oder eine Kandidatin aus dem Hut zu zaubern. Mit dem unter der Kronenzeitungs-Flagge kandidierenden Tassilo Wallentin hat es Gespräche gegeben. Eine Frau ins Rennen zu schicken – Susanne Fürst und Petra Steger waren im Kader – hat Kickl offenbar verworfen. Geworden ist es der Burschenschafter Rosenkranz. Und es ist nicht sicher, dass er seine Namensvetterin Barbara Rosenkranz mit ihren 15,2 Prozent bei der Wiederwahl von Heinz Fischer 2010 übertreffen kann.
Erinnerung an die Namensvetterin
Frau Rosenkranz tat sich damals schwer, in der nötigen Klarheit zu sagen, dass es in den Vernichtungslagern der Nazis Gaskammern gegeben hat. Nach Wochen erst ruderte sie zurück. Walter Rosenkranz, der nicht verwandt und nicht verschwägert ist, wurde von Corinna Milborn auf Puls24 mit einem Beitrag konfrontiert, den er für ein Burschenschafter-Buch verfasst hat. Es ist eine Aufstellung von Burschenschaftern als Leistungsträger in Österreich von 1918 bis 1938 – darunter finden sich lupenreine Nazis wie zum Beispiel Hans Stich, der als NS-Generalstaatsanwalt von Wien und Niederösterreich viele Todesurteile gegen Mitglieder des Widerstands erwirkt hat und für Hinrichtungen verantwortlich war.
Der Kandidat beim Rosinen-Picken
Rosenkranz versuchte sich damit zu rechtfertigen, dass er ja nur die Zeit bis 1938 in die Bewertung einbezogen habe. In der ZIB2 hatte er zuvor ähnlich agiert, als es um sein erklärtes politisches Vorbild, den deutschnationalen Politiker Julius Sylvester ging. Der war ein glühender Antisemit – und darauf angesprochen, wie man so jemanden zum Vorbild haben könne, sagte Rosenkranz: Da sei ja mehr gewesen, wenn Sie den Antisemitismus weglassen. Und der Antisemitismus sei das, was ich bei ihm ausklammere selbstverständlich. Ein Kandidat, der sich aus Lebensläufen in düsteren Zeiten die Rosinen herauspickt. Herbert Kickl, der mit dem Burschenschaftertum wenig am Hut hat, verfügt jedenfalls über reichlich Argumente, um die Verantwortung für ein mageres Wahlergebnis von sich wegzuschieben.
Gewagte Analogie zum Staatsvertrag
In Sachen politisches Vorbild hat Bundeskanzler Karl Nehammer keinerlei Erklärungs- oder Relativierungsbedarf. In einem Festakt ist der von ihm verehrte Leopold Figl, geboren vor 120 Jahren, gewürdigt worden. Ginge es nach Nehammer, dann würde er das Kreisky-Zimmer im Kanzleramt in Figl-Zimmer umtaufen, weil der ÖVP-Mitbegründer hat schließlich auch dort residiert, wie Nehammer zwischendurch gern fallenlässt. Glaubt an dieses Österreich war das Motto der Veranstaltung, zu der auch höchste ÖVP-Prominenz aus Niederösterreich angereist war. Der Bundeskanzler verstieg sich am Schluss seiner Rede in eine gewagte Analogie zum Staatsvertrag, den man Moskau abgerungen hatte – ein maßgebliches Verdienst von Leopold Figl als Außenminister (nachdem ihn die Partei als Kanzler nicht mehr gewollt hatte).
Nehammer macht Österreich frei
Als wollte er die Stufen hinauf zu seinem Vorbild erklimmen, sagte Karl Nehammer: Genauso wie es unser Ziel war damals zu sagen: Österreich wird wieder frei – und Österreich ist frei geworden durch die Politiker von damals – ist unsere Verpflichtung, unser Auftrag, bis 2030 diese Unabhängigkeit Österreichs schaffen – von der Abhängigkeit von Energie von woanders, von der Frage der Investition in die eigene Sicherheit bis hin zu dem Thema, wo werden wir führend in Industrie, Wirtschaft und Forschung. Österreich sei ein großartiges, ein gutes, ein lebenswertes Land. Der Kanzler sprach es richtig trotzig aus, so als wollte er es allen zeigen, die immer wieder Kritik an seiner Regierung üben. Merkt euch, so die Botschaft: Und wenn es etwas gibt, das im Anschein nur positiv ist an der Zeit der Pandemie, dann ist es, dass wir in die Pandemie schwächer hinein gegangen sind, als wir herausgekommen sind. Wir sind stärker geworden.
