Sobotka vom Dach
Mir ist das Ergebnis wichtiger als mein Ruf. Das bringt mir das Image eines Bulldozers, aber darauf habe ich es nicht angelegt. So hat Wolfgang Sobotka Anfang 2017 argumentiert, als umstrittener Innenminister, der dabei war, mit Sebastian Kurz die rot-schwarze Koalition zu sprengen. Seit Dezember 2017 ist Sobotka Präsident des Nationalrats, und seit damals sollte ihm sein Ruf wichtiger sein als alles andere. Denn dieses Amt lebt vom Ruf seines Inhabers – oder es leidet darunter. Bulldozer ging nicht einmal auf der Parlaments-Baustelle. Auch wenn die ÖVP sich mittlerweile schon selbst plattgemacht hat.
Folgt man den Ausführungen von Johannes Huber in seinem Blog, dann fallen der Beginn des Niedergangs der ÖVP und der Beginn des Aufstiegs von Wolfgang Sobotka zeitlich zusammen. Sobotka war ein treuer Gehilfe von Sebastian Kurz bei der Machtübernahme in der ÖVP und wurde dafür nach erfüllter Mission mit dem Posten des Nationalratspräsidenten belohnt. Kurz ist Geschichte, Sobotka ist weiter im Amt, aus historisch erklärbaren Gründen nicht abwählbar – obwohl das nicht wenige gern tun würden. In einer aktuellen Umfrage für das profil sagt eine Mehrheit von 55 Prozent, Sobotka sollte zurücktreten, im Vertrauensindex der Austria Presse Agentur liegt der ÖVP-Politiker auf dem letzten Platz, hinter Herbert Kickl.
Beispielloser Verlust an Vertrauen
Die Kritikpunkte gegen Sobotka füllen eine lange Liste, sie beginnen bei seinem Umgang mit dem Thema Inseratenkorruption – Stichwort: Fürs Inserat gibt’s a Gegengeschäft. Natürlich – über die eigenwillige Auslegung seiner Befangenheit als Vorsitzführer im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss bis hin zu den Vorwürfen in Zusammenhang mit Steuerverfahren in Niederösterreich, die Thomas Schmid in seinem Geständnis erhoben hat. Der Zeithistoriker Oliver Rathkolb wird im profil so zitiert: Dass ein Nationalratspräsident in der Bevölkerung in diesem Ausmaß umstritten ist, hat es in der Zweiten Republik so noch nicht gegeben. Es sei natürlich wichtig, dass der Inhaber dieses Amtes positiv akzeptiert wird.
Die Extravaganzen des Präsidenten
Sobotka ficht das alles nicht an. Er setzt sich als Hausherr des Parlaments in Szene, das im Jänner nach fünfjähriger Generalsanierung wiedereröffnet wird. In einem TikTok-Video prostet er vom Dach des Parlamentsgebäudes in die Kamera und verspricht Besuchern des neuen Restaurants mit Aussichtsterrasse lukullische Spezialitäten. Die Oberösterreichischen Nachrichten berichten von Extravaganzen Sobotkas bei der Zuteilung der Büros, neben ihm selbst als Präsident werde auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger künftig in der Beletage im ersten Stock mit Blick auf den Ring residieren. Der kunstsinnige Sobotka habe es sich auch nicht nehmen lassen, Kunstwerke persönlich auszuwählen und einen Flügel anzumieten. Den Sitzungsräumen gab Sobotka Namen berühmter ÖsterreicherInnen von Romy Schneider über Adolf Loos bis Sigmund Freud – was sonst niemand wollte, wie es heißt. Böse(ndorfer) Details sind hier im Blog von Christian Nusser nachzulesen.
Berichterstattung und Behauptungen
Die ÖVP gibt der Berichterstattung über Sobotka die Schuld an dessen schlechten Werten. Der neue ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker, der vor allem die Vorwürfe aus dem Schmid-Geständnis in Steuer-Sachen als widerlegt betrachtet, hat im TV-Format Club 3 gesagt: Wenn immer über unbewiesene Behauptungen berichtet wird, dann ist der Vertrauensverlust in die Demokratie und in die Politik allgemein auch dem geschuldet. Wolfgang Sobotka selbst hat sich in einem Demokratie-Workshop mit Maturaklassen diese Woche – es ging um die Frage, wie der Nationalratspräsident mit Journalisten umgeht – zu dieser Behauptung verstiegen: Wie tut sich da der Herr Kappacher im ORF, der permanent mich attackiert, wenn er mich interviewt. Ist der dann neutral? Ich muss erwarten können von einem guten Journalisten, dass er egal in seiner ideologischen Einstellung – dass er das Befragen ordentlich macht und dass er, wenn er einen dementsprechenden Artikel schreibt: Check, Recheck, Doublecheck.
Offenbarungseid vor Maturaschülern
Diese Aussage (oben im Audio-Link zu hören) ist schlicht wahrheitswidrig. Der Herr Kappacher hat den Nationalratspräsidenten weder permanent noch überhaupt jemals attackiert, wenn er ihn interviewt hat. Und er hat ihn auch schon ziemlich lange nicht interviewt. Es muss Jahre her sein – und das hat seinen Grund auch darin, dass Wolfgang Sobotka für Interviews nicht immer leicht zu erreichen ist. Sobotka wurde bei der Veranstaltung mit Schülerinnen und Schülern anlässlich des Jahrestags der November-Pogrome auch gefragt, warum die ÖVP mit den Freiheitlichen in einer Koalition war, die zuletzt ja mit teils antisemitischen Corona-Leugnern demonstriert hätten. Er verstehe die Kritik, hat Sobotka gesagt: Aber ich lasse mich, wenn ich mit jemandem koaliere, nicht deswegen von dessen Ideen überzeugen.
Wöginger auf den Spuren von Kickl
Der aktuelle Eindruck ist ein völlig anderer. ÖVP-Klubobmann August Wöginger fällt mit der Forderung nach einer Überarbeitung der Europäischen Menschenrechtskonvention auf und sagt im Standard-Interview: Wir haben mittlerweile eine andere Situation, als es vor ein paar Jahrzehnten der Fall war, als diese Gesetze geschrieben wurden. Zuletzt hat sich mit dieser Forderung der heutige FPÖ-Obmann und damalige Innenminister Herbert Kickl sogar vom Bundespräsidenten eine unmissverständliche Abfuhr geholt.
Ob und wie Alexander Van der Bellen diesmal reagiert, wird auch interessant zu beobachten sein. Die Grünen jedenfalls haben Wöginger bereits ausgerichtet, dass es keinerlei Änderungsbedarf bei der EMRK gebe: Die ÖVP ist aufgerufen, sich an der tatsächlichen Lösung der Probleme zu beteiligen, anstatt populistische Ablenkungsmanöver zu starten und die Menschenrechte infrage zu stellen. Der ÖVP-Klubchef wollte möglicherweise auch von seiner Causa ablenken, gegen ihn wird ja wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs in Zusammenhang mit einer umstrittenen Postenbesetzung im Finanzamt Braunau ermittelt. Wöginger sagt im Standard neuerlich, er habe nur ein Bürgeranliegen entgegengenommen und weitergeleitet: Das ist unsere Aufgabe als Politiker: Bürgeranliegen entgegenzunehmen und weiterzuleiten. Der betreffende ÖVP-Bürgermeister mit dem Jobwunsch hat ausgesagt, mehrfach mit dem ÖVP-Klubobmann über die Sache gesprochen zu haben.
Nehammer verpatzt Neustart wieder
August Wöginger hat auch seinen Parteiobmann Bundeskanzler Karl Nehammer in Schutz genommen, der in den Augen vieler mit seiner Erklärung am Allerseelen-Tag im Parlament die vielleicht letzte Chance auf einen Neustart für die ÖVP verpatzt hat, wie Josef Votzi in seiner Kolumne schreibt. Nehammer hat gesagt: Das Bild ist miserabel. Während Krieg herrscht, wird der Ton im Parlament immer aggressiver. Während viele Sorgen haben wegen der Teuerung, reden wir hier über Neuwahlen. Ich möchte mich dafür bei Ihnen entschuldigen. Frage des Standard an Wöginger: Warum können ÖVP-Politiker nicht einfach einmal klipp und klar sagen: Nicht das Bild, das die Politik abgibt, sondern das Bild, das die ÖVP abgibt, ist fatal? Wöginger: Ich glaube, das wollte der Kanzler mit seinen Worten zum Ausdruck bringen.
Sogar den Eigenen fehlt der Glaube
Nehammer und Wöginger haben das Problem, dass ihnen niemand mehr glaubt. Nicht einmal die eigenen Leute. In Tirol ist die Volkspartei als Liste MATTLE angetreten und hat dennoch fast zehn Prozentpunkte verloren. In Niederösterreich kandidiert jene ÖVP, die Sebastian Kurz erfunden und nach Kräften gefördert hat, als Niederösterreich-Partei. Und der Landesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter Bernhard Ebner hat sich gar zu der Bemerkung verstiegen: Wir waren nie die ÖVP. Beraterinnen empfehlen der Landeshauptfrau, die ihre absolute Mehrheit die Traisen hinunterschwimmen sieht, den Namen Sebastian Kurz am besten zu vergessen und nur ja nie in den Mund zu nehmen. Indessen steht Kurzens Bulldozer Wolfgang Sobotka mit einem Glaserl Wein oben auf dem Parlament, als wäre er Karlsson vom Dach mit dessen besten Spruch: Das stört keinen großen Geist. Tut es doch.
Ein Gedanke zu „Sobotka vom Dach“
Nehammer, Sobotka und Gust sind eine SCHANDE