Die ÖVP macht einfach nur weiter
Das werden nicht alle unterschreiben. Nicht die, die immer noch unter Corona leiden, und auch nicht die, die sich von der Gesellschaft entfremdet haben und in das Parallel-Universum der Schwurbler abgedriftet sind. Auch Karl Nehammer selbst ist nicht stärker geworden. Er hat sich von seiner früheren Generalsekretärin sagen lassen müssen, dass die Partei ihre Werte verrate und mit den Grünen auf dem Holzweg sei. Und er hat sie durch einen neuen Generalsekretär ersetzt, der wie sein Vorbild Figl und seine Mentorin Johanna Mikl-Leitner aus Niederösterreich kommt und einfach nur weitermacht. Christian Stockers Antwort auf die Frage, ob sich die ÖVP jetzt endlich einmal von der vernichtenden Episode Kurz distanzieren will, war keine Antwort, sondern ein Rest von Message Control mit altbekannter WKStA-Schelte: Die sei ein unguided missile und müsse an die Kandare genommen werden.
Negative Stimmung ist explodiert
Mit solchen Altlasten gelingt kein Neustart. Das hat die Tiroler Landtagswahl gezeigt, wo die alles dominierende Volkspartei um knapp zehn Prozentpunkte auf das historische Tief von 34,7 Prozent Wähleranteil abgestürzt ist. Eine einzige Grafik aus der Wahltagsbefragung von SORA/ISA sagt alles: Der Anteil der Tirolerinnen und Tiroler, die finden, das Land habe sich in den vergangenen fünf Jahren negativ entwickelt, ist auf 47 Prozent regelrecht explodiert. Im Jahr 2018 haben nur 17 Prozent die Lage negativ gesehen. Das mag auch der Landes-SPÖ als schwacher Trost dienen, die bei absoluter Hochkonjunktur ihrer Themen gerade einmal 0,3 Prozentpunkte dazugewonnen hat, es ändert aber nichts am Versagen des Spitzenkandidaten Georg Dornauer, der insgeheim genau weiß, dass das kein Regierungsauftrag war. Wie groß der Machthunger dennoch ist, wird sich zeigen.
Menschen zweifeln an der Führung
Die Leistbarkeit des Lebens, des Wohnens und die Sicherheit der Energieversorgung stellen derzeit alle anderen Themen in den Schatten, auch das hat die Wahltagsbefragung in Tirol gezeigt. Die Regierung hat viel Geld locker gemacht, um genau hier anzusetzen. Doch wie das Geld kommt auch die Botschaft nur zögerlich an. Wenn dann Mega-Verluste bei einer Landtagswahl als im Rahmen des Erwartbaren verkauft werden wie in Tirol, dann macht es das nicht besser. Und auch nicht, wenn der Kanzler meint, wie weiland Leopold Figl den Glauben an Österreich beschwören zu müssen. Die Menschen glauben an Österreich, aber sie zweifeln an der Führung. Das sollten die politisch Verantwortlichen einmal verstehen, statt zu versuchen, das durch Erwartungsmanagement und halbgare Reden auf den Kopf zu stellen.
Alle glücklich oder niemand
Am Ende stand ein Kompromiss, er machte alle glücklich oder niemanden, das steht irgendwie auch für dieses Land. Pointiert beschreibt Christian Nusser in seinen aktuellen Kopfnüssen die Einigung über den Energiekostenzuschuss für Unternehmen, um die ÖVP und Grüne seit Wochen gerungen haben. Die SPÖ wirft mit schöner Regelmäßigkeit ein, dass sie es besser gewusst hätte. In Wien, wo sie es beweisen hätte können, ist sie mit dem überdimensionierten und letztlich auch überforderten Risikomanagement des städtischen Energieversorgers in die Schlagzeilen gekommen. Die SPÖ hat gerade eine Schlüsselrolle, weil sie als größte Oppositionspartei Perspektiven für eine bessere Führung aufzeigen müsste. Stattdessen nährt auch diese Partei von Tag zu Tag die Zweifel. Und man mag sich das Seitenstechen gar nicht ausmalen, das uns auf dieser Grundlage vor der nächsten Nationalratswahl plagen könnte